Tenor
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) werden folgende Fragen zur Entscheidung vorgelegt:
1) Ist Art. 20 der Richtlinie des Rates vom 25. Juli 1978 für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Zahnarztes und für Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr (78/686/EWG – ABl Nr. L 233/1) dahingehend auszulegen, daß Mitgliedstaaten, die von ihren eigenen Staatsangehörigen als Voraussetzung der Kassenzulassung die Ableistung einer Vorbereitungszeit verlangen, dies nach 1986 von Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten nicht mehr verlangen können, wenn diese im Niederlassungsstaat bereits nach innerstaatlichem Recht zur Berufsausübung zugelassen sind, auch wenn sie keinen nach den Richtlinien anzuerkennenden Befähigungsnachweis besitzen?
2) Wenn nein, ergibt sich aus der genannten Vorschrift ein Anspruch auf Zulassung ohne Ableistung einer Vorbereitungszeit jedenfalls für solche Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die ein Diplom eines Drittstaats besitzen, das von einem anderen Mitgliedstaat einem nach seinen Vorschriften erworbenen, in den Richtlinien genannten Diplom als gleichwertig anerkannt worden ist?
3) Wenn nein, darf nach Art. 52 EWGV die Kassenzulassung eines Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der kein unter die Richtlinie fallendes Diplom besitzt, wohl aber im anderen Mitgliedstaat wie im Niederlassungsstaat zur Berufsausübung zugelassen ist, wegen der fehlenden Vorbereitungszeit versagt werden, ohne zu prüfen, ob seine bisherige Berufserfahrung als diesem Erfordernis ganz oder teilweise entsprechend angesehen werden kann?
Tatbestand
I
Der 1922 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Er schloß 1946 sein Studium der Zahnmedizin an der Universität Istanbul mit der Diplomprüfung ab und praktizierte bis 1980 als niedergelassener Zahnarzt in Istanbul. 1980 verlegte er seinen Wohnsitz nach Belgien. Nach Ablegung einer theoretischen und praktischen Prüfung wurde sein türkisches Diplom 1982 durch den belgischen Minister für nationale Erziehung und französische Kultur dem „diplôme légale belge de licencié en science dentaire” als gleichwertig anerkannt. Der Kläger arbeitete danach als Zahnarzt mit Kassenzulassung in Brüssel. Seit etwa einem halben Jahr ist er in der Praxis seines in Deutschland als Kassenzahnarzt tätigen Sohnes als Assistent beschäftigt.
Im Juli 1988 beantragte der Kläger als Voraussetzung der Zulassung zur kassenzahnärztlichen Versorgung bei der beklagten Kassenzahnärztlichen Vereinigung seine Eintragung ins Zahnarztregister, nachdem ihm bereits 1981 mit der Approbation als Zahnarzt die Erlaubnis zur Berufsausübung in der Bundesrepublik Deutschland erteilt worden war. Die Beklagte lehnte die Eintragung wegen der fehlenden Voraussetzung einer zweijährigen Vorbereitungszeit ab. Auch nach europäischem Gemeinschaftsrecht sei von diesem Erfordernis nicht abzusehen, weil der Kläger kein Diplom eines Mitgliedstaates, sondern nur ein in einem Mitgliedstaat als gleichwertig anerkanntes Diplom eines Drittstaates besitze (Bescheid vom 10. August 1988). Widerspruch, Klage und Berufung blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14.728. September 1988; Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 28. März 1990; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 24. Oktober 1990). Die Vorinstanzen haben bei der Auslegung des europäischen Gemeinschaftsrechts keine Zweifel gehabt und deshalb keine Veranlassung gesehen, die Rechtssache dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Mit der vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 3, 4 der Zulassungsverordnung für Kassenzahnärzte (Zahnärzte-ZV), der Art. 2, 3, 8, 20 der Richtlinie (RL) 78/686/EWG i.V.m. Art. 1 und 2 der RL 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen (ABl Nr. L 19/16) sowie der Art. 7, 52, 57 des EWG-Vertrages (EWGV). Nach seiner Auffassung ergibt sich entweder durch Auslegung des nationalen Zulassungsrechts im Lichte des Gemeinschaftsrechts oder wegen der Unwirksamkeit der nationalen Regelungen infolge Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht, daß er einen Rechtsanspruch auf Eintragung ins Zahnarztregister ohne Ableistung einer Vorbereitungszeit habe. Den in Art. 3 Buchst. b RL 78/686/EWG beschriebenen zahnärztlichen Diplomen sei die Bescheinigung gleichzusetzen, die die zuständige belgische Behörde nach den belgischen Rechtsvorschriften über die Anerkennung ausländischer Diplome ausgestellt habe. Diese Bescheinigung sei nach Ablegung einer theoretischen und praktischen Prüfung erteilt worden, die dieselben Anforderungen wie für belgische Hochschulabsolventen gestellt habe. Art. 20 RL 78/686/EWG besage im übrigen, daß nach Ablauf der dort vorgesehenen Frist von Angehörigen der Mitgliedstaaten als Voraussetzung für die Zulassung zur Kassenzahnarzttätigkeit allgemein keine Vorbereitungszeit mehr verlangt werden dürfe. Das gelte erst recht, wenn die Erlaubnis zur Berufsausübung in beiden Mitgliedstaaten erteilt worden sei. Auch aus Art. 1 der RL 89/48/EWG, wonach allgemeine Hochschuldiplome eines Drittlandes anzuerkennen sind, wenn sie von einem Mitgliedstaat als gleichwertig anerkannt worden sind und eine mindestens dreijährige Berufserfahrung bescheinigt wird, ergebe sich die ausreichende Qualität seines Diplomes. Selbst wenn man der Auslegung nicht folge, daß sich der Rechtsanspruch auf die Eintragung ins Register als Voraussetzung der Zulassung schon aus den Richtlinien ergebe, ergebe sich der Anspruch jedenfalls unmittelbar aus Art. 7, 52 EWGV. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts könne das sekundäre Gemeinschaftsrecht als nachrangiges Recht Vertragsrecht nicht einschränken. Der im Vertrag niedergelegte Grundsatz der Niederlassungsfreiheit dürfe nur durch solche Regelungen eingeschränkt werden, die durch das Allgemeininteresse gerechtfertigt seien. Dieses öffentliche Interesse, das grundsätzlich gemeinschaftsrechtlich und gemeinschaftsweit zu werten sei, sei nicht zu erkennen. Von ihm, dem Kläger, trotz eines als gleichwertig anerkannten Diploms und einer langjährigen Berufserfahrung als Kassenarzt noch eine zweijährige Vorbereitungszeit zu verlangen, bedeute sogar eine versteckte Diskriminierung. Die mit dem 1. Januar 1989 durch den deutschen Gesetzgeber eingeführte Altersgrenze von 55 Jahren für die Kassenzulassung könne ihm nicht entgegengehalten werden, weil er bei rechtmäßigem Verwaltungshandeln der Beklagten noch vor dem Inkrafttreten dieser Regelung zugelassen worden wäre. Außerdem könne diese Altersgrenze nicht für Zahnärzte gelten, die ihre kassenzahnärztliche Tätigkeit lediglich fortsetzen wollten.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung der angefochtenen Urteile und Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide die Beklagte zu verurteilen, ihn in das Zahnarztregister einzutragen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und eine Vorlage an den EuGH für nicht geboten.
Entscheidungsgründe
II
1. Das Verfahren ist analog § 114 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auszusetzen, um gemäß Art. 177 EWGV eine Entscheidung des EuGH über die Auslegung von Art. 20 RL 78/686/EWG und Art. 52 EWGV einzuholen, weil die Auslegung der europarechtlichen Vorschriften zweifelhaft und die Entscheidung des Rechtsstreits davon abhängig ist.
Der Kläger wäre gemäß §§ 3, 4 Zahnärzte-ZV vom 28. Mai 1957 (BGBl. I S 582), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Dezember 1991 (BGBl. I S 2325) nur dann in das Zahnarztregister als Voraussetzung seiner Zulassung als Kassenzahnarzt (vgl. § 95 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – ≪SGB V≫) einzutragen, wenn § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 Buchst. b Zahnärzte-ZV insoweit gegen Gemeinschaftsrecht verstieße, als es von Zahnärzten, die ihr Diplom nicht in einem Mitgliedstaat erworben haben, auch dann die Ableistung einer mindestens zweijährigen Vorbereitungszeit verlangt, wenn das Diplom in einem Mitgliedstaat als einem nach dortigem Ausbildungsgang erlangten Diplom gleichwertig anerkannt worden und der Zahnarzt dort wie auch in der Bundesrepublik Deutschland zur Berufsausübung zugelassen ist. Die Frage des Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht ist entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht zweifelsfrei zu verneinen. Der EuGH hat die von den Vorinstanzen erörterten Rechtsfragen des Gemeinschaftsrechts, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden. Die Zweifel ergeben sich schon daraus, daß das Ergebnis dem Gedanken der gemeinschaftsweiten Niederlassungsfreiheit (Art. 52 EWGV) entgegenlaufen würde. Zweifel an der Richtigkeit der Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch die Vorinstanzen ergeben sich aber auch deshalb, weil diese die vorliegende Rechtsprechung des EuGH nicht in vollem Umfang berücksichtigt haben. Der erkennende Senat entnimmt dieser Rechtsprechung, daß sie im Zweifel das Gemeinschaftsrecht in der Weise auslegt, daß die Verwirklichung der Vertragszwecke gefördert wird (vgl. EuGH vom 28. April 1977, Rs 71/76, EuR 1977, 285 mit Anm. Nicolaysen). Jedenfalls vermag der Senat angesichts der Eigenheiten des Gemeinschaftsrechts und der besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung nicht mit hinreichender Sicherheit vorauszusagen, daß auch der EuGH und die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten i.S. der Vorinstanzen entscheiden würden. Schon daraus folgt, daß das Bundessozialgericht (BSG) als letztinstanzlich angerufenes innerstaatliches Gericht zur Vorlage an den EuGH verpflichtet ist, auch um diesem Gelegenheit zu geben, die Gemeinschaftsrechtsordnung gemäß den Zielen der Gemeinschaft fortzuentwickeln und die Lücken des nur rudimentär im Vertrag angelegten Rechts unter Rückgriff auf den erworbenen Rechtsbestand und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die den Mitgliedstaaten gemeinsam sind, zu füllen (vgl EuGH, Rs 283/81, EuGHE 1982 S 3415; Wohlfahrt in Grabitz, Komm zum EWG-Vertrag, Stand: Juni 1990, Art. 177 RdNr. 8). Gleichzeitig wird damit dem verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) Rechnung getragen (BVerfGE 73, 339; BVerfG NJW 1992, 678).
2. Auf die Beantwortung der eingangs formulierten Fragen kommt es deshalb an, weil der Kläger allein aufgrund des innerstaatlichen Rechts keinen Anspruch auf die begehrte Eintragung hat. Dem steht allerdings nicht schon die Vorschrift des § 25 Zahnärzte-ZV entgegen, die zusammen mit § 98 Abs. 2 Nr. 12 SGB V durch das Gesundheitsreformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I 2477) mit Wirkung vom 1. Januar 1989 eingefügt worden ist. Nach dieser Vorschrift ist die Zulassung eines Zahnarztes, der das 55. Lebensjahr vollendet hat, ausgeschlossen. Auch wenn der Kläger seinen Antrag auf Eintragung in das Register als Voraussetzung der Zulassung bereits zu einem Zeitpunkt gestellt hat, als diese Vorschrift noch nicht galt und keine Altersgrenze bestand, ist das neue Recht auch im laufenden Verfahren maßgeblich. Denn der Kläger verfolgt sein Begehren auf Eintragung in das Zahnarztregister im Wege der Verpflichtungsklage i.S. von § 54 Abs. 1 SGG, und es entspricht allgemeiner Auffassung, daß es beim Fehlen von Übergangsvorschriften dann auf die zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung geltende Gesetzesfassung ankommt (vgl. BSGE 68, 47, 48 – SozR 3-2500 § 159 Nr. 1; BSGE 43, 1, 5 = SozR 2200 § 690 Nr. 4; Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 4. Aufl. § 54 RdNr. 34). Vorliegend geht es aber noch nicht um die Zulassung, über die ein von Kassenzahnärzten und Krankenkassenvertretern paritätisch besetzter Zulassungsauschuß zu entscheiden hat (§§ 19, 34 Zahnärzte-ZV), sondern um die dafür erforderliche Voraussetzung der Eintragung im Register, für die die kassenzahnärztliche Vereinigung zuständig ist (§§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 Zahnärzte-ZV).
