Verfahrensgang
SG Heilbronn (Entscheidung vom 02.05.2019; Aktenzeichen S 13 R 3950/16) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 12.12.2019; Aktenzeichen L 10 R 1562/19) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 12. Dezember 2019 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Mit Urteil vom 12.12.2019 hat das LSG Baden-Württemberg einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt, die er mit Schriftsätzen vom 10.1.2020 und 12.2.2020 begründet hat. Mit Schriftsätzen vom 5.2.2020 und 11.2.2020 hat er zudem verschiedene medizinische Unterlagen vorgelegt.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Der Kläger hat darin weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) noch die ebenfalls geltend gemachten Verfahrensmängel (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) den Formerfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG entsprechend dargelegt bzw bezeichnet.
a) Wird mit der Nichtzulassungsbeschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG geltend gemacht, muss der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit). In der Beschwerdebegründung ist deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und der Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (stRspr; zB BSG Beschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 241/11 B - SozR 4-4200 § 25 Nr 1 RdNr 9 mwN; jüngst BSG Beschluss vom 8.8.2019 - B 13 R 289/18 B - juris RdNr 9; vgl auch BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 14 ff mwN). Die Beschwerdebegründung verfehlt diese Anforderungen.
Der Kläger formuliert im Schriftsatz vom 12.2.2020 folgende Fragen im Zusammenhang mit der behaupteten grundsätzlichen Bedeutung:
1. Ist es zulässig, ein Gutachten zur Urteilsbegründung heranzuziehen, das von einem Gutachter erstellt wurde, der in seiner Praxis keine Behandlungen durchführt, sondern ausschließlich Gutachten erstellt? Ist in diesem Fall die notwendige finanzielle Unabhängigkeit des Gutachters gegeben, um neutrale, unparteiische Gutachten zu erstellen? Besteht die Gefahr, dass ein solcher Gutachter dem Auftraggeber gefällige Gutachten erstellt?
2. Ist es zulässig, ein Gutachten zur Urteilsbegründung heranzuziehen, welches vom Begutachteten ausführlich und wahrheitsgemäß als ein unseriöses Gutachten beschrieben wird? Sowohl die Vorgehensweise des Gutachters bei der Begutachtung als auch die Schilderungen im Gutachten und die bewusst negative Darstellung des Begutachteten sind unseriös! Die detaillierte Beschwerde gegen das Gutachten wurde von den Richtern des LSG und des SG ignoriert.
3. Sind bei einer Begutachtung Tests zulässig, die aussagen sollen, ob es sich beim Begutachteten um einen Simulant handelt? Sind diese Tests aus wissenschaftlicher Sicht tatsächlich zur Beurteilung der Ehrlichkeit einer einzelnen Person geeignet? Liegt dabei nicht ebenso eine Verletzung der Menschenwürde vor wie bei der Anwendung eines "Lügendetektors" oder eines "Wahrheitsserums"?
4. Sind bei einer Begutachtung Tests in Form von Fragebögen bei Begutachteten zulässig, die nicht deutscher Herkunft sind und demzufolge der deutschen Sprache nicht im gleichen Maße mächtig sind wie ein "Muttersprachler"? Darf eine Urteilsbegründung auf Ergebnissen in dieser Weise zustande gekommenen Testergebnissen beruhen?
5. Ist es zulässig, vorliegende Diagnosen mehrerer verschiedener Ärzte und Kliniken bei der Urteilsfindung zu ignorieren, welche die vom Kläger geschilderten Beschwerden belegen?
Es sei dahingestellt, ob der Kläger damit trotz des starken Einzelfallbezugs hinreichend bestimmte abstrakte Rechtsfragen zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit von § 103 SGG, § 128 SGG oder anderer Vorschriften des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert hat. Er hat jedenfalls weder die Klärungsbedürftigkeit noch die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Fragen aufgezeigt. Hierzu bringt er nichts vor.
Soweit der Kläger sowohl im Schriftsatz vom 10.1.2020 als auch in demjenigen vom 12.2.2020 vorbringt, das LSG habe seine Entscheidung vor allem auf das Gutachten des Sachverständigen B gestützt, ohne die gegenläufigen Einschätzungen des Sachverständigen A sowie der behandelnden Ärzte ausreichend zu berücksichtigen, wendet er sich gegen die Beweiswürdigung des LSG. Mit einem vermeintlichen Verstoß des Berufungsgerichts gegen die Grundsätze der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) lässt sich eine Revisionszulassung indes nicht begründen (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG). Diese Einschränkung kann nicht durch das Aufwerfen von vermeintlich grundsätzlich bedeutsamen Rechtsfragen betreffend die prozessualen Pflichten des Berufungsgericht umgangen werden. Dass ein Beteiligter das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann von vornherein nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).
b) Die geltend gemachten Verfahrensmängel werden nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise bezeichnet. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass iS von § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des Berufungsgerichts ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.10.2010 - B 12 KR 2/10 B - juris RdNr 5; jüngst BSG Beschluss vom 9.12.2019 - B 13 R 259/19 B - juris RdNr 4). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Berufungsgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger rügt als Verletzung der Pflicht zur Amtsermittlung (§ 103 SGG), das LSG habe von der Einholung eines schmerztherapeutischen Gutachtens - über das im erstinstanzlichen Verfahren eingeholte Gutachten des Neurologen und Psychiaters B hinaus - abgesehen und habe es versäumt, einen Entlassungsbericht des Klinikums A sowie nach seinem Arztwechsel Befundberichte vom neuen Hausarzt und Psychiater einzuholen. Er legt jedoch nicht dar, wie es für eine zulässige Sachrüge erforderlich wäre, gegenüber dem LSG entsprechende Beweisanträge gestellt und bis zuletzt aufrecht erhalten zu haben (zu dieser Anforderung zuletzt etwa BSG Beschluss vom 13.1.2021 - B 13 R 4/20 B - juris RdNr 5 mwN).
Der Kläger rügt ferner als Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG; Art 103 Abs 1 GG), ihm sei eine - bereits im erstinstanzlichen Verfahren von der Beklagten vorgelegte - Stellungnahme eines N zum Gutachten des Sachverständigen A nicht zur Kenntnis gebracht worden. Zudem sei er nicht auf die Möglichkeit hingewiesen worden, eine Stellungnahme von Dritten zu den im gerichtlichen Verfahren eingeholten Gutachten - in diesem Fall von B - einzuholen und in den Prozess einzuführen. Der Beschwerdebegründung lässt sich schon nicht ausreichend deutlich entnehmen, dass der Kläger darin ein Versäumnis des LSG erkennt; im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde können aber nur vermeintliche Verfahrensmängel im unmittelbar vorausgegangenen Rechtszug gerügt werden (zuletzt etwa BSG Beschluss vom 27.1.2021 - B 13 R 74/20 B - juris RdNr 6 mwN). Jedenfalls hat der Kläger nicht dargelegt, dass das Berufungsurteil auf einem darin möglicherweise liegenden Verfahrensmangel beruhe. Hierzu hätte dargetan werden müssen, welches Vorbringen durch die behauptete Nichtweiterleitung der Stellungnahme des N bzw durch den unterbliebenen Hinweis verhindert worden sei und weshalb dieser Vortrag den Ausgang des Berufungsverfahrens beeinflusst haben könnte. Hierzu fehlt jedwedes Vorbringen in der Beschwerdebegründung.
Indem der Kläger vorbringt, das LSG habe keine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen A, der ein Gutachten nach § 109 SGG erstellt habe, zum Gutachten des Sachverständigen B eingeholt, rügt er sinngemäß eine Verletzung des § 109 SGG. Darauf kann die Nichtzulassungsbeschwerde von vornherein nicht gestützt werden (vgl § 160 Abs 2 Halbsatz 2 SGG). Sofern er der Auffassung sein sollte, dies habe von Amtswegen erfolgen müssen, läge hierin sinngemäß eine Rüge der Verletzung des § 103 SGG. Insoweit fehlt es jedoch erneut an der erforderlichen Bezeichnung eines Beweisantrags.
Mit seinem umfangreichen Vorbringen zu dem nach seinem Dafürhalten nicht verwertbaren Gutachten des Sachverständigen B - ua habe dieser bei der Begutachtung seine Rechte verletzt und ungeeignete Testverfahren angewandt - rügt der Kläger sinngemäß, das LSG habe die Grenzen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) überschritten. Hierauf kann eine Verfahrensrüge ebenso wenig gestützt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG). Soweit der Kläger sich in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) verletzt sieht, weil das LSG seine Kritik am Gutachten des Sachverständigen B nicht als Anlass für weitere Ermittlungen genommen habe, gilt, dass die Einschränkungen des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG für die Geltendmachung eines Verfahrensmangels wegen Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG oder des § 103 SGG nicht durch die Berufung auf die vermeintliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör umgangen werden können (vgl BSG Beschluss vom 18.5.2016 - B 5 RS 10/16 B - juris RdNr 8 mwN; BSG Beschluss vom 29.6.2018 - B 13 R 9/16 B - juris RdNr 10).
Indem der Kläger seine bereits im erstinstanzlichen Verfahren geäußerte Kritik an der Gutachterauswahl wiederholt, bringt er Zweifel an der Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit der zuständigen Kammervorsitzenden am SG zum Ausdruck. Sollte er damit ein Ablehnungsgesuch verbinden wollen, wäre dieses jedenfalls verspätet. Ein Antrag auf Ablehnung einer Gerichtsperson nach § 60 SGG iVm § 41 bis 46 Abs 1 und §§ 47 bis 49 ZPO kann nur bis zum Ende des betroffenen Rechtszugs gestellt werden (vgl etwa Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 60 RdNr 11 mwN).
Der Kläger rügt zudem die seines Erachtens überlange Verfahrensdauer. Selbst wenn die überlange Dauer eines Verfahrens unter Geltung der Entschädigungsregelung in § 198 GVG überhaupt noch einen zur Revisionszulassung führenden Verfahrensmangel zu begründen in der Lage wäre, müsste ein Beschwerdeführer zu seiner Darlegung jedenfalls dartun, rechtzeitig Verzögerungsrüge erhoben sowie einen Anspruch nach § 198 GVG bei dem dafür zuständigen Entschädigungsgericht eingeklagt zu haben (BSG Beschluss vom 15.10.2015 - B 9 V 15/15 B - juris RdNr 9). Hierzu hat der Kläger nichts vorgebracht.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14456212 |