Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Revisionseinlegung. Fristwahrung per Fax. rechtzeitiger Beginn mit der Übermittlung. absehbare Übertragungsdauer. zusätzlicher Sicherheitszuschlag von 20 Minuten. keine Unterscheidung nach Fehlerrisiko. überlanges Gerichtsverfahren. mögliche Vererbbarkeit des Entschädigungsanspruchs. Entschädigungsklage durch Rechtsnachfolger
Orientierungssatz
1. Der Sicherheitszuschlag von 20 Minuten zu der erwarteten Übertragungsdauer für die Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen per Telefax an das Gericht (vgl BSG vom 15.3.2018 - B 10 ÜG 30/17 C = SozR 4-1500 § 67 Nr 16) gilt unabhängig davon, welches Fehlerrisiko sich im Einzelfall verwirklicht hat.
2. Es kann offenbleiben, ob der Entschädigungsanspruch eines verstorbenen Klägers des Ausgangsverfahrens trotz § 198 Abs 5 S 3 GVG vor seiner rechtskräftigen Feststellung überhaupt vererblich ist (bejahend BFH vom 20.8.2014 - X K 9/13 = BFHE 247, 1) und deshalb im Wege der Erbfolge auf den Rechtsnachfolger übergehen und von ihm eingeklagt werden kann.
Normenkette
SGG § 164 Abs. 2 S. 1, § 64 Abs. 2 S. 1, § 67 Abs. 1, 2 S. 2; GVG § 198 Abs. 5 S. 3, Abs. 1 S. 1; BGB § 1922 Abs. 1
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 5. April 2018 wird als unzulässig verworfen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 2500 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten um eine Entschädigung für ein Kostenfestsetzungsverfahren vor dem LSG Hamburg.
Der Kläger ist Enkel und testamentarisch bestimmter Alleinerbe der am 6.3.2018 verstorbenen Klägerin des Ausgangsverfahrens. Mit dem angefochtenen Urteil vom 5.4.2018 hat das LSG als Entschädigungsgericht eine Verzögerung des Ausgangsverfahrens der Kostenfestsetzung um 26 Monate festgestellt und die auf Geldentschädigung gerichtete Klage im Übrigen abgewiesen. Der Klägerin des Ausgangsverfahrens sei durch dessen unangemessener Dauer allenfalls ein sehr geringer Schaden entstanden. Für sie selbst sei das Verfahren um die Festsetzung eines Streitwerts ohne Bedeutung gewesen bzw sogar entgegen ihrer Interessen durchgeführt worden. Es sei ihrem Prozessbevollmächtigten erkennbar nur darum gegangen, nach dem Streitwert anstatt nach Betragsrahmengebühren abzurechnen.
Gegen das am 31.5.2018 zugestellte Urteil hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten am 29.6.2018 die vom LSG zugelassene Revision eingelegt.
Die Revisionsbegründung ist am 1.8.2018 per Fax beim BSG eingegangen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Er habe die 15-seitige Revisionsschrift nebst sechs Seiten Anlagen am 31.7.2018 um ca 23:40 Uhr zum ersten Mal auf das Fax gelegt. Beim Einzug der Anlagen sei ein Fehler aufgetreten. Die Übermittlung habe nach seinem Faxprotokoll 18 Minuten 12 Sekunden, die ergänzende Übermittlung der Anlagen vier Minuten 54 Sekunden gedauert. Diese lange Übertragungszeit sei ihm unverständlich. Er habe mit einer wesentlich kürzeren Zeit gerechnet. Die in dem von ihm übersandten Faxprotokoll angegebene Startzeit von 00:02 Uhr sei nicht korrekt. Die Uhr seines Faxgeräts sei nicht richtig eingestellt gewesen, wie er während der Übermittlung durch einen Blick auf sein Handy festgestellt habe.
Der Senat hat eine Auskunft der Posteingangsstelle des BSG eingeholt. Danach sind Störungen des Faxempfangs beim BSG in der betreffenden Zeit nicht festgestellt worden. Der Beginn des Faxeingangs mit der Revisionsbegründung ist am 1.8.2018 um 00:02:52 Uhr verzeichnet.
II. 1. Die Revision ist unzulässig (§ 169 SGG). Der Kläger hat sie entgegen § 164 Abs 2 S 1 SGG nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des LSG-Urteils begründet. Dessen Zustellung erfolgte am 31.5.2018. Die Frist zur Begründung der Revision endete deshalb nach § 64 Abs 2 S 1 SGG am 31.7.2018 um 24 Uhr. Eingegangen ist die Revisionsbegründung beim BSG aber erst am 1.8.2018 ab 00:02:52 Uhr.
Die vom Kläger beantragte Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist ist abzulehnen, weil er einen Wiedereinsetzungsgrund nicht glaubhaft gemacht hat und auch sonst nicht ersichtlich ist, dass er ohne Verschulden an der Fristwahrung gehindert war (§ 67 Abs 1 SGG). Vielmehr hat sein Prozessbevollmächtigter die in der konkreten Verfahrenslage erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen, weil er nicht rechtzeitig mit der Übersendung der Revisionsbegründung begonnen hat.
