Verfahrensgang
SG Karlsruhe (Entscheidung vom 31.07.2018; Aktenzeichen S 11 R 1380/16) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 30.06.2021; Aktenzeichen L 5 R 3094/18) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. Juni 2021 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der 1962 geborene Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit der Begründung ab, der Kläger sei zwar seit dem 8.4.2013 voll erwerbsgemindert, erfülle jedoch nicht die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Rente (Bescheid vom 7.7.2015; Widerspruchsbescheid vom 22.3.2016). Das SG hat die dagegen gerichtete Klage nach Einholung zweier Sachverständigengutachten auf orthopädischem Fachgebiet abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 31.7.2018). Das LSG hat im dagegen vom Kläger angestrengten Berufungsverfahren eine ergänzende Begutachtung auf orthopädischem Fachgebiet veranlasst sowie ein Sachverständigengutachten auf nervenärztlichem Fachgebiet eingeholt. Mit Urteil vom 30.6.2021 hat es die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert iS von § 43 Abs 2 Satz 1 Nr 1 bzw Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI. Er sei vielmehr bezogen auf den gesamten streitbefangenen Zeitraum in der Lage, zumindest leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Die anderslautenden Ausführungen der Beklagten im angefochtenen Bescheid würden keine Bindungswirkung entfalten. Selbst wenn man dies anders sehen wolle, fehle es an den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 Abs 2 Satz 1 Nr 2 bzw Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB VI. Der Kläger habe die letzten fünf Jahre vor Eintritt des von der Beklagten am 8.4.2013 angenommenen Leistungsfalls nicht mit mindestens drei Jahren Pflichtbeiträgen belegt.
Der Kläger hat gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung Beschwerde zum BSG eingelegt.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form begründet wird. Sie ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG zu verwerfen.
a) Der Kläger legt die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht anforderungsgerecht dar (vgl zu den diesbezüglichen Darlegungsanforderungen zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN). Der Beschwerdebegründung lässt sich die Frage entnehmen,
ob "die Ausführungen der Beklagten zum Leistungsvermögen des Klägers im Ausgangsbescheid Bindungswirkung" entfalten.
Der Kläger hat damit wegen des Einzelfallbezugs seiner Formulierung schon keine abstrakte Rechtsfrage zur Auslegung revisibler (Bundes-)Normen aufgeworfen, an der das Beschwerdegericht die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen könnte (vgl dazu BSG Beschluss vom 2.3.2015 - B 12 KR 60/14 B - juris RdNr 15; BSG Beschluss vom 22.4.2020 - B 5 R 266/19 B - juris RdNr 5, jeweils mwN). Ungeachtet dessen legt er die Klärungsbedürftigkeit der allenfalls angedeuteten Rechtsfrage zum Umfang der Bindungswirkung von Bescheiden nicht hinreichend dar. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn die Antwort nicht außer Zweifel steht, sich zB nicht unmittelbar und ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt oder nicht bereits höchstrichterlich entschieden ist (BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). In der Beschwerdebegründung muss deshalb unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG bzw des BVerfG zu dem Problemkreis substantiiert vorgebracht werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung getroffen wurde oder durch die schon vorliegenden Urteile und Beschlüsse die nunmehr maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (stRspr; zB BSG Beschluss vom 6.4.2021 - B 5 RE 16/20 B - juris RdNr 6 mwN). Daran richtet der Kläger sein Vorbringen nicht aus.
Er setzt sich nicht mit der ständigen Rechtsprechung des BSG auseinander, wonach die materielle Bestandskraft eines Bescheides grundsätzlich lediglich dessen Verfügungssatz erfasst, während die Gründe keine selbstständige Bindungswirkung entfalten (vgl zB BSG Urteil vom 22.3.1989 - 7 RAr 122/87 - SozR 1300 § 44 Nr 38 S 109 mwN; BSG Urteil vom 22.6.2004 - B 2 U 36/03 R - juris RdNr 16 mwN; BSG Urteil vom 23.11.2005 - B 12 RA 15/04 R - BSGE 95, 238 = SozR 4-2600 § 2 Nr 5, RdNr 14). Sein pauschales Vorbringen, die aufgeworfene Frage sei, soweit ersichtlich, auch vom BSG nicht entschieden und ergebe sich ebenso wenig aus dem Gesetz, reicht vor diesem Hintergrund nicht aus.