Zwar könnte das Rechtsschutzinteresse des Klägers an der begehrten Eintragung zweifelhaft sein, wenn bereits mit Sicherheit feststünde, daß er nicht zugelassen werden kann. Das ist aber nicht der Fall. § 25 Zahnärzte-ZV verbietet nicht allgemein eine kassenzahnärztliche Tätigkeit jenseits des 55. Lebensjahres, sondern betrifft nur Erstzulassungen (vgl. Hess in KassKomm § 98 RdNr. 31; ders. ebendort § 95 RdNrn 47 bis 49). Es kann dahinstehen, ob diese neu eingeführte Altersgrenze allgemein gegen das in Art. 12 Grundgesetz (GG) normierte Grundrecht der Berufsfreiheit verstößt (vgl. dazu Gassner, DÖV 1989, S 580 f). Denn § 25 Zahnärzte-ZV sieht in Satz 2 vor, daß der Zulassungsausschuß in Ausnahmefällen davon abweichen kann, soweit dies zur Vermeidung von unbilligen Härten geboten ist, und dieser Entscheidung darf nicht vorgegriffen werden. Dem Kläger könnte in dem Fall, daß ihm die Eintragung ins Zahnarztregister und damit auch die Zulassung noch vor Inkrafttreten der Neuregelung zu Unrecht verweigert worden ist, die Härtefallklausel zuzubilligen sein. Zwar mag im Gesetzgebungsverfahren dabei an andere Fälle gedacht worden sein, wie etwa solchen, in denen der Arzt zur Sicherung seiner beruflichen Existenz auf die Kassenzulassung angewiesen ist (vgl. Regierungsentwurf zum GRG zu § 106 Abs. 2, BT-Drucks 11/2237 S 195). Ob das beim Kläger der Fall wäre, ist bislang nicht festgestellt und kann hier offenbleiben. Denn der unbestimmte Rechtsbegriff der „unbilligen Härte” ist allgemein zu verstehen; seine Voraussetzungen können auch dann vorliegen, wenn nur auf diese Weise Folgen eines rechtswidrigen Verwaltungshandelns wiedergutgemacht werden könnten, die auf den endgültigen Verlust eines Rechtsanspruchs mit erheblichen wirtschaftlichen Auswirkungen hinausliefen, ohne daß übergeordnete Gesichtspunkte des Gemeinwohls dies gebieten würden (vgl. zur Annahme einer „besonderen Härte” beim Fehlverhalten eines Versicherungsträgers BSGE 56, 266, 270 ff – SozR 2200 § 1418 Nr. 8). Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hat in vergleichbaren Fällen zum Berufs- und Gewerberecht entschieden, daß ein nach früherem Recht zu Unrecht versagter Rechtsanspruch auch nach eingetretener Rechtsänderung noch zu erfüllen sei, und dies aus dem Rechtsstaatsgedanken (BVerwG DVBl 1959, 775, 776; 1960, 778; 1961, 447) oder dem Gesichtspunkt der Folgenbeseitigung (BVerwG DVBl 1968, 641) begründet, der „zu einer Ermessensreduzierung auf Null” infolge des vorausgegangenen rechtswidrigen Verwaltungshandelns führen könne. Wäre im Falle des Klägers wegen rechtswidriger Verweigerung der Eintragung vor Inkrafttreten der Neuregelung eine unbillige Härte zu bejahen, könnte auch hier ein Ermessensspielraum der Zulassungsinstanzen nicht mehr angenommen werden (so auch Hess in KassKomm § 95 RdNr. 49).
