Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache. vermeintliche Verfassungswidrigkeit der Kürzung des Zugangsfaktors bei einem Bezug einer Rente wegen Erwerbsminderung vor Vollendung des 60. Lebensjahres
Orientierungssatz
In einer Begründung zu einer Nichtzulassungsbeschwerde, mit der gerügt wird, dass die Kürzung des Zugangsfaktors bei einem Bezug einer Rente wegen Erwerbsminderung vor Vollendung des 60. Lebensjahres gegen Art 14 Abs 1 sowie Art 3 Abs 1 und Abs 3 S 2 GG verstoße, ersetzt allein der Vortrag, dass bisher eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts diesbezüglich fehle und zwei Verfassungsbeschwerden anhängig seien, die notwendige Darlegung zur Klärungsbedürftigkeit nicht und rechtfertigt keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (vgl ausführlich BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B = SozR 3-1500 § 160a Nr 34).
Normenkette
SGB 6 § 77; SGG § 160 Abs. 2 Nrn. 1-2, § 160a Abs. 2 S. 3; GG Art. 3 Abs. 1, 3 S. 2, Art. 14 Abs. 1
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 24.07.2009; Aktenzeichen L 13 R 123/08) |
SG Köln (Entscheidung vom 24.07.2008; Aktenzeichen S 2 R 180/07) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Juli 2009 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
Mit Beschluss vom 24.7.2009 hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung mit dem ungeminderten Zugangsfaktor 1,0 verneint. Zur Begründung hat es sich dabei auf die Urteile des 5. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 14.8.2008 berufen (B 5 R 32/07 R, B 5 R 88/07 R, B 5 R 140/07 R sowie B 5 R 98/07 R zu Hinterbliebenenrenten).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er stützt sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie eine Divergenz.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Begründung vom 5.11.2009 genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil keiner der in § 160 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
1. Grundsätzlich bedeutsam iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine derartige Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine konkrete Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufzeigen (zum Ganzen vgl BSG vom 25.9.2002, SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
Der Kläger meint, die Kürzung des Zugangsfaktors bei einem Bezug einer Rente wegen Erwerbsminderung vor Vollendung des 60. Lebensjahres verstoße gegen Art 14 Abs 1 sowie Art 3 Abs 1 und Abs 3 Satz 2 des Grundgesetzes (GG). Da er keine Rechtsfrage gestellt hat, ist bereits zweifelhaft, ob er die Grundsatzrüge ausreichend dargelegt hat. Denn es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers eine Rechtsfrage zu formulieren, der möglicherweise grundsätzliche Bedeutung zukommen könnte. Dies kann indes dahinstehen. Ebenso braucht nicht erörtert zu werden, ob der Kläger den der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt hinreichend dargestellt hat (s hierzu Senatsbeschluss vom 26.6.2006, B 13 R 153/06 B, Juris RdNr 9 mwN).
Jedenfalls hat der Kläger nicht ausreichend dargelegt, dass die angedeuteten Fragestellungen klärungsbedürftig sind, also in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht geklärt seien. Vielmehr trägt er selbst vor, dass sich das BSG mit diesen Fragen bereits auseinandergesetzt habe. Hat aber das Revisionsgericht die mit der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen bereits entschieden, muss der Kläger als Beschwerdeführer im Einzelnen darlegen, weshalb die Fragen noch klärungsbedürftig sind (vgl BSG vom 30.9.1992, SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2; BSG vom 29.11.2006, SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN). Die erforderliche intensive Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG lässt die Beschwerdebegründung nicht erkennen. Anlass dafür hätte bereits deshalb bestanden, weil der Kläger selbst vorträgt, das LSG sei davon ausgegangen, die Auslegung des § 77 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch sei durch die Entscheidungen des 5. Senats des BSG vom 14.8.2008 geklärt und an der früheren Rechtsprechung des 4. Senats des BSG in seinem Urteil vom 16.5.2006 (B 4 RA 22/05 R) werde ("vermeintlich") nicht mehr festgehalten. Der Kläger setzt sich jedoch nicht im Einzelnen mit den vom 5. Senat des BSG in den vorgenannten Urteilen angeführten Argumenten auseinander, die für eine Absenkung des Zugangsfaktors auch bei Inanspruchnahme einer Rente wegen Erwerbsminderung vor Vollendung des 60. Lebensjahres sprechen. Allein sein Vortrag, dass bisher eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts betreffend die Kürzung des Zugangsfaktors bei Renten wegen Erwerbsminderung fehle und diesbezüglich zwei Verfassungsbeschwerden anhängig seien, ersetzt die notwendige Darlegung zur Klärungsbedürftigkeit nicht und rechtfertigt keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (vgl ausführlich BSG vom 25.9.2002, SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 ff).
2. Zur formgerechten Rüge des Zulassungsgrundes der Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist in der Beschwerdebegründung nicht nur die Entscheidung genau zu bezeichnen, von der die Entscheidung des LSG abweichen soll; es ist auch deutlich zu machen, worin genau eine Abweichung zu sehen sein soll. Der Beschwerdeführer muss daher darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine die Berufungsentscheidung tragende Abweichung in deren rechtlichen Ausführungen enthalten sein soll. Hierzu muss er einen abstrakten Rechtssatz der vorinstanzlichen Entscheidung und einen abstrakten Rechtssatz aus dem höchstrichterlichen Urteil so gegenüberstellen, dass die Divergenz erkennbar wird. Nicht hingegen reicht es aus, auf eine bestimmte Aussage in einer höchstrichterlichen Entscheidung mit der Behauptung hinzuweisen, das angegriffene Urteil weiche hiervon ab. Schließlich ist darzulegen, dass die berufungsgerichtliche Entscheidung auf der gerügten Divergenz beruhe (BSG vom 16.7.2009, B 4 AS 37/09 B, Juris RdNr 6; BSG vom 29.11.1989, SozR 1500 § 160a Nr 67 S 89 f; BSG vom 29.9.1975, SozR 1500 § 160a Nr 17 S 21 f).
Diese Kriterien erfüllt die Beschwerdebegründung nicht. Der Kläger trägt vor, mit dem Urteil vom 16.5.2006 gebe es eine grundlegend abweichende Entscheidung des BSG, unabhängig von der Frage, dass der damals im Jahre 2006 erkennende Senat nach dem Geschäftsverteilungsplan nicht mehr mit der Angelegenheit befasst sei.
Der Kläger hat bereits keinen abstrakten Rechtssatz des LSG bezeichnet. Zudem hat er nicht aufgezeigt, dass das LSG von aktueller höchstrichterlicher Rechtsprechung abgewichen sei. Ein Berufungsgericht weicht aber nur dann iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG von einer Entscheidung des BSG ab, wenn es einen abstrakten Rechtssatz aufstellt, der der zum selben Gegenstand gemachten und fortbestehend aktuellen abstrakten Aussage des BSG entgegensteht. Für die Zulassung fehlt es an der auch hier erforderlichen Klärungsbedürftigkeit, wenn die (gerügte) Divergenz eine ältere, inzwischen aufgegebene Rechtsprechung des Revisionsgerichts betrifft (vgl BSG vom 19.3.1986, SozR 1500 § 160a Nr 58 S 77). Der Kläger trägt selbst vor, dass sich das LSG auf die Entscheidungen des 5. Senats des BSG vom 14.8.2008 stütze. Aus den dortigen Ausführungen hätte er aber ersehen können, dass die für Streitigkeiten aus der Rentenversicherung zuständigen Senate des BSG (der 5. und der 13. Senat) übereinstimmend die von ihm herangezogene Rechtsprechung des 4. Senats des BSG vom 16.5.2006 aufgegeben haben.
Der Senat sieht von einer weiteren Begründung gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen.
Aus den vorgenannten Gründen kommt die beantragte Aussetzung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens auch in analoger Anwendung des § 114 SGG nicht in Betracht.
Die nicht formgerecht begründete Beschwerde ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen