Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Voraussetzungen für das Vorliegen einer Divergenz
Orientierungssatz
1. Ein Berufungsgericht weicht nur dann iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG von einer Entscheidung des BSG ab, wenn es einen abstrakten Rechtssatz aufstellt, der der zum selben Gegenstand gemachten und fortbestehend aktuellen abstrakten Aussage des BSG entgegensteht und dem Berufungsurteil tragend zugrunde liegt. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn das Urteil des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat. Vielmehr muss das LSG selbst diesen Kriterien widersprochen, dh andere rechtlicher Maßstäbe entwickelt haben. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Revision wegen Abweichung (vgl BSG vom 29.11.1989 - 7 BAr 130/88 = SozR 1500 § 160a Nr 67, vom 27.1.1999 - B 4 RA 131/98 B = SozR 3-1500 § 160 Nr 26 und vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B = SozR 3-1500 § 160a Nr 34).
2. Ein Infragestellen der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist selbst dann nicht gegeben, wenn das Berufungsgericht eine Entscheidung des BSG in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall verkannt hat (vgl BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B aaO).
Normenkette
SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Sächsisches LSG (Urteil vom 23.06.2009; Aktenzeichen L 5 R 926/07) |
SG Dresden (Entscheidung vom 20.11.2007; Aktenzeichen S 33 RA 590/04) |
Tatbestand
Mit Urteil vom 23.6.2009 hat das Sächsische Landessozialgericht (LSG) einen Anspruch des Klägers auf Feststellung der Zeit vom 1.9.1974 bis 30.6.1990 als solche der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz (AVItech) und der dabei erzielten Arbeitsentgelte verneint. Der Kläger erfülle weder die sachliche noch die betriebliche Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch auf Einbeziehung in die AVItech.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt. Er beruft sich auf Divergenz und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
Entscheidungsgründe
Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers die Darlegungserfordernisse einer Divergenzrüge erfüllt, ist sie nicht begründet. Die vom Kläger behauptete Divergenz hinsichtlich der sachlichen Voraussetzung des von ihm geltend gemachten Anspruchs auf Einbeziehung in die AVItech liegt nicht vor (dazu unter 1.) Der Senat brauchte daher nicht mehr zu prüfen, ob auch die vom Kläger gerügte Divergenz hinsichtlich der betrieblichen Voraussetzung oder ob die von ihm formulierte Frage, "ob der Anspruch auf Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem der AVItech eine Tätigkeit in einem Betrieb mit unmittelbar durchgeführter Massenproduktion voraussetzt", eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) begründen kann, weil diese sich ausschließlich auf die betriebliche Voraussetzung für die Einbeziehung in die AVItech bezieht (dazu unter 2.) .
1. a) Der Kläger trägt vor: In den Entscheidungsgründen der angefochtenen Entscheidung heiße es wie folgt:
"Der Kläger erfüllt am 30. Juni 1990 auch die sachliche Voraussetzung für die Feststellung fiktiver Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech nicht. Für deren Prüfung ist von der erworbenen Berufsbezeichnung auszugehen und zu fragen, ob der Versicherte eine durch die Ausbildung und die im Ausbildungsberuf typischerweise gewonnenen Erfahrungen geprägten Berufsbild entsprechende Tätigkeit ausgeübt hat (BSG, Urteil vom 18.10.2007 - B 4 RS 17/07 R) ."
Das LSG habe im zweiten Satz folgenden abstrakten Rechtssatz formuliert:
"Der fiktive bundesrechtliche Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage setzt zum Stichtag (30.06.1990) eine Tätigkeit voraus, die dem Schwerpunkt der Ausbildung oder des jeweiligen Berufsbildes der durch den Abschluss erworbenen Berufsbezeichnung entspricht."
Das LSG habe mit den vorgenannten Ausführungen keine abstrakten Rechtssätze des BSG wiedergegeben, sondern einen eigenen, divergierenden Rechtssatz aufgestellt. Denn ein Rechtssatz des vorgenannten Inhalts sei in der zitierten Entscheidung des BSG vom 18.10.2007 nicht enthalten.
