Beteiligte
Tenor
Das Verfahren wird ausgesetzt. Dem Europäischen Gerichtshof werden gemäß Art 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (idF des Amsterdamer Vertrages vom 2. Oktober 1997, BGBl II 387) folgende Fragen zur Entscheidung vorgelegt:
1. Ist Art 13 des Beschlusses Nr 1/80 des Assoziationsrates über die Entwicklung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 19. September 1980 so auszulegen, daß er einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft die Einführung nationaler Regelungen verbietet, die im Vergleich zu der am 1. Dezember 1980 geltenden nationalen Rechtslage allgemein für türkische Arbeitnehmer neue Beschränkungen des Zugangs zum Arbeitsmarkt vorsehen, oder bezieht sich das Verbot der Einführung neuer Beschränkungen gemäß Art 13 des Beschlusses Nr 1/80 nur auf den Zeitpunkt des erstmaligen ordnungsgemäßen Aufenthalts und der erstmaligen ordnungsgemäßen Beschäftigung eines Arbeitnehmers?
2. Ist Art 13 des Beschlusses Nr 1/80 des Assoziationsrates über die Entwicklung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 19. September 1980 auch auf in der Türkei beschäftigte Arbeitnehmer anzuwenden, die als Fernfahrer im grenzüberschreitenden Güterverkehr regelmäßig einen Mitgliedstaat der Gemeinschaft durchfahren, ohne dem regulären Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaates anzugehören?
3. Ist Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls zu dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 23. November 1970 so auszulegen, daß
- ein türkischer Arbeitnehmer berechtigt ist, sich auf eine protokollwidrige Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs zu berufen, und – falls ja –
- auch dann eine neue Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs vorliegt, wenn ein Mitgliedstaat der Gemeinschaft ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls den Zugang türkischer Arbeitnehmer zum Arbeitsmarkt beschränkt und dadurch für türkische Unternehmer, bei denen die Arbeitnehmer beschäftigt sind, die Teilnahme am freien Dienstleistungsverkehr erschwert?
Gründe
I
Die Kläger begehren die Feststellung, daß sie als Fernfahrer im grenzüberschreitenden Güterverkehr keiner Arbeitserlaubnis bedürfen.
Die Kläger sind türkische Staatsangehörige, wohnen in der Türkei und sind hauptsächlich als Kraftfahrer im grenzüberschreitenden Güterverkehr tätig. Sie sind angestellt bei B. Ltd St in M. in der Türkei (B. Ltd), nach den Ausführungen des Landessozialgerichts (LSG) einem „Zweigbetrieb” der in Stuttgart ansässigen B. GmbH. Die B. Ltd bzw die B. GmbH importieren Obst und Gemüse, das größtenteils aus eigener Aufzucht stammt, nach Deutschland. Die Ware wird mittels Lastkraftwagen, die auf die B. GmbH in Deutschland zugelassen sind und die (ua) von den Klägern gefahren werden, von der Türkei nach Deutschland transportiert.
