Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 25.04.1997; Aktenzeichen L 4 Kr 25/95)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. April 1997 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger, ein freiberuflich tätiger Komponist und Publizist, übte bis März 1993 zugleich eine Beschäftigung als Arbeitnehmer aus. Sein Arbeitsentgelt lag in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 31. März 1993 über der Hälfte der damals maßgeblichen monatlichen Beitragsbemessungsgrenzen von 6.800,00 DM (1992) bzw 7.200,00 DM (1993) für die gesetzliche Rentenversicherung (vgl § 159 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB VI≫), erreichte diese Beträge aber nicht. Sein monatliches Gesamteinkommen aus dem Arbeitsentgelt und dem Arbeitseinkommen, das er aus seiner selbständigen Erwerbstätigkeit erzielte, lag aber jeweils über der Beitragsbemessungsgrenze. Die beklagte Künstlersozialkasse lehnte den Antrag des Klägers auf Feststellung der (zusätzlichen) Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 1 Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) für den vorstehenden Zeitraum ab. Sie verwies auf die in § 4 Nr 2 KSVG vorgesehene Versicherungsfreiheit für Künstler, die aus einer zugleich ausgeübten Arbeitnehmertätigkeit ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt in Höhe von mindestens der Hälfte der Beitragsbemessungsgrenze erzielen. Klage und Berufung des Klägers waren erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Auffassung des Klägers, § 4 Nr 2 KSVG sei wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) verfassungswidrig, nicht geteilt und dem im Berufungsverfahren gestellten Hilfsantrag des Klägers, „dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Frage vorzulegen, ob § 4 Nr 2 KSVG insofern gegen das Gleichheitsgebot verstößt, als er diejenigen Künstler von der Versicherungspflicht nach dem KSVG ausschließt, die aus einem Beschäftigungsverhältnis mehr als die Hälfte der Beitragsbemessungsgrundlage an Arbeitsentgelt erzielen”, nicht stattgegeben. Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG vom 25. April 1997 richtet sich die Beschwerde des Klägers.

Der Kläger hält die in seinem Hilfsantrag formulierte und in der Beschwerdebegründung sinngemäß wiederholte verfassungsrechtliche Frage für eine klärungsbedürftige Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Er sieht es als gleichheitswidrig an, „daß selbständige Künstler und Publizisten, die als Arbeitnehmer mindestens die Hälfte des Beitragsbemessungsbetrages verdienen, von der Möglichkeit ausgeschlossen werden, sich ebenso wie alle anderen Arbeitnehmer und alle anderen selbständigen Künstler und Publizisten mit einem Einkommen bis zur Höhe der allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze (sofern sie es erreichen) zu versichern”. Die Gleichheitswidrigkeit leitet der Kläger aus den Erwägungen des BVerfG in seinem Beschluß vom 8. April 1987 – 2 BvR 909/82 ua – (BVerfGE 75, 108 = SozR 5425 § 1 Nr 1) über die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen des KSVG in der Fassung vom 27. Juli 1981 (KSVG 1981, BGBl I S 705) über die Künstlersozialabgabepflicht der Vermarkter ab. Das BVerfG habe sich dort im wesentlichen auf die mit „symbiotischen Zügen” behafteten „Solidaritäts- und Verantwortlichkeitsbeziehungen” zwischen Künstlern und Vermarktern gestützt. Dieser Aspekt gelte aber für das Verhältnis der Vermarkter zu den rentenversicherungsrechtlich anderweitig abgesicherten wie für das zu den nicht abgesicherten Künstlern gleichermaßen. Die Erwägungen des BVerfG ließen daher die in § 4 Nr 2 KSVG vorgesehene Differenzierung bei der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung wegen Verstoßes gegen Art 3 Abs 1 GG nicht zu.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Beschwerde ist nicht begründet. Die Ausführungen des Klägers geben keinen Anlaß zu ernsthaften Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der von ihm angegriffenen Regelung. Es gibt grundsätzlich keinen Anspruch darauf, sich unabhängig von der Einkommensart bis zur Beitragsbemessungsgrenze versichern zu können. Im Künstlersozialversicherungsrecht gilt nichts anderes. Daher fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage.

Die Ausführungen des BVerfG in seinem Beschluß vom 8. April 1987 zum „kulturgeschichtlich gewachsenen besonderen Verhältnis gleichsam symbiotischer Art” zwischen Künstlern und Vermarktern beziehen sich allein darauf, daß die Einführung einer von den Vermarktern zu zahlenden Künstlersozialabgabe mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG zu vereinbaren ist. Sie berühren dabei drei Aspekte (BVerfGE 75, 108 = SozR 5425 § 1 Nr 1 S 11 – 14):

  1. die Rechtfertigung dafür, daß ein Privater im Unterschied zu anderen Privaten über seine Steuerpflicht hinaus als Beteiligter im Sinne des Sozialversicherungsrechts zu einer fremdnützigen Abgabe herangezogen wird, die weder ihm selbst noch seiner Gruppe zugute kommt,
  2. die gesetzliche Abgrenzung des Kreises der vermarktenden Unternehmen, die zur Zahlung der Künstlersozialabgabe verpflichtet sind (§ 24 KSVG) sowie
  3. die Zulässigkeit der Erhebung der Abgabe in Form einer Umlage auf alle Entgelte an selbständige Künstler unabhängig von der Versicherungspflicht des einzelnen Künstlers nach dem KSVG (§ 25 KSVG).

Eine hierüber hinausgehende Bedeutung der „Solidaritäts- und Verantwortlichkeitsbeziehungen” enthält die Entscheidung des BVerfG hingegen nicht. Es kann ihr insbesondere nicht entnommen werden, daß diese Beziehungen auch für die Frage der Versicherungspflicht bzw Versicherungsfreiheit einzelner selbständiger Künstler (§ 35 KSVG) bestimmend sind. Dies gilt um so mehr, als das BVerfG die Abgabepflicht der Vermarkter auf Entgelte für nicht nach dem KSVG versicherungspflichtige Künstler (§ 25 Abs 1 KSVG) ausdrücklich für verfassungsgemäß erklärt hat (SozR 5425 § 1 Nr 1 S 13). Dagegen hat es nicht die Zulässigkeit der Ausnahmen von der Versicherungspflicht in Zweifel gezogen, was nach dem Ausgangspunkt des Klägers – dessen Richtigkeit unterstellt – nahe gelegen hätte.

Auch vom Schutzzweck des Künstlersozialversicherungsrechts her begegnet die Regelung des § 4 Nr 2 KSVG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gesetzgeber hat die Künstlersozialversicherung eingeführt, weil er selbständige Künstler und Publizisten als in der Regel deutlich schlechter sozial abgesichert angesehen hat als Arbeitnehmer, aber auch als andere selbständig erwerbstätige Personen (BT-Drucks 8/3172 S 19 sowie BR-Drucks 260/79 S 19). Dem Gesetzgeber steht im Bereich des Sozialversicherungsrechts grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zur Verfügung (BVerfGE 39, 148, 153; 40, 121, 140; 69, 272, 304; ständige Rechtsprechung). Bei der Einführung einer gesetzlichen Pflichtversicherung liegt es in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, den Mitgliederkreis so abzugrenzen, wie es für die Begründung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich ist (BVerfGE 10, 354, 370; 29, 221, 235 = SozR Nr 7 zu Art 2; BSG SozR 3-5425 § 1 Nr 2). Die unterschiedliche Einschätzung der Schutzbedürftigkeit der in Betracht kommenden Personenkreise durch den Gesetzgeber ist prinzipiell ein sachlicher Grund, der eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigt (BSG aaO). Die Regelung des § 4 Nr 2 KSVG hat den Zweck, diejenigen selbständigen Künstler von der Rentenversicherungspflicht nach dem KSVG auszuschließen, die bereits anderweitig kraft Gesetzes für ihr Alter gesichert sind und durchschnittlich verdienen (BT-Drucks 8/3172 S 21). Dies ist nach den Intentionen des Gesetzgebers bei der Schaffung des KSVG sachgerecht. Eine den Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers überschreitende Fehleinschätzung der Schutzwürdigkeit ist nicht zu erkennen. Der Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG gebietet nicht, den Kläger rentenversicherungsrechtlich den nicht zugleich als Arbeitnehmer tätigen selbständigen Künstlern mit vergleichbarem Gesamteinkommen gleichzustellen.

Der mit der formulierten Rechtsfrage verbundene weitere Aspekt, ob § 4 Nr 2 KSVG insoweit gegen Art 3 Abs 1 GG verstößt, als die betroffenen Künstler trotz entsprechend hohen Gesamteinkommens und grundsätzlicher Versicherungspflicht (§ 1 KSVG) rentenrechtlich schlechter gestellt werden als andere nicht künstlerisch tätige Versicherungspflichtige, die ein gleich hohes, aber insgesamt beitragspflichtiges Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen beziehen, gibt ebenfalls keinen Anlaß zu verfassungsrechtlichen Zweifeln. Der Kläger steht insoweit gerade allen anderen Versicherten gleich, die als Arbeitnehmer oder Selbständige ein versicherungspflichtiges Entgelt bzw Einkommen beziehen (§§ 1, 2, 162, 165 SGB VI), daneben aber über ein weiteres, nicht der Versicherungspflicht unterliegendes Einkommen aus selbständiger Tätigkeit verfügen. Auch dies beruht auf der Einschätzung des Gesetzgebers über die unterschiedliche Schutzbedürftigkeit verschiedener Personengruppen im Rentenversicherungsrecht, wobei Arbeitnehmer grundsätzlich und Selbständige nur ausnahmsweise als schutzbedürftig angesehen worden sind (§§ 1, 2 SGB VI).

Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173641

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