Entscheidungsstichwort (Thema)

Statthaftigkeit der unselbständigen Anschluß-Nichtzulassungsbeschwerde

 

Leitsatz (amtlich)

Eine unselbständige Anschluß-Nichtzulassungsbeschwerde ist im sozialgerichtlichen Verfahren nicht statthaft (Anschluß an BVerwG vom 23.12.1969 - III B 68.69 = BVerwGE 34, 351).

 

Normenkette

SGG § 160a

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 18.04.1990; Aktenzeichen L 1 Ka 649/88)

SG Karlsruhe (Entscheidung vom 24.02.1988; Aktenzeichen S 1 Ka 641/87)

 

Tatbestand

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig.

Der Kläger hält die Rechtsfragen für grundsätzlich iS des § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), ob die ihm vorgeworfenen Verstöße gegen die Disziplinarordnung der Beklagten eine einheitliche Verfehlung darstellten und ob der Vorstand der Beklagten den Antrag auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens rechtzeitig gestellt habe.

Nach § 162 SGG kann das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) im Revisionsverfahren nur auf die Verletzung von Bundesrecht hin überprüft werden. Hierzu gehört nicht die Disziplinarordnung der Beklagten; denn ihr Geltungsbereich erstreckt sich nicht über den Bezirk des Berufungsgerichts. Der Kläger legt auch nicht dar, in welchen Punkten die Disziplinarordnung zu bundesrechtlichen Vorschriften im Widerspruch steht.

Die vom Kläger aufgeworfene Frage der fortgesetzten Handlung sowie der Anwendbarkeit strafrechtlicher und beamtenrechtlicher Grundsätze bezieht sich auf die Rechtsanwendung im Einzelfall, die mit der Beschwerde nicht angegriffen werden kann. Das LSG ist aufgrund von tatsächlichen Feststellungen, an die der Senat gebunden ist (§ 163 SGG), zu dem Ergebnis gekommen, daß der Kläger seine kassenärztlichen Verpflichtungen schuldhaft verletzt hat und die Verhängung einer Geldbuße angemessen war. Dem Vorbringen des Klägers ist nicht zu entnehmen, daß das LSG dabei straf- und beamtenrechtliche Grundsätze verletzt hat. Der Kläger stützt sich lediglich auf das sozialgerichtliche Urteil. Hierdurch wird die grundsätzliche Bedeutung nicht ausreichend dargelegt.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde der Beklagten ist ebenfalls unzulässig.

Als selbständige (Anschluß-)Beschwerde ist sie verspätet. Sie ist erst nach Ablauf der einmonatigen Beschwerdefrist (§ 160a Abs 1 Satz 2 SGG) eingelegt worden; eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 Abs 1 SGG) wegen der Versäumnis der Beschwerdefrist hat die Beklagte nicht beantragt.

Als unselbständige Anschlußbeschwerde, wie die Beklagte ihr Rechtsmittel verstanden wissen will, ist dieses nicht statthaft. Eine unselbständige Anschlußbeschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG ist im sozialgerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehen (vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, Rz 242 S 113).

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat allerdings im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit bei den sogen echten Streitsachen (entschieden für das Verfahren nach § 43 des Wohnungseigentumsgesetzes) in Abweichung von BGHZ 19, 196 die unselbständige Anschlußbeschwerde für zulässig gehalten (BGHZ 71, 314, 316 ff). Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat unter Aufgabe seiner Rechtsprechung im Beschluß vom 27. Mai 1960 (AP § 89 Arbeitsgerichtsgesetz 1953 Nr 3) die unselbständige Anschlußbeschwerde im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren für zulässig gehalten (Beschluß vom 2. April 1987 - 6 ABR 29/85 - = NZA 1988, 217). In der Begründung stellt das BAG auf die Besonderheiten dieses Verfahrens ab, das eine Änderung des Streitgegenstandes durch den Beschwerdeführer erlaubt, worauf der Beschwerdegegner nach dem Gebot der "Waffengleichheit" mit einer Anschlußbeschwerde muß reagieren können.

Demgegenüber hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) eine unselbständige Anschlußbeschwerde im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren für nicht zulässig erachtet mit der Begründung, im Gegensatz zur Anschlußberufung und Anschlußrevision, mit denen eine andere Sachentscheidung erstrebt werde, ziele die Anschlußbeschwerde auf das gleiche Ergebnis wie die Beschwerde, nämlich auf die Zulassung der Revision. Die Rechtssicherheit gebiete es, kein Rechtsmittel zuzulassen, das - wie die Anschlußbeschwerde - nicht ausdrücklich im Gesetz vorgesehen sei (Beschluß vom 23. Dezember 1969 - III B 68.69 - = BVerwGE 34, 351 = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr 67).

Dieser Rechtsauffassung schließt sich der Senat an. Während im echten Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit und im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren sowohl die Beschwerden als auch die Anschlußbeschwerden den Streitgegenstand bestimmen, der in der Beschwerdeinstanz anfällt, zielt die Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren ausschließlich auf die Eröffnung des Rechtsmittels der Revision. Erst dann wird der Streitgegenstand durch die Einlegung der Revision und gegebenenfalls einer Anschlußrevision bestimmt. Ist die Revision zugelassen, kann sie unter den allgemeinen Prozeßvoraussetzungen von jedem Prozeßbeteiligten eingelegt werden, nicht nur vom Beschwerdeführer, der die Zulassung der Revision erwirkt hat. Darüber hinaus kann eine Anschlußrevision auch insoweit eingelegt werden, als sie die Abänderung des von der Revisionszulassung nicht erfaßten Urteilsteiles begehrt (BSGE 47, 168, 169 = SozR 1750 § 556 Nr 2). Dringt der Beschwerdeführer mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde durch, so bedarf es keiner Anschlußbeschwerde, um dem Beschwerdegegner das Rechtsmittel der Revision oder der Anschlußrevision zu eröffnen. Wird dagegen die Beschwerde als unzulässig verworfen, auf die Anschlußbeschwerde jedoch die Revision zugelassen, so kann sie auch vom Beschwerdeführer ungeachtet der Unzulässigkeit seiner Beschwerde eingelegt werden. Hieraus folgt, daß auch ohne die unselbständige Anschlußbeschwerde die Rechte eines Prozeßbeteiligten auf Einlegung eines Rechtsmittels nicht in unzulässiger Weise verkürzt werden.

Nach allem waren die Beschwerden als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1661960

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