Die Beklagte hatte den Klägern jeweils bis einschließlich 30. September 1996 befristete Arbeitserlaubnisse erteilt. Für die Zeit danach lehnte die Beklagte die Erteilung von Arbeitserlaubnissen ab. Auf die Klagen hat das Sozialgericht (SG) festgestellt, daß die Kläger, die auf den Lastkraftwagen der B. GmbH im grenzüberschreitenden Güterverkehr tätig sind, keiner Arbeitserlaubnis bedürfen (Urteile vom 27. Oktober 1998). Das LSG hat die Berufungen zurückgewiesen (Urteil vom 25. Juli 2000) und hat zur Begründung ausgeführt: Die Kläger benötigten (auch) zukünftig keine Arbeitserlaubnis bei ihrer Tätigkeit im grenzüberschreitenden Verkehr für die in Deutschland zurückgelegten Strecken. Dies folge aus der Stillhalteklausel des Art 13 des Beschlusses Nr 1/80 des Assoziationsrates über die Entwicklung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 19. September 1980 (ARB Nr 1/80), der den Rechtszustand, der zu Beginn der Beschäftigung der türkischen Fahrer in Deutschland bestanden habe, konserviere. Die Stillhalteklausel erfasse auch die streitrelevante Beschäftigung türkischer Fahrer, deren Tätigkeit im grenzüberschreitenden Güterverkehr auf deutschen Teilstrecken zu dem in Art 3 ARB Nr 1/80 benannten Arbeitsmarkt gehöre. Der Schutz des inländischen Arbeitsmarktes, der in Fällen wie dem vorliegenden nur marginal berührt werde, erlaube keine restriktive Interpretation. Die auf die deutschen Teilstrecken entfallenden Beschäftigungen der Kläger seien ursprünglich ordnungsgemäß iS des Art 13 ARB Nr 1/80 gewesen; denn sie hätten nach § 9 Nr 2 der Arbeitserlaubnisverordnung (AEVO) in der ursprünglichen und auch in der ab 1. September 1993 geltenden Fassung als fahrendes Personal im grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr keiner Arbeitserlaubnis bedurft. Mit der Neufassung des § 9 Nr 2 AEVO zum 10. Oktober 1996, wonach Arbeitserlaubnisfreiheit nur noch für fahrendes Personal bei Arbeitgebern mit Sitz im Ausland bestehe, „sofern das Fahrzeug im Sitzstaat des Arbeitgebers zugelassen ist”, sowie mit der ab 25. September 1998 geltenden inhaltsgleichen Regelung des § 9 Nr 3a der Arbeitsgenehmigungsverordnung (ArGV) sei unter Verstoß gegen Art 13 ARB Nr 1/80 eine wesentliche Beschränkung des Zugangs der in Rede stehenden türkischen Kraftfahrer zum deutschen Arbeitsmarkt eingetreten.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 9 Nr 2 AEVO bzw des § 9 Nr 3a ArGV: Die letztgenannte Bestimmung sehe keine Arbeitsgenehmigungsbefreiung für Arbeitnehmer in Deutschland ansässiger Arbeitgeber vor. Ein Recht auf arbeitsgenehmigungsfreie Tätigkeit könne auch nicht aus der vor 1996 bzw vor 1993 geltenden Rechtslage hergeleitet werden. Für Arbeitskräfte sei eine Stillhalteklausel in der Form des Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls zu dem Abkommen nicht vorgesehen. Art 13 ARB Nr 1/80 beziehe sich ausdrücklich nur auf türkische Arbeitnehmer, die sich bereits ordnungsgemäß im Hoheitsgebiet eines EU-Mitgliedstaates aufhielten und finde somit im vorliegenden Fall keine Anwendung. Die für die Argumentation des LSG entscheidende Rechtsänderung sei nicht erst 1996, sondern bereits 1993 eingetreten. Seit 1993 gelte die Arbeitserlaubnisbefreiung nur noch für Beschäftigte eines im Ausland ansässigen Arbeitgebers; die aufgrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) – Urteil vom 10. März 1994, 7 RAr 44/93 – eingeräumte Übergangsregelung zugunsten von Beschäftigten, die bereits vor Einführung der Regelung von 1993 im Betrieb eines in Deutschland ansässigen Arbeitgebers tätig gewesen seien, greife daher ebenfalls nicht. Die Rechtsänderungen von 1996 und 1993 könnten nicht als gegen das Verschlechterungsverbot des Art 41 des Zusatzprotokolls verstoßende Regelungen gewertet werden. Würde der Verzicht auf eine Stillstandsklausel im Assoziationsrecht zur Arbeitnehmer-Freizügigkeit dadurch „ausgehebelt”, daß die Stillstandsklausel des Art 41 zum Dienstleistungsrecht mittelbare Wirkungen auf das Recht des Arbeitsmarktzugangs entfalten könnte, widerspräche dies Sinn und Zweck des Assoziationsabkommens.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG vom 25. Juli 2000 und die Urteile des SG vom 27. Oktober 1998 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten Urteile der Vorinstanzen für zutreffend. Die vom BSG im Urteil vom 10. März 1994 aufgestellten Grundsätze müßten auch hinsichtlich der vor dem 10. Oktober 1996 durchgehend bei einem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland beschäftigten Kläger gelten. Auch bei der vorliegend in Frage stehenden Neuregelung des § 9 Nr 2 AEVO sei keine Übergangsregelung getroffen worden. Ein Anspruch auf Feststellung der Arbeitserlaubnisfreiheit folge zudem unmittelbar aus Art 13 ARB Nr 1/80. Hilfsweise werde auf Art 6 ARB Nr 1/80 hingewiesen, wonach ein türkischer Arbeitnehmer nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung einen Anspruch auf Erneuerung der Arbeitserlaubnis beim gleichen Arbeitgeber habe. Die Kläger hätten bereits in der Zeit von vor 1993 bis 1996 einen beschäftigungsrechtlichen Status erlangt, den ihnen die Revisionsklägerin nicht mehr einseitig nehmen könne.
