Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozesskostenhilfe. Kein kontradiktorischer Parteienstreit. Staatliche Daseinsfürsorge. Beteiligte. Isolierter Prozesskostenhilfeantrag. Insolvenzverfahren. Honorar. Pauschalierende Schätzung. Grob fahrlässige Falschabrechnung. Unrichtige Abrechnung. Durchschnitt der Fachgruppe
Leitsatz (redaktionell)
1. Das lediglich vorbereitende Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe betrifft keinen kontradiktorischen Parteienstreit und ist außerhalb und innerhalb des Zivilprozesses ein nicht streitiges, seinem Charakter nach der staatlichen Daseinsfürsorge zuzurechnendes Antragsverfahren, in dem sich als Beteiligte nur der Antragsteller und das Gericht als Bewilligungsstelle gegenüberstehen, so dass sich § 240 ZPO hierauf nicht bezieht, weswegen das Gericht über einen isolierten Prozesskostenhilfeantrag ungeachtet eines mittlerweile eröffneten Insolvenzverfahrens entscheiden kann.
2. Es ist nicht mehr klärungsbedürftig, dass die KÄV das Honorar im Wege einer pauschalierenden Schätzung neu festsetzen darf, wenn die Garantiefunktion der Abrechnungssammelerklärung und damit die Grundlage der Honorarfestsetzung durch zumindest eine grob fahrlässige Falschabrechnung weggefallen ist.
3. Hinweise auf eine unrichtige Abrechnung können sich auch aus dem Ergebnis der Prüfung der Abrechnung in einem anderen Quartal ergeben, soweit diese Muster erkennen lässt, die auf systematisch unrichtige Abrechnung hindeuten.
4. Es ist in der Regel nicht zu beanstanden, wenn die KÄV das Honorar in der Höhe des Durchschnitts der Fachgruppe festsetzt.
Normenkette
SGG § 73a Abs. 1 S. 1, §§ 109, 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2; ZPO §§ 114, 121, 240 Abs. 1
Verfahrensgang
SG Stuttgart (Entscheidung vom 21.09.2018; Aktenzeichen S 24 KA 3534/17) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 20.11.2019; Aktenzeichen L 5 KA 3574/18) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. November 2019 - L 5 KA 3574/18 - Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
I
Der Kläger wendet sich in der Hauptsache gegen eine sachlich-rechnerische Richtigstellung seiner Honorarforderung für die Quartale 1/2012 bis 4/2014 und eine daraus folgende Honorarrückforderung in Höhe von 271 022,59 Euro.
Der Kläger ist im Bezirk der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) als Facharzt für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. In den streitbefangenen Quartalen stellte die Beklagte Abrechnungsauffälligkeiten mit Quartalsarbeitszeiten von bis zu 1515:01 Stunden und Tagesarbeitszeiten von bis zu 65:31 Stunden fest. Außerdem ging bei der Beklagten die Beschwerde einer Versicherten ein, die geltend machte, dass der Kläger falsche Diagnosen angegeben und nicht erbrachte Leistungen abgerechnet habe. Nach Anhörung des Klägers hob die Beklagte die Honorarbescheide für die genannten Quartale auf und setzte das Honorar mit gesondertem Bescheid neu fest. Dabei kürzte die Beklagte die vom Kläger abgerechneten Leistungen nach Nr 30201 EBM-Ä (Chirotherapeutischer Eingriff an der Wirbelsäule), Nr 30420 ff EBM-Ä (Krankengymnastik) und Nr 35110 EBM-Ä (Verbale Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen) auf den Durchschnitt der Fachgruppe der Hausärzte.
Den Vorwurf der Versicherten räumte der Kläger im Widerspruchsverfahren in der Sache (vgl das Schreiben des Klägers vom 18.9.2015, Bl 4319 ff der Verwaltungsakte) ein und machte insofern geltend, dass er "wenigstens Geld für diesen extrem unangenehmen, ekligen Patientenkontakt verdient" habe. Bezogen auf die im Grundsatz ebenfalls eingeräumte Implausibilität seiner Abrechnung machte er ua geltend, dass für das gesamte Vergütungssystem nichts anderes gelte. Der Vorstand der Beklagten habe ihn im Jahr 2010 mit "Scheinwertdumping" in die Insolvenz geführt. Die von der Beklagten kritisierte "Ziffernansetzpraxis" seit 2012 sei als "reaktive, sukzessive Insolvenzprophylaxe, also als Notwehr" zu werten. Der Aufforderung der Beklagten, die Patientendokumentation bezogen auf 49 benannte Patienten vorzulegen, kam der Kläger nicht nach.
Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers blieben ohne Erfolg.
II
1. Der Senat kann über den isolierten Prozesskostenhilfeantrag des Klägers ungeachtet des mittlerweile eröffneten Insolvenzverfahrens und unabhängig davon entscheiden, ob das Verfahren iS von § 202 SGG iVm § 240 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) die Insolvenzmasse betrifft. Ein Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg ist nicht anhängig. Das lediglich vorbereitende Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) betrifft keinen kontradiktorischen Parteienstreit und ist außerhalb und innerhalb des Zivilprozesses nach der gesetzlichen Regelung in den §§ 114 ff ZPO ein nicht streitiges, seinem Charakter nach der staatlichen Daseinsfürsorge zuzurechnendes Antragsverfahren, in dem sich als Beteiligte nur der Antragsteller und das Gericht als Bewilligungsstelle gegenüberstehen (BGH Beschluss vom 3.3.2004 - IV ZB 43/03 - juris RdNr 11 mwN = NJW 2004, 1805 ff). § 240 ZPO bezieht sich hierauf nicht (BGH Beschluss vom 4.5.2006 - IX ZA 26/04 - juris RdNr 1 mwN = NJW-RR 2006, 1208 f; BSG Beschluss vom 14.6.2018 - B 5 RE 2/17 BH - juris RdNr 1; Loose/Pieperjohanns, ZFSH/SGB 2018, 79, 84; anders für das Steuerrecht bei bereits eingelegter Nichtzulassungsbeschwerde BFH Beschluss vom 27.9.2006 - IV S 11/05 ≪PKH≫ - BFHE 214, 293).
2. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen. Ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt.
Das BSG darf nach § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), die angefochtene Entscheidung von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Allein deren inhaltliche Unrichtigkeit kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen. Das Vorbringen des Klägers und die Durchsicht der Akten haben bei der gebotenen summarischen Prüfung (vgl BVerfG Kammerbeschluss vom 28.10.2019 - 2 BvR 1813/18 - juris RdNr 26) keinen Hinweis auf das Vorliegen eines der vorgenannten Gründe ergeben. Es ist nicht ersichtlich, dass ein beizuordnender Prozessbevollmächtigter einen der genannten Zulassungsgründe im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde mit Erfolg geltend machen könnte.
a) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Eine solche Rechtsfrage ist vorliegend nicht ersichtlich. Der Kläger macht geltend, dass er einen Anteil von "80% Chirotherapiepatienten" habe. Diese Bewertung des Klägers hat das LSG in seiner Entscheidung nicht geteilt, sondern hat - auch nach Auswertung der von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmten Patientenakten - keine Anhaltspunkte dafür erkennen können, dass die Praxis bezogen auf die Patienten vom Durchschnitt einer hausärztlichen Praxis abweichen würde. Unabhängig davon werden damit jedenfalls keine über den vorliegenden Fall hinausgehenden Fragen von grundsätzlicher Bedeutung angesprochen.
Dasselbe gilt für die im Urteil des LSG erörterte Frage, ob einer Kürzung auf den Fachdurchschnitt auch bezogen auf chirotherapeutische Leistungen der Umstand entgegensteht, dass nur 11 % der Ärzte der Vergleichsgruppe über die Genehmigung zur Abrechnung dieser Leistungen verfügt. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt und deshalb nicht mehr klärungsbedürftig, dass die KÄV das Honorar im Wege einer pauschalierenden Schätzung neu festsetzen darf, wenn die Garantiefunktion der Abrechnungssammelerklärung und damit die Grundlage der Honorarfestsetzung durch zumindest eine grob fahrlässige Falschabrechnung weggefallen ist (BSG Urteil vom 17.9.1997 - 6 RKa 86/95 - SozR 3-5550 § 35 Nr 1 S 5 = juris RdNr 21 ff; zuletzt: BSG Urteil vom 15.5.2019 - B 6 KA 63/17 R - SozR 4-2500 § 106a Nr 23 RdNr 31). Die genannten Voraussetzungen einer Schätzung liegen hier vor. Dass die Abrechnungssammelerklärungen des Klägers in den streitbefangenen Quartalen unrichtig waren, unterliegt angesichts der Tagesprofilzeiten von vielfach deutlich über 24 Stunden keinem Zweifel und dass der Kläger dabei mindestens grob fahrlässig gehandelt hat, wird durch sein Vorbringen insbesondere im Widerspruchsverfahren bestätigt. Dass der Kläger erst ab dem Quartal 2/2012 mit mehr als 780 Stunden im Quartalszeitprofil oder mit mehr als 12 Stunden an mindestens drei Tagen im Quartalszeitprofil auffällig geworden ist, steht der Einbeziehung des Quartals 1/2012 in die Richtigstellung nicht entgegen. Das LSG hat in seiner Entscheidung zu Recht und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats (BSG Urteil vom 24.10.2018 - B 6 KA 44/17 R - RdNr 18) ausgeführt, dass sich Hinweise auf eine unrichtige Abrechnung auch aus dem Ergebnis der Prüfung der Abrechnung in einem anderen Quartal ergeben können, soweit diese Muster erkennen lässt, die auf systematisch unrichtige Abrechnung hindeuten. Diese Voraussetzung war hier im Hinblick auf den Ansatz der Nr 30201, 30420 und 35110 EBM-Ä in der überwiegenden Zahl der Behandlungsfälle auch des Quartals 1/2012 gegeben. In der Rechtsprechung des Senats ist ferner geklärt, dass es in der Regel nicht zu beanstanden ist, wenn die KÄV das Honorar in der Höhe des Durchschnitts der Fachgruppe festsetzt (BSG Urteil vom 17.9.1997 - 6 RKa 86/95 - SozR 3-5550 § 35 Nr 1 = juris RdNr 28). Die Klärung der Frage, ob im vorliegenden Fall eine Abweichung von diesem Grundsatz geboten gewesen wäre, ist jedenfalls nicht aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich.
b) Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) könnte ebenfalls nicht mit Erfolg geltend gemacht werden. Divergenz (Abweichung) bedeutet Widerspruch im Rechtssatz oder anders ausgedrückt das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die in den miteinander zu vergleichenden Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat (BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN). Eine solche mögliche Abweichung ist vorliegend nicht ersichtlich.
c) Schließlich ist auch nicht erkennbar, dass ein Verfahrensmangel vorliegen könnte, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen kann. Nach Halbsatz 2 dieser Bestimmung kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dass ein solcher Verfahrensmangel aufgezeigt werden und vorliegen könnte, ist nicht ersichtlich.
3. Da keine PKH zu bewilligen ist, ist auch der Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts abzulehnen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO).
Fundstellen
Dokument-Index HI13777014 |