Der Registereintragung des Klägers, dem die nach § 3 Abs. 2 Buchst. a Zahnärzte-ZV erforderliche Approbation als Zahnarzt nach § 13 Abs. 1 des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 29. Juli 1964 (BGBl. I S 560) durch die zuständige Landesbehörde bereits 1981 verliehen worden ist, steht nach innerstaatlichem Recht allein § 3 Abs. 2 Buchst. b Zahnärzte-ZV über die zweijährige Vorbereitungszeit entgegen. Soweit hiernach bei Anerkennung eines „EG-Diploms” in einem engeren, Gleichstellungsbescheide nicht umfassenden Sinne die Vorbereitungszeit entfällt, während bei einem nicht grenzüberschreitenden Sachverhalt die Vorbereitungszeit abzuleisten ist, verstößt das – wie das BSG bereits entschieden hat – weder gegen deutsches Verfassungsrecht noch gegen Gemeinschaftsrecht, insbesondere nicht gegen den Gleichheitssatz (vgl. BSGE 65, 89 = SozR 5525 § 3 Nr. 1; Blumenwitz, NJW 1989, 621, 625; kritisch dazu Reiter, ZfSH/SGB 1991, 1, 6). Wird die erste Vorlagefrage dahin beantwortet, daß EG-Ausländer in Deutschland bei der Zulassung als Kassenzahnarzt von der Vorbereitungszeit auch dann befreit sind, wenn sie ihre Zulassung zur Berufsausübung in Deutschland aufgrund eines deutschen Diploms oder eines von Deutschland anerkannten Diploms eines Drittstaates erlangt haben, so kann gegenüber dieser Vergleichsgruppe die Vorbereitungszeit für Deutsche gleichheitswidrig sein.
Die Ausnahme von der zweijährigen Vorbereitungszeit nach § 3 Abs. 4 Zahnärzte-ZV gilt schon dem Wortlaut nach nur für Zahnärzte, die in einem anderen Mitgliedstaat der europäischen Gemeinschaften ein nach den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften anerkanntes Diplom erworben haben und zur Berufsausübung zugelassen sind. Der Kläger ist zwar sowohl nach belgischem als auch nach deutschem Recht zur Berufsausübung zugelassen. Ihm fehlt aber das in einem anderen Mitgliedstaat nach gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften erworbene Diplom; das wäre gemäß Art. 3 Buchst. b RL 78/686/EWG in Belgien das „diplôme légale de licencié en science dentaire” (zahnärztliches Diplom), ausgestellt von der medizinischen Fakultät einer Universität oder vom Hauptprüfungsausschuß oder von den staatlichen Prüfungsausschüssen für Hochschulen. Stattdessen besitzt der Kläger lediglich ein von dem zuständigen belgischen Minister als diesem gleichwertig anerkanntes türkisches Universitätsdiplom.
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß der Verordnungsgeber bei der Neufassung des § 3 Abs. 4 Zahnärzte-ZV durch Art. 1 Nr. 2 der Verordnung vom 14. Dezember 1983 (BGBl. I 1433) die Befreiung von der Vorbereitungszeit auch auf solche Zahnärzte ausdehnen wollte, die nur ein durch einen Mitgliedstaat als gleichwertig anerkanntes Diplom eines Drittstaates aufweisen. Der Worlaut der Vorschrift ist nicht irrtümlich zu eng gefaßt. Der Verordnungsgeber wollte vielmehr lediglich Art. 20 der RL 78/686/EWG insoweit in innerstaatliches Recht umsetzen, wie dies das Gemeinschaftsrecht vorschrieb. Das läßt sich schon daraus herleiten, daß er die Frist von acht Jahren zur Umsetzung der Richtlinie voll ausgeschöpft hat und gemäß § 3 Abs. 5 Zahnärzte-ZV bei bis zum 30. Juni 1986 gestellten Anträgen auf Eintragung in das Zahnarztregister noch eine Vorbereitungszeit von sechs Monaten verlangt hat. Diese erkennbare Absicht des Verordnungsgebers zur engen Auslegung der Ausnahme von dem Erfordernis der zweijährigen Vorbereitungszeit schließt es aus, den Anwendungsbereich der Norm schon nach innerstaatlichen Regeln über ihren Wortlaut hinaus auszudehnen. Der Senat läßt offen, ob der Ausschluß von Bewerbern wie dem Kläger, der ein von einem Mitgliedstaat als gleichwertig anerkanntes Diplom eines Drittstaates vorweisen kann, gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG verstößt, eine Feststellung, die der Senat in eigener Zuständigkeit grundsätzlich treffen könnte, ohne die Sache gemäß Art. 100 GG dem BVerfG vorlegen zu müssen, weil es sich um Verordnungsrecht handelt. Denn diese Frage ist unlösbar mit der Auslegung europäischen Gemeinschaftsrechts verknüpft und kann nicht anders entschieden werden als auf der supranationalen Ebene. Dafür ist vorrangig der EuGH zuständig. Ihm obliegt es auch, auf der Gemeinschaftsebene über die Beachtung der von allen Mitgliedstaaten anerkannten Grundrechte des Einzelnen zu wachen, wozu auch der allgemeine Gleichheitssatz zählt (BVerfGE 73, 339 f).
3. Zu Frage 1)
Die Frage 1 zielt dahin, ob Art. 20 RL 78/686/EWG als Voraussetzung die Beteiligung eines EG-Ausländers genügen läßt, oder zusätzlich die Anerkennung eines EG-Diploms erfordert. Im letzteren Fall umschließt sie die Frage, ob die Anerkennung eines Dritt-Diploms durch einen anderen Mitgliedstaat einem EG-Diplom gleichsteht.
Art. 20 RL 78/686/EWG lautet:
„Mitgliedstaaten, die von ihren eigenen Staatsangehörigen für die Zulassung zur Tätigkeit als Kassenzahnarzt die Ableistung einer Vorbereitungszeit verlangen, können diese während eines Zeitraums von acht Jahren von der Bekanntgabe der Richtlinie an auch von den Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten verlangen. Die Dauer der Vorbereitungszeit darf jedoch sechs Monate nicht überschreiten.”
Die Vorschrift erlaubt den Mitgliedstaaten die Forderung einer Vorbereitungszeit für die Zulassung als Kassenzahnarzt in den angeführten Grenzen auch gegenüber den Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten. Sie besagt im Umkehrschluß, daß im übrigen die Forderung einer Vorbereitungszeit gegenüber EG-Ausländern verboten ist. Die Vorschrift regelt die Zulassung als Kassenzahnarzt, nicht die Zulassung zur Berufsausübung als Zahnarzt. Die Anwendung der Vorschrift auf die Zulassung als Kassenzahnarzt setzt stillschweigend voraus, daß der EG-Ausländer nach dem Recht des Niederlassungsstaats bereits zur Berufsausübung als Zahnarzt zugelassen ist.
Die Zulassung zur Berufsausübung kann bei einem EG-Ausländer beruhen
- auf der Anerkennung eines EG-Diploms im engeren Sinne,
- auf einem inländischen Diplom
- auf einem vom Niederlassungsstaat anerkannten Dritt-Diplom und
- möglicherweise auch auf einem von einem anderen Mitgliedstaat anerkannten Dritt-Diplom.
Die mit der Rechtsauffassung der Beklagten übereinstimmende Meinung der Vorinstanzen, diese Vorschrift beziehe sich nur auf solche Gemeinschaftsangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat ein nach den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften anerkanntes Diplom erworben haben, weil sich die gesamte Richtlinie nur mit der gegenseitigen Anerkennung solcher Diplome befasse, findet im Wortlaut des Art. 20 der Richtlinie keine Stütze. Art. 20 gilt nach seinem Wortlaut für alle EG-Ausländer mit Berufszulassung, ohne nach der Grundlage der Berufszulassung zu unterscheiden.