II
Das Verfahren ist auszusetzen.
Der Senat sieht sich an einer Entscheidung des Rechtsstreits dadurch gehindert, daß die Beantwortung der aus dem Entscheidungssatz ersichtlichen Fragen nicht ohne vernünftige Auslegungszweifel möglich ist und legt sie deshalb dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vor.
1. Nach dem anzuwendenden deutschen Recht sind die Kläger als Arbeitnehmer eines türkischen Arbeitgebers nicht berechtigt, im grenzüberschreitenden Güterverkehr auf in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen in Deutschland arbeitserlaubnisfrei tätig zu werden.
a) Das Feststellungsbegehren der Kläger (vgl § 55 Abs 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz) ist auf die Arbeitserlaubnisfreiheit ihrer derzeitigen Beschäftigungen gerichtet. Abzustellen ist jeweils auf die Rechtslage, die das im Streit befindliche Rechtsverhältnis erfaßt (BSGE 2, 188, 192; 3, 95, 103; 74, 90, 92 = SozR 3-4210 § 9 Nr 1), also die derzeit geltenden Bestimmungen. Nach § 9 Nr 3a ArGV – erlassen auf Grund des § 288 Abs 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – bedarf keiner Arbeitsgenehmigung das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Güterverkehr bei Arbeitgebern mit Sitz im Ausland, wenn das Fahrzeug im Sitzstaat des Arbeitgebers zugelassen ist. Nach den Ausführungen im Urteil des LSG waren die Kläger bei der B. Ltd, einer türkischen Firma, angestellt. Zugunsten der Kläger kommt deshalb in Betracht, daß sie derzeit bzw in Zukunft als Fernfahrer für einen Arbeitgeber mit Sitz im Ausland tätig werden wollen. Es fehlt aber jedenfalls an der für die Arbeitserlaubnisfreiheit gemäß § 9 Nr 3a ArGV weiter erforderlichen Voraussetzung der Zulassung des jeweiligen Fahrzeugs im Sitzstaat des Arbeitgebers; denn die von den Klägern benutzten bzw in Zukunft zu benutzenden Fahrzeuge sind in Deutschland, nicht in der Türkei zugelassen.