b) Der Kläger bezeichnet die geltend gemachten Verfahrensmängel nicht anforderungsgerecht. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Den sich daraus ergebenden Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger rügt, das LSG sei der tatrichterlichen Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 103 Satz 1 Halbsatz 1 SGG) nicht ausreichend nachgekommen, indem es von der Einholung schriftlicher Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte des Klinikums M, Sektion Schmerztherapie, und von E abgesehen habe sowie von der Einholung eines "Obergutachtens". Wird eine solche Sachaufklärungsrüge erhoben, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 14.4.2020 - B 5 RS 13/19 B - juris RdNr 11). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger bezieht sich auf seine im Schriftsatz vom 28.6.2021 gestellten Anträge. Es sei dahingestellt, ob es sich dabei um prozessordnungsgemäße Beweisanträge (vgl § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 bzw § 373 ZPO) gehandelt hat. Im Rahmen eines Verfahrens der Erwerbsminderungsrente muss mit solchen Beweisanträgen der negative Einfluss von weiteren, dauerhaften Gesundheitsbeeinträchtigungen auf das verbliebene Leistungsvermögen behauptet und möglichst genau dargetan werden (vgl hierzu zB BSG Beschluss vom 5.11.2019 - B 13 R 40/18 B - juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6). Es ist jedenfalls nicht dargetan, dass der Kläger die in Bezug genommenen Anträge bis zum Schluss aufrechterhalten habe. Das LSG hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30.6.2021 entschieden, an der ausweislich des Protokolls der Bevollmächtigte des Klägers teilgenommen hat. Der Kläger trägt nichts dazu vor, ob dieser bis zur Schließung der mündlichen Verhandlung an den im Schriftsatz vom 28.6.2021 formulierten Anliegen festgehalten habe (vgl zu diesem Erfordernis zuletzt BSG Beschluss vom 25.11.2021 - B 9 SB 57/21 B - juris RdNr 7 mwN).
Ebenso wenig ist ein Verfahrensmangel bezeichnet, soweit der Kläger die fehlende Auseinandersetzung mit den im Schriftsatz vom 28.6.2021 gestellten Anträgen zugleich als Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG; § 62 Halbsatz 1 SGG) rügt. Eine Gehörsrüge darf nicht zur Umgehung der nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG eingeschränkten Nachprüfbarkeit einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht führen (vgl BSG Beschluss vom 14.4.2009 - B 5 R 206/08 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 18 RdNr 6, 9). Andernfalls liefen die Beschränkungen für die Sachaufklärungsrüge im Ergebnis leer (vgl BSG Beschluss vom 6.2.2007 - B 8 KN 16/05 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 12 RdNr 7; aus jüngerer Zeit zB BSG Beschluss vom 20.1.2021 - B 5 RE 13/20 B - juris RdNr 9).
Falls der Kläger mit seinem Vorbringen, das angegriffene Urteil lasse "jede Begründung" zum Absehen von der nach seinem Dafürhalten beantragten Beweiserhebung vermissen, sinngemäß einen Verstoß gegen die Begründungspflicht (§ 128 Abs 1 Satz 2 SGG iVm § 136 Abs 1 Nr 6 SGG) rügen will, erfüllt die Beschwerdebegründung auch die insoweit bestehenden Darlegungsanforderungen nicht (vgl hierzu zB BSG Beschluss vom 20.5.2020 - B 13 R 49/19 B - juris RdNr 23 f mwN; aus jüngerer Zeit zB BSG Beschluss vom 7.10.2021 - B 5 R 172/21 B - juris RdNr 7 mwN). Der Kläger zeigt nicht auf, inwiefern im Unklaren geblieben sein könnte, worauf das LSG seine Entscheidung gestützt hat.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15052507 |