Zutreffend ist allerdings, daß in der Richtlinie vorrangig die gegenseitige Anerkennung von Diplomen geregelt wird, die in einem der Mitgliedstaaten erworben worden sind. Das ergibt sich eindeutig daraus, daß Art. 3 Buchst. a Nr. 2 der Richtlinie für in der früheren Deutschen Demokratischen Republik erworbene Diplome, die in der Bundesrepublik Deutschland als gleichwertig anerkannt worden sind, eine Gleichstellung ausdrücklich angeordnet hat, bis sie durch die deutsche Einigung entbehrlich geworden ist (vgl. Art. 4 RL 90/658/EWG vom 4. Dezember 1990 – ABl Nr. L 353/73). Die RL 78/686/EWG befaßt sich aber schon nach ihrer Überschrift nicht nur mit der gegenseitigen Anerkennung von Diplomen, sondern auch allgemein mit Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr. Es handelt sich um eine Koordinierungsrichtlinie zur weiteren Angleichung des Rechts der Mitgliedstaaten, die nach der vorangestellten Begründung des Rates neben dem Grundsatz der Inländergleichbehandlung erforderlich ist, um das Recht der freien Niederlassung und des freien Dienstleistungsverkehrs tatsächlich ausüben zu können. Die gegenseitige Anerkennung von Diplomen ist dabei nur eine von vielen dazu erforderlichen Maßnahmen. Die genannte Richtlinie trifft darüber hinaus auch Bestimmungen über die Anerkennung von Zuverlässigkeitsnachweisen und Gesundheitszeugnissen (Art. 9 und Art. 11), die für die Ausübung der Tätigkeit als Zahnarzt vorausgesetzt werden. Art. 13 regelt Fristen für das Zulassungsverfahren zur Berufsausübung. Diese Vorschriften zwingen nicht zu dem Schluß, daß sie sich nur auf solche Zahnärzte beziehen sollen, die über ein gegenseitig anzuerkennendes Diplom verfügen.
Zu Frage 2)
Sollte der Anspruch des Klägers auf Eintragung ins Register ohne Ableistung einer Vorbereitungszeit nicht allein aus Art. 20 RL begründet sein, könnte dies aber im Zusammenhang mit dem Vertragsrecht der Fall sein. Der Senat folgt nicht der Auffassung der Vorinstanzen, daß das Recht der freien Niederlassung nur nach Maßgabe des sekundären Gemeinschaftsrechts, hier in Form der Richtlinie, bestehen könne. Dies entspricht nicht der Rechtsprechung des EuGH. Von diesem ist seit langem anerkannt, daß seit Ablauf der Übergangszeit aus dem Vertrag unmittelbar Rechte hergeleitet werden können, auch soweit die vorgesehenen Richtlinien noch nicht ergangen sind. Art. 52 EWGV begründet den Anspruch auf Inländergleichbehandlung und bedeutet ein absolutes Diskriminierungsverbot, sei es in offener oder versteckter Form (EuGH, Rechtssache 11/77 – Patrick, EuGHE 1977, 1199; Rechtssache 71/76 – Thieffry, EuR 1977, 285; Rechtssache 107/83, DVBl 1985, S 337; Rechtssache 96/85, EuGHE 1986, 1475). Daneben obliegt es nach Art. 5 EWGV den Vertragsstaaten als verbindliche Rechtspflicht, alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus dem Vertrag oder aus den Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben, zu treffen und alle Maßnahmen zu unterlassen, welche die Verwirklichung der Ziele des Vertrages gefährden könnten. Daraus hat der EuGH u.a. die Verpflichtung zur Zulassung von Rechtsanwälten zur Berufsausübung hergeleitet, obwohl Koordinierungsrichtlinien noch nicht erlassen sind und die Rechtsanwälte formal Inländern gleichbehandelt worden sind (vgl. Rechtssachen 71/76 und 107/83 a.a.O.). Auch die in Richtlinien nicht geregelte Zulassung von Zweigpraxen für Ärzte und Zahnärzte hat der EuGH unmittelbar aus dem Vertrag begründet (Rechtssache 96/85 a.a.O.).
Zu den Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts gehört auch der allgemeine Gleichheitssatz (vgl. z.B. EuGH Rechtssache 245/81 – Edeka, EuGHE 1982, 2745; Grabitz, Komm zum EWG-Vertrag, Art. 7 RdNr. 24). Er besagt, daß eine Ungleichbehandlung nur gerechtfertigt ist, wenn sich ein aus der Natur der Sache gegebener oder sonstwie einleuchtender Grund für die Differenzierung finden läßt (Grabitz, a.a.O. Art. 7 RdNr. 11 in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 1, 14, 52).
Ob sich ein solcher einleuchtender Grund für eine unterschiedliche Behandlung von Zahnärzten bei dem Erfordernis einer Vorbereitungszeit finden läßt, je nach dem, ob sie ein nach Maßgabe der Richtlinie anzuerkennendes Diplom eines Mitgliedstaats oder (nur) ein von dem Mitgliedstaat als gleichwertig anerkanntes Diplom eines Drittstaates besitzen, erscheint zweifelhaft. Dies gilt besonders dann, wenn die Gleichwertigkeitsanerkennung – wie im Falle des Klägers – nach einer praktischen und theoretischen Prüfung vor Hochschuldozenten ausgesprochen worden ist, welche auch allgemein für die Abnahme von Hochschulprüfungen zuständig sind; solche Hochschulprüfungen führen nach der Richtlinie ohne weiteres zu anzuerkennenden Diplomen. Selbst wenn die RL 78/686/EWG Diplome von Drittstaaten nicht erfaßt und Art. 20 sich nur auf Inhaber von EG-Diplomen beziehen sollte, könnte der Kläger bei vertragskonformer Anwendung der Richtlinie im Lichte des Gleichheitsgrundsatzes einen Anspruch auf Kassenzulassung ohne Ableistung einer Vorbereitungszeit haben. Auch Art. 1 Buchst. a der RL 89/48/EWG, der bei der allgemeinen Regelung zur Anerkennung von Hochschuldiplomen anerkannte Diplome aus Drittstaaten und eine dreijährige Berufserfahrung ausreichen läßt, könnte, wie vom Kläger zu Recht hervorgehoben, in diese Richtung weisen, selbst wenn Art. 2 dieser Richtlinie den Vorrang von Einzelrichtlinien für besondere Berufsgruppen klarstellt.
Zu Frage 3)
Wenn es im allgemeinen unter Beachtung des Gleichheitssatzes nicht zu beanstanden sein sollte, zwischen Inhabern von anerkannten EG-Diplomen und (nur) als gleichwertig anerkannten Diplomen eines Drittstaates hinsichtlich der Vorbereitungszeit zu differenzieren, so könnte sich dennoch aus dem grundsätzlichen Recht der freien Niederlassung nach Art. 52 EWGV zumindest der Anspruch des Klägers ergeben, die Notwendigkeit einer Vorbereitungszeit unter Berücksichtigung seiner bisherigen Berufserfahrung zu prüfen und dies nicht allein wegen des Fehlens des in der Richtlinie ausdrücklich genannten Befähigungsnachweises zu verneinen (vgl. dazu EuGH, Rechtssache C-340/89, AnwBl 1991, 406 betreffend die Zulassung zum Anwaltsberuf). Das Verlangen nach Ableistung einer zweijährigen Vorbereitungszeit, die nach § 3 Abs. 3 Zahnärzte-ZV eine mindestens sechsmonatige Tätigkeit als Assistent oder Vertreter eines Kassenzahnarztes umfaßt, die durch Anrechnung einer Tätigkeit in einer Universitätszahnklinik allenfalls auf drei Monate verkürzt werden kann, bedeutet für den Kläger ein erhebliches Hindernis bei der Verwirklichung seiner Absicht, seine Kassenpraxis von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu verlegen. Es mutet ihm Tätigkeiten zu, die typischerweise nur Berufsanfängern abverlangt werden. Es mag zwar zutreffen, daß die Besonderheiten der kassenzahnärztlichen Tätigkeit in Deutschland eine gewisse Einarbeitung erfordern. Für einen berufserfahrenen Zahnarzt, wie den Kläger, der bereits mit einem Kassensystem vertraut ist, muß aber nicht dasselbe wie für einen Berufsanfänger gelten. Was die Beherrschung der Abrechnungsmodalitäten angeht, ist darauf hinzuweisen, daß nach § 17 Zahnärzte-ZV ohnehin die Teilnahme an einem Einführungslehrgang für die kassenzahnärztliche Tätigkeit vorgeschrieben ist, jedoch nicht schon als Voraussetzung für die Eintragung im Register, sondern erst für die Zulassung.
Fundstellen