b) Auch unter dem von den Klägern angeführten Gesichtspunkt des Fehlens einer Übergangsregelung bzw des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit entsprechend dem Urteil vom 10. März 1994 (BSGE 74, 90 = SozR 3-4210 § 9 Nr 1) ist die Tätigkeit der Kläger nicht arbeitserlaubnisfrei. Richtig ist allerdings, daß vor dem 1. September 1993 allgemein das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Güterverkehr von der Arbeitserlaubnispflicht ausgenommen war (§ 9 Nr 2 AEVO in der bis 31. August 1993 geltenden Fassung), daß für die Zeit vom 1. September 1993 bis 9. Oktober 1996 § 9 Nr 2 AEVO idF der Verordnung vom 1. September 1993 Arbeitserlaubnisfreiheit für das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Güterverkehr „bei Arbeitgebern mit Sitz im Ausland” vorsah und daß für die Zeit ab 10. Oktober 1996 § 9 Nr 2a AEVO idF der Verordnung vom 30. September 1996 – ebenso wie später § 9 Nr 3a ArGV – für die Arbeitserlaubnisfreiheit des fahrenden Personals im grenzüberschreitenden Güterverkehr bei Arbeitgebern mit Sitz im Ausland zusätzlich forderte, daß „das Fahrzeug im Sitzstaat des Arbeitgebers zugelassen ist”. Die genannte BSG-Entscheidung vom 10. März 1994 bezieht sich jedoch nur auf die Beschäftigung von Ausländern bei einem Arbeitgeber mit Sitz im Inland; zugunsten deutscher Arbeitgeber, die nach der alten Rechtslage Ausländer arbeitserlaubnisfrei beschäftigt hatten, sollte bei unveränderter Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer über den 1. September 1993 hinaus unter dem Blickwinkel des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eine stillschweigende Übergangsregelung eingreifen. Diese Erwägungen sind auf die Beschäftigung von Arbeitnehmern bei türkischen Arbeitgebern nicht übertragbar. In dem vom BSG entschiedenen Fall waren ausländische Fahrer zu deutschen Bedingungen (insbesondere deutschen Löhnen) beschäftigt; dagegen sollen in Fällen wie dem vorliegenden türkische Fahrer zu Bedingungen der Türkei, also zu wesentlich niedrigeren Löhnen, auf deutschen Fahrzeugen zum Einsatz kommen, womit den beteiligten Unternehmern Wettbewerbsvorteile verschafft werden. Wenn unter diesen Umständen die Änderung der AEVO von 1996 einer offenbar zunehmend genutzten Möglichkeit des vorteilhaften Einsatzes ausländischer Arbeitnehmer entgegenwirkt, gleichzeitig aber den Betroffenen für eine Übergangszeit durch die Erteilung befristeter Arbeitserlaubnisse (auf der Grundlage des § 8 Anwerbestoppausnahme-Verordnung) Gelegenheit gegeben wird, sich auf die neue Situation einzustellen, so ist dies unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden.
2. Die von den Klägern begehrte Arbeitserlaubnisfreiheit könnte sich jedoch aus Art 13 des ARB Nr 1/80 oder aus Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen vom 23. November 1970 ergeben.
Art 13 ARB Nr 1/80 hat folgenden Wortlaut:
„Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei dürfen für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.”
Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls lautet:
„Die Vertragsparteien werden untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen.”
Neue Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt iS des ARB Nr 1/80 bzw neue Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs iS des Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls könnten in den bereits genannten Änderungen der AEVO zum 1. September 1993 bzw zum 10. Oktober 1996 gesehen werden. Dabei kann zunächst dahinstehen, ob auch mit der ab 10. Oktober 1996 geltenden Fassung des § 9 Nr 2a AEVO die Voraussetzungen der Arbeitserlaubnisfreiheit für Fahrer im grenzüberschreitenden Güterverkehr „konstitutiv” neu geregelt worden sind oder ob es sich – so die Beklagte – nur um eine Klarstellung handelt, weil für ausländische Unternehmen bereits vor dem 10. Oktober 1996 die Verwendung von in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeugen nach den güterkraftverkehrsrechtlichen Vorschriften grundsätzlich ausgeschlossen war (vgl Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 27. August 1999 und 8. Juni 2000, Bl 44 ff der Revisionsakte). Denn auch dann, wenn es sich bei der Änderung von 1996 nur um eine Klarstellung hinsichtlich der bereits zuvor geltenden Rechtslage handelt, kann für bei ausländischen Arbeitgebern beschäftigte türkische Fernfahrer der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt und dadurch bedingt möglicherweise auch der freie Dienstleistungsverkehr schon durch die Änderung der AEVO zum 1. September 1993 neu beschränkt worden sein.