Das BSG habe - ua in dem Urteil vom 7.9.2006 (B 4 RA 47/05 R) - zur Erfüllung der sog sachlichen Voraussetzung folgenden abstrakten Rechtssatz formuliert:
"Aus dem Wortlaut und dem Sinn der AVItech kann eine Einschränkung auf bestimmte Beschäftigungen, die von den erfassten Personen in den erfassten Betrieben ausgeübt werden, nicht hergeleitet werden, es sei denn, die erfassten Personen wurden berufsfremd, also nicht ihrer Berufsbezeichnung entsprechend eingesetzt."
In seiner Entscheidung vom 18.10.2007 (B 4 RS 17/07 R) habe das BSG diese Ausführungen wie folgt ergänzt:
"Mit der sachlichen Voraussetzung soll eine weitere Einschränkung der Einbeziehung in die AVItech nur in den Fällen erreicht werden, in denen Versicherte mit förmlichem Berufsabschluss i.S. des § 1 Abs. 1 der 2. DB in einem Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens fachfremd eingesetzt waren."
Das LSG sei von den vorgenannten Rechtssätzen abgewichen. In der angefochtenen Entscheidung werde zur Erfüllung der sachlichen Voraussetzung eine Tätigkeit entsprechend des Schwerpunktes des durch Ausbildung und der im Ausbildungsberuf typischerweise gewonnenen Erfahrungen geprägten Berufsbildes verlangt. Dies gehe über den vom BSG insoweit lediglich geforderten "nicht fachfremden Einsatz" weit hinaus. Das LSG habe daher die zitierten Rechtssätze des BSG zur sachlichen Voraussetzung "verändert" und deren Erfüllung von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig gemacht.
b) Die vom Kläger gerügte Divergenz hinsichtlich der sachlichen Voraussetzung liegt nicht vor. Ein Berufungsgericht weicht nur dann iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG von einer Entscheidung des BSG ab, wenn es einen abstrakten Rechtssatz aufstellt, der der zum selben Gegenstand gemachten und fortbestehend aktuellen abstrakten Aussage des BSG entgegensteht und dem Berufungsurteil tragend zugrunde liegt. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn das Urteil des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat. Vielmehr muss das LSG diesen Kriterien selbst widersprochen, dh andere rechtliche Maßstäbe entwickelt haben. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall (was im Rahmen der Beschwerde nicht zu beurteilen ist), sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Revision wegen Abweichung (BSG vom 29.11.1989, SozR 1500 § 160a Nr 67 S 91; BSG vom 27.1.1999, SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44; BSG vom 25.9.2002, SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72) .
Das LSG hat keinen von der vom Kläger zitierten Rechtsprechung des BSG abweichenden Rechtssatz aufgestellt. Sofern der Kläger vorträgt, das LSG habe den folgenden abstrakten Rechtssatz formuliert: "Der fiktive bundesrechtliche Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage setzt zum Stichtag (30.06.1990) eine Tätigkeit voraus, die dem Schwerpunkt der Ausbildung oder des jeweiligen Berufsbildes der durch den Abschluss erworbenen Berufsbezeichnung entspricht", ist festzustellen, dass sich ein Rechtssatz mit (genau) dieser Formulierung in den Entscheidungsgründen des LSG nicht findet. Vielmehr hat des LSG unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BSG vom 18.10.2007 (B 4 RS 17/07 R) - wörtlich - ausgeführt, dass für die Prüfung der sachlichen Voraussetzung für die Feststellung fiktiver Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech " von der erworbenen Berufsbezeichnung auszugehen und zu fragen (ist), ob der Versicherte im Schwerpunkt eine diesem durch die Ausbildung und die im Ausbildungsberuf typischerweise gewonnenen Erfahrungen geprägten Berufsbild entsprechende Tätigkeit ausgeübt hat ". Unabhängig davon, dass der Kläger in seiner Beschwerdebegründung (S 8 oben) das LSG insoweit nicht richtig zitiert bzw wiedergegeben hat, ist auch seine Behauptung, dass ein Rechtssatz des vorgenannten Inhalts nicht in der vom LSG zitierten Entscheidung des BSG enthalten sei, nicht zutreffend. Vielmehr weist das BSG in dieser Entscheidung ausdrücklich auf Folgendes hin (SozR 4-8570 § 1 Nr 14 RdNr 44) :