Die gesetzlich eingeräumten Rechtsmittelfristen dürfen nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG voll, und zwar bis zum letzten Tag und in diesem Rahmen bis zur äußersten Grenze, ausgeschöpft werden (vgl BVerfGE 40, 42, 44; 45, 360, 362; 51, 352, 355; 74, 220, 224). Der Rechtsmittelführer darf die Bearbeitung auch noch für den letzten Tag der Frist vorsehen, wenn er die fristwahrende Handlung noch rechtzeitig vornehmen kann (BSG SozR Nr 36 zu § 67 SGG). Allerdings trifft ihn bei voller Ausschöpfung der Frist eine erhöhte Sorgfaltspflicht, darauf zu achten, dass die Übermittlung noch rechtzeitig und wirksam innerhalb der Frist erfolgt (vgl BGH NJW 1982, 2670; BGH NJW 1989, 2393; BVerwG Buchholz 310 § 60 VwGO Nr 124 S 12).
Der Nutzer eines Faxgeräts leistet das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung, wenn er ein anerkanntes Übermittlungsmedium wählt und ein funktionsfähiges Sendegerät richtig nutzt. Dabei muss er so rechtzeitig mit der Übermittlung beginnen, dass unter normalen Umständen mit ihrem Abschluss bis 24 Uhr zu rechnen ist. Dafür ist - zusätzlich zu der absehbaren Übermittlungsdauer des zu faxenden Schriftsatzes samt Anlagen - in jedem Fall ein zeitlicher Sicherheitszuschlag von 20 Minuten einzuhalten. Der Senat folgt insoweit der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfG - Kammer - Beschluss vom 23.12.2016 - 1 BvR 3511/13 - Juris RdNr 3 mwN) für das verfassungsrechtliche Verfahren (Senatsbeschluss vom 15.3.2018 - B 10 ÜG 30/17 C - Juris RdNr 8; die Verfassungsbeschwerde gegen diesen Beschluss wurde vom BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen ≪BVerfG - Kammer - Beschluss vom 11.9.2018 - 1 BvR 1066/18≫; vgl ebenso BVerwG Beschluss vom 29.1.2015 - 9 BN 2/14; BGH Beschluss vom 27.11.2014 - III ZB 24/14; BFH Beschluss vom 8.10.2015 - VII B 147/14 - Juris RdNr 4). Maßgebliche Unterschiede zum Sozialgerichtsprozess, die dort geringere Sorgfaltsanforderungen rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich.
Nach diesen Vorgaben hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht glaubhaft gemacht, rechtzeitig mit der Übermittlung der Revisionsbegründung begonnen und damit alles in der konkreten Verfahrenssituation Erforderliche unternommen zu haben. Zwar gibt er an, er habe bereits um ca 23:40 Uhr am 31.7.2018 begonnen zu faxen. Indes weist der von ihm vorgelegte Sendebericht seines Faxgeräts einen Übermittlungsbeginn für die Faxübermittlung erst am 1.8.2018 um 00:02 Uhr aus. Dies lässt sich widerspruchsfrei mit dem Faxprotokoll des BSG in Übereinstimmung bringen. Danach ist beim BSG die erste Seite des Faxes am 1.8.2018 52 Sekunden nach dem Übertragungsbeginn eingegangen, den der Sendebericht des Klägers dokumentiert. Die Mutmaßung des Prozessbevollmächtigten, die Uhr seines Faxgeräts sei falsch eingestellt gewesen, widerspricht dieser zuverlässigen Zeitangabe im Faxprotokoll des BSG und ist deshalb nicht hinreichend glaubhaft gemacht (vgl Senatsbeschluss vom 15.3.2018 - B 10 ÜG 30/17 C - Juris RdNr 7, 11 f). Ist somit bereits kein rechtzeitiger Beginn der Faxübermittlung glaubhaft gemacht, kommt es auf die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers diskutierte Frage der erwartbaren gewöhnlichen Übertragungsdauer nicht an.
Unabhängig davon würde selbst der vom Prozessbevollmächtigten behauptete früheste Übermittlungsbeginn um 23:40 Uhr nicht der erforderlichen Sorgfalt eines umsichtigen Prozessbeteiligten genügen, weil er jedenfalls den erforderlichen Sicherheitszuschlag von 20 Minuten zu der erwarteten Übertragungsdauer vermissen ließe. Dieser Sicherheitszuschlag gilt entgegen der Ansicht des Klägers unabhängig davon, welches Fehlerrisiko sich im Einzelfall verwirklicht hat.
Die genannten Versäumnisse seines Bevollmächtigten muss sich der Kläger nach § 73 Abs 6 S 7 SGG iVm § 85 Abs 2 ZPO zurechnen lassen.
Ist die Revision somit als unzulässig zu verwerfen, kann dahinstehen, ob der Entschädigungsanspruch der verstorbenen Klägerin des Ausgangsverfahrens trotz § 198 Abs 5 S 3 GVG vor seiner rechtskräftigen Feststellung überhaupt vererblich war (bejahend BFH, Urteil vom 20.8.2014 - X K 9/13 - Juris RdNr 42 mwN) und deshalb im Wege der Erbfolge auf den Kläger übergehen und von ihm eingeklagt werden konnte.
2. Die nicht fristgemäß begründete Revision ist daher nach § 169 S 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 183 S 6 SGG, § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 47 Abs 1 S 1, § 52 Abs 3 S 1, § 63 Abs 2 S 1 GKG. Der Streitwert entspricht der geltend gemachten Entschädigungssumme.
Fundstellen
Dokument-Index HI12719961 |