Nicht zweifelhaft ist, daß Bestimmungen wie Art 13 ARB Nr 1/80 und Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht sein können, die türkischen Arbeitnehmern erlauben, sich unmittelbar auf sie zu berufen (vgl EuGHE I 1990, 3461; I 1994, 5113; I 1997, 329; I 2000, 2927). Im übrigen ergeben sich jedoch hinsichtlich Anwendbarkeit und Reichweite der genannten Bestimmungen mehrere Fragen, die im vorliegenden Fall entscheidungserheblich und bislang nicht oder nicht befriedigend geklärt sind.
a) Fraglich ist zunächst, ob Art 13 ARB Nr 1/80 so zu verstehen ist, daß er den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ab Anwendbarkeit der Bestimmungen des Abschnitts des ARB Nr 1/80 über Fragen betreffend die Beschäftigung und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (1. Dezember 1980, vgl Art 16 Abs 1 ARB Nr 1/80) allgemein jede den Zugang zum Arbeitsmarkt neu beschränkende Regelung untersagen will (Frage 1). Wäre Art 13 ARB Nr 1/80 ähnlich wie Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen dahin zu verstehen, daß er allgemein die Einführung neuer nationaler Beschränkungen des Arbeitsmarktzugangs ab Dezember 1980 verbietet, könnten sich die Kläger im vorliegenden Fall auf das vor dem 1. September 1993 maßgebliche, für sie günstigere Recht berufen (vgl EuGHE I 2000, 2927). Denn die jetzt geltende Fassung des § 9 Nr 3a ArGV ist für fahrendes Personal türkischer Arbeitgeber bei Einsatz auf in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen ungünstiger als die am 1. Dezember 1980 maßgebliche Regelung des § 9 Nr 2 AEVO (Arbeitserlaubnisfreiheit allgemein für fahrendes Personal im grenzüberschreitenden Güterverkehr).
Gegen ein derartiges Verständnis des Art 13 ARB Nr 1/80 spricht allerdings der Wortlaut der Bestimmung, der in bestimmter Hinsicht von Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls abweicht. Während in Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls allgemein von der Verpflichtung der Vertragsparteien, keine neuen Beschränkungen einzuführen, die Rede ist, bezieht sich die entsprechende Verpflichtung der Mitgliedstaaten bzw der Türkei aus Art 13 ARB Nr 1/80 ausdrücklich auf „Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind”. Der Wortlaut spricht deshalb dafür, das Verbot der Einführung neuer Beschränkungen nach Art 13 ARB Nr 1/80 nur auf den Zeitpunkt zu beziehen, zu dem erstmals Aufenthalt und Beschäftigung des Arbeitnehmers im Hoheitsgebiet des betroffenen Staates ordnungsgemäß sind, nicht aber auf den Zeitpunkt der erstmaligen Anwendbarkeit der Bestimmung. Diese Auslegung des Art 13 ARB Nr 1/80 ist jedoch nicht zwingend.
b) Weiter ist zweifelhaft, ob Art 13 ARB Nr 1/80 auch auf in der Türkei beschäftigte Arbeitnehmer wie die Kläger anzuwenden ist, die jeweils als fahrendes Personal einen Mitgliedstaat wie Deutschland lediglich im grenzüberschreitenden Güterverkehr durchfahren, ohne dem regulären Arbeitsmarkt in Deutschland anzugehören (Frage 2).