"Für die Prüfung der sachlichen Voraussetzung ist demnach von der erworbenen Berufsbezeichnung iS der 2. DB auszugehen und zu fragen, ob der Versicherte im Schwerpunkt eine diesem durch die Ausbildung und die im Ausbildungsberuf typischerweise gewonnenen Erfahrungen geprägten Berufsbild entsprechende Tätigkeit ausgeübt hat . Setzt die Wahrnehmung der konkreten Arbeitsaufgabe solche beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten voraus, wie sie bei dem Studium bzw der Ausbildung zu einem Beruf iS des § 1 Abs 1 der 2. DB erworben werden, ist die sachliche Voraussetzung regelmäßig erfüllt (vgl BSG SozR 3-8570 § 5 Nr 6 S 41; BSG SozR 4-8570 § 1 Nr 12 RdNr 19) ; während sie bei einem im Wesentlichen berufsfremdem Einsatz regelmäßig nicht erfüllt ist ( BSG aaO) ".
Das LSG hat sich somit bei seiner Prüfung und Entscheidung, ob im Fall des Klägers die sachliche Voraussetzung für die fiktive Einbeziehung in die AVItech erfüllt ist, ausdrücklich ("wörtlich": s Unterstreichungen) und zutreffend auf die Rechtsprechung des BSG zur sachlichen Anspruchsvoraussetzung gestützt. Sofern der Kläger sinngemäß meint, das LSG habe die von ihm zitierte Rechtsprechung in seinem konkreten Fall unrichtig angewandt und die sachliche Voraussetzung für die von ihm zum Stichtag (30.6.1990) verrichtete Tätigkeit als Mitarbeiter für Planung und Koordinierung (bzw - wie von ihm vorgetragen - als Bauleiter) zu Unrecht verneint, rügt er die Unrichtigkeit der Entscheidung. Dies reicht - wie oben ausgeführt - für eine Divergenzrüge nicht aus. Eine Abweichung setzt nämlich voraus, dass die Berufungsentscheidung die höchstrichterliche Rechtsprechung in Frage stellt, was vorliegend nicht der Fall ist, und selbst dann noch nicht gegeben wäre, wenn das LSG - was ebenfalls nicht ersichtlich ist - eine Entscheidung des BSG in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall verkannt haben sollte (vgl BSG vom 25.9.2002, SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73 mwN) .
2. Da somit hinsichtlich der tragenden Begründung des LSG, dass der Kläger die sachliche Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch auf Einbeziehung in die AVItech nicht erfülle, kein Zulassungsgrund iS des § 160 Abs 2 SGG vorliegt, brauchte der Senat die geltend gemachten Zulassungsgründe (grundsätzliche Bedeutung, Divergenz) hinsichtlich der weiteren, die Klageabweisung selbstständig tragenden Begründung, dass auch die betriebliche Anspruchsvoraussetzung nicht gegeben sei, nicht mehr zu prüfen. Ist nämlich eine Entscheidung des Berufungsgerichts - wie vorliegend - nebeneinander auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt, so kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nur dann zur Zulassung der Revision führen, wenn im Hinblick auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund formgerecht dargetan wird und auch gegeben ist (stRspr, zB BSG vom 5.4.2006, B 12 KR 9/05 B, Juris RdNr 8; BSG vom 25.4.2006, B 1 KR 97/05 B, Juris RdNr 5; BSG vom 25.6.2007, B 3 KR 28/06 B, Juris RdNr 9; BSG vom 27.7.2006, B 7a AL 52/06 B, Juris RdNr 10; BSG vom 23.12.1991, 4 BA 67/91, Juris RdNr 5; BSG vom 24.9.1980, SozR 1500 § 160a Nr 38) .
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen