Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren: Frageantragsrecht bei gerichtlichen Sachverständigengutachten

 

Orientierungssatz

Das Frageantragsrecht bei gerichtlichen Sachverständigengutachten setzt ua voraus, dass das Thema der Befragung hinreichend umrissen wird. Zwar kann von einem Beteiligten nicht verlangt werden, dass er die Fragen, die er dem Sachverständigen stellen will, im Einzelnen ausformuliert. Er muss allerdings den Fragenkomplex konkret umschreiben, zB auf Lücken, Widersprüche oder Unklarheiten hinweisen (vgl. BSG, 12. April 2000, B 9 VS 2/99 R, BSG, 9. Dezember 2010, B 13 R 170/10 B ). Außerdem müssen die Fragen objektiv sachdienlich sein (BSG, 12. April 2000, B 9 VS 2/99 R, BSG, 24. April 2008, B 9 SB 58/07 B).

 

Normenkette

GG § 103 Abs. 1; SGG §§ 62, 116 S. 2

 

Verfahrensgang

Thüringer LSG (Urteil vom 31.08.2016; Aktenzeichen L 3 R 1397/13)

SG Meiningen (Aktenzeichen S 7 R 199/09)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 31. August 2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Mit Urteil vom 31.8.2016 hat das Thüringer LSG einen Anspruch des Klägers auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf Verfahrensmängel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG.

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),

- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Der Kläger rügt zunächst eine Verletzung der tatrichterlichen Sachaufklärungspflicht iS von § 103 SGG.

Hierzu trägt er vor, in der mündlichen Verhandlung am 31.8.2016 die Einholung eines schmerztherapeutischen sowie eines orthopädischen Gutachtens gemäß der Anregung des Sachverständigen Dr. M. beantragt zu haben. Diesen Beweisanträgen sei das LSG zu Unrecht nicht nachgekommen. Die weitere Begutachtung hätte das Ergebnis des Sachverständigen Dr. M. bestätigt, wonach die Leistungsfähigkeit des Klägers gemindert sei.

Mit diesem Vorbringen ist eine Verletzung des § 103 SGG nicht schlüssig bezeichnet.

Der Kläger hat bereits nicht aufgezeigt, im Berufungsverfahren einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt zu haben. Zur Darlegung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags muss nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte mit welchen Beweismitteln der ZPO Beweis erhoben werden sollte. Denn Merkmal eines Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Welche bisher nicht berücksichtigten Gesundheitsstörungen mittels eines orthopädischen und schmerztherapeutischen Gutachtens aufgeklärt werden sollten, gibt die Beschwerdebegründung nicht an.

Soweit der Kläger darüber hinaus rügt, das Berufungsgericht habe die ebenfalls vom Sachverständigen Dr. M. vorgeschlagene Herzkatheteruntersuchung nicht durchführen lassen, hat er bereits nicht dargetan, vor dem LSG einen entsprechenden Beweisantrag gestellt zu haben. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde auf die Verletzung des § 103 SGG jedoch nur gestützt werden, wenn der Beschwerdeführer einen Beweisantrag gestellt hat, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Der Kläger rügt ferner sinngemäß eine Verletzung des § 116 S 2, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO, der auf dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs iS von Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG beruht (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 118 RdNr 12b mwN).

Hierzu trägt er vor, eine Anhörung des Sachverständigen Dr. M. angeregt zu haben.

Mit diesem Vorbringen ist der gerügte Verfahrensfehler nicht schlüssig bezeichnet. Das Frageantragsrecht bei gerichtlichen Sachverständigengutachten setzt ua voraus, dass das Thema der Befragung hinreichend umrissen wird (Keller aaO § 18 RdNr 12d). Zwar kann von einem Beteiligten nicht verlangt werden, dass er die Fragen, die er dem Sachverständigen stellen will, im Einzelnen ausformuliert. Er muss allerdings den Fragenkomplex konkret umschreiben, zB auf Lücken, Widersprüche oder Unklarheiten hinweisen (vgl BSG SozR 3-1750 § 411 Nr 1 S 4; BSG Beschluss vom 9.12.2010 - B 13 R 170/10 B - Juris RdNr 11). Außerdem müssen die Fragen objektiv sachdienlich sein (BSG SozR 3-1750 § 411 Nr 1 S 4; BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 2 RdNr 5).

Der Kläger hat in seiner Beschwerdebegründung nicht dargelegt, dem Berufungsgericht einen konkreten Fragenkomplex im oben dargelegten Sinn vorgetragen zu haben. Ein für den Kläger günstigeres Ergebnis ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des in der Beschwerdebegründung in Bezug genommenen Sitzungsprotokolls, S 2. Danach hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung geäußert: "Im Übrigen würde ich Dr. M. gerne dahingehend befragen, wie der Kläger es schaffen kann, über mehr als acht Jahre eine Krankheit zu simulieren bzw. bestimmte Werte zu simulieren. Über Jahre fällt der Sauerstoffgehalt unter 90 v.H.. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit es simuliert sein könnte."

Ob es sich bei diesen Ausführungen um die substantiierte Darstellung eines konkreten Fragenkomplexes handelt, lässt der Senat dahinstehen. Zumindest hat der Kläger nicht dargetan, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem angeblichen Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils gegeben ist. Für die Frage, ob ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung besteht, kommt es nicht auf das Vorhandensein bestimmter Werte, sondern allein darauf an, ob die Leistungsfähigkeit des Antragstellers in einem rentenrechtlich relevanten Ausmaß beeinträchtigt ist. Wie und in welchem Umfang sich die (angeblich simulierten) Werte auf die Leistungsfähigkeit des Klägers auswirken, stellt die Beschwerdebegründung nicht dar.

Aus diesem Grund hat der Kläger ebenso wenig einen Verfahrensmangel des LSG in Gestalt eines Verstoßes gegen § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 411 Abs 3 ZPO schlüssig bezeichnet, nach dem es im pflichtgemäßen Ermessen des Tatsachengerichts steht, einen Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens zu laden.

Mit seinem übrigen Vorbringen greift der Kläger die Beweiswürdigung des Gerichts an und macht die Unrichtigkeit der Berufungsentscheidung in der Sache geltend. Auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 S 1 SGG und eine etwaige sachliche Fehlerhaftigkeit des angefochtenen Urteils kann eine Nichtzulassungsbeschwerde indes nach § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG nicht gestützt werden.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI10333592

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