Für die Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt kommt es darauf an, ob das Arbeitsverhältnis im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats lokalisiert werden kann oder eine hinreichend enge Verknüpfung mit diesem Gebiet aufweist, wobei insbesondere der Ort der Einstellung des türkischen Staatsangehörigen, das Gebiet, in dem oder von dem aus die Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausgeübt wird, und die nationalen Vorschriften im Bereich des Arbeitsrechts und der sozialen Sicherheit zu berücksichtigen sind (EuGHE I 1995, 1475, 1507 f; I 1997, 5143; I 1997, 5179 = SozR 3-6935 Allg Nr 3). Nach diesen Voraussetzungen gehören Arbeitnehmer wie die Kläger, die als Fernfahrer in der Türkei angestellt sind, jedenfalls dann nicht dem regulären deutschen Arbeitsmarkt an, wenn sie – wovon im vorliegenden Fall auszugehen ist – in der Türkei bezahlt werden und den türkischen arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen unterliegen.
Der systematische Standort des Art 13 innerhalb des 1. Abschnitts des Kapitels II des ARB Nr 1/80 („Fragen betreffend die Beschäftigung und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer”) sowie weiterer Regelungen dieses Abschnitts (insbesondere Art 6, 7, 10 und 11) sprechen für die Annahme, daß sich Art 13 ARB Nr 1/80 nur auf Arbeitnehmer bezieht, die dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehören (so auch sinngemäß die Anwendungshinweise des Bundesinnenministeriums, InfAuslR 1999, 13, 15, 18 f). Daß die das deutsche Gebiet nur in eingeschränktem Umfang berührende Tätigkeit von ausländischen Fernfahrern nicht von den Regelungen des Abschnitts 1 in Kapitel II des ARB Nr 1/80, also auch nicht von Art 13, erfaßt wird, könnte sich ua daraus ergeben, daß die Bestimmungen des genannten Abschnitts auf die schrittweise Integration türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen in den Arbeitsmarkt abzielen; die Rechte zur Aufnahme einer weiteren Beschäftigung und demzufolge auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet des jeweiligen Staates (vgl EuGHE I 1990, 3461; I 1992, 6781) sind um so größer, je länger und kontinuierlicher zuvor eine Beschäftigung ordnungsgemäß ausgeübt worden ist. Ob sich solche Rechte auf Fernfahrer, die regelmäßig nur für begrenzte Zeit in das Hoheitsgebiet eines Staates einfahren und dieses dann auch immer wieder verlassen, sachgerecht übertragen lassen, ist fraglich. So verdeutlicht etwa die Tatsache der – für die Arbeitserlaubnisfreiheit nach deutschem Recht erforderlichen – anhaltenden Beschäftigung bei einem ausländischen Arbeitgeber, daß Fernfahrer wie die Kläger überhaupt keine schrittweise zu verfestigende Integration in den deutschen Arbeitsmarkt anstreben, weshalb sich die Kläger im übrigen auch nicht auf Art 6 ARB Nr 1/80 (freier Zugang zu Beschäftigungen nach Tätigkeit innerhalb des regulären Arbeitsmarktes) berufen können.
Die Begrenzung des Anwendungsbereichs des Art 13 ARB Nr 1/80 auf Arbeitnehmer des regulären Arbeitsmarktes ist allerdings nicht zwingend, wie der Standpunkt des LSG zeigt. Seiner Argumentation, der Schutzbereich des Art 13 ARB Nr 1/80 müsse auch im grenzüberschreitenden Verkehr zum Einsatz kommende türkische Arbeitnehmer erfassen, da in Fällen wie dem vorliegenden der inländische Arbeitsmarkt nur marginal berührt werde und folglich eine restriktive Interpretation der Stillhalteklausel nicht angebracht sei, folgt der Senat allerdings nicht. Sie würde nämlich die Mitgliedstaaten und die Türkei ohne Not in ihren Möglichkeiten beschränken, Mißbräuchen auf ihren Arbeits- und Wirtschaftsmärkten wirksam entgegenzutreten. Im übrigen ist zweifelhaft, ob in Fällen vorliegender Art der deutsche Arbeitsmarkt nur marginal berührt wird, wenn – wie im vorliegenden Fall von der Beklagten in den Tatsacheninstanzen geltend gemacht – die Beschäftigung von Fahrern aus Niedriglohnländern auf in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen dazu führt, daß in Deutschland wohnende arbeitslose Fahrer nicht eingestellt werden. Die angesprochene Frage ist deshalb dem EuGH vorzulegen.
c) Nicht zweifelsfrei beantwortet werden kann schließlich die Frage, ob sich ein für die Kläger günstigeres Ergebnis aus Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen vom 23. November 1970 herleiten läßt (Frage 3). Nach den im Fall Savas (EuGHE I 2000, 2927) aufgestellten Grundsätzen könnte in der derzeit geltenden Regelung des § 9 Nr 3a ArGV im Vergleich zur Rechtslage zur Zeit des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls (verkündet mit Gesetz vom 19. Mai 1972, BGBl II 385) eine unter den Anwendungsbereich des Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls fallende Beschränkung gesehen werden, da in dem Zeitpunkt, in dem das Zusatzprotokoll in Deutschland in Kraft getreten ist, die ursprüngliche, ab 1. April 1971 geltende Fassung des § 9 Nr 2 AEVO allgemein Arbeitserlaubnisfreiheit für das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Güterverkehr vorsah.
Allerdings betrifft Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls ausdrücklich nur die Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr, nicht den Zugang zum Arbeitsmarkt. Deshalb stellt sich zunächst die Frage, ob die vorliegend klagenden türkischen Arbeitnehmer, die sich nicht niederlassen und im übrigen nur im Rahmen ihres Beschäftigungsverhältnisses am Dienstleistungsverkehr teilnehmen wollen, befugt sind, Rechte aus einer Regelung zum Schutz des freien Dienstleistungsverkehrs selbst geltend zu machen (Frage 3a). Eine derartige Befugnis von nicht unmittelbar vom Regelungsgehalt des Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls erfaßten Arbeitnehmern ist fragwürdig. Im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art 59 EG-Vertrag (Maastrichter Fassung) sind bisher die Rechte der Unternehmen und eigene Rechte der Arbeitnehmer getrennt betrachtet worden (vgl Schlußanträge des Generalanwalts EuGHE I 1994, 3803, 3812; zur unmittelbaren und individuellen Betroffenheit vgl in anderem Zusammenhang EuGH ZIP 2000, 1025 = NVwZ 2001, 307).
Nur wenn eine Berechtigung der Kläger zu bejahen ist, stellt sich die weitere Frage, ob auch dann eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs iS des Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls vorliegt, wenn durch die Einführung von den Zugang von Arbeitnehmern zum Arbeitsmarkt beschränkenden Vorschriften – hier Abschaffung früherer Arbeitserlaubnisfreiheit für Fernfahrer im grenzüberschreitenden Güterverkehr – mittelbar auch für die Unternehmen, bei denen die Arbeitnehmer beschäftigt sind, die Teilnahme am freien Dienstleistungsverkehr erschwert wird (Frage 3b). Nach der Rechtsprechung des EuGH zu Art 59 und Art 60 EG-Vertrag (Maastrichter Fassung) liegt es nahe, auch dann von einer Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit auszugehen, wenn ein Mitgliedstaat für die Arbeitnehmer von Unternehmen, die zur Erbringung von Dienstleistungen auf seinem Gebiet tätig werden, Regelungen einführt, wonach Arbeitserlaubnisse einzuholen sind (vgl EuGHE I 1990, 1417; I 1994, 3803). Zu klären ist jedoch, ob diese Rechtsprechung auch auf die hier zu beurteilende Konstellation und auf Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls übertragbar ist. So erscheint es fraglich, ob das vom EuGH in den vorgenannten Entscheidungen angeführte Argument, es handle sich nur um einen vorübergehenden Ortswechsel und folglich um kein Auftreten auf dem Arbeitsmarkt (EuGHE I 1990, 1417, 1444 sowie I 1994, 3803, 3825), auch im vorliegenden Fall einer von den Klägern begehrten generellen Arbeitserlaubnisfreiheit bei regelmäßiger Tätigkeit herangezogen werden kann.
Fundstellen