Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Amtsermittlungsprinzip. Verletzung. Beweisantrag. Obergutachten. Verpflichtung zu weiteren Beweiserhebungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Rüge der Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) kann nur darauf gestützt werden, dass das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
2. Hierzu muss ein für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbarer Beweisantrag bezeichnet werden, dem das LSG nicht gefolgt ist, die Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zu weiterer Sachaufklärung drängen müssen, wiedergegeben werden, das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angegeben werden und geschildert werden, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigen Ergebnis hätte gelangen können.
3. Es besteht kein allgemeiner Anspruch auf Überprüfung eines Sachverständigengutachtens durch ein sog Obergutachten.
4. Liegen bereits Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten ungenügend sind, weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben.
Normenkette
SGG § 73a Abs. 1 S. 1, §§ 103, 118 Abs. 1 S. 1, § 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1, § 169 Sätze 2-3; ZPO §§ 114, 121, 412 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 5. Dezember 2018 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten zu gewähren, wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
In dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit hat das Bayerische LSG mit Urteil vom 5.12.2018 einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich ausschließlich auf einen Verfahrensmangel (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Zugleich hat die Klägerin zur Durchführung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten beantragt.
II
1. Der Antrag der Klägerin auf Gewährung von PKH zur Durchführung des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bayerischen LSG vom 5.12.2018 ist abzulehnen.
Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114, 121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG ua nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil die von der Klägerin eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im angegriffenen Urteil nicht erfolgreich sein kann. Die Klägerin hat PKH für eine von einer beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten bereits eingelegte und bis zum Ablauf der Begründungsfrist am 18.3.2019 bereits begründete Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision beantragt. Die Revision wäre daher nur zuzulassen, wenn mit dieser Beschwerde einer der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG genannten Zulassungsgründe in der gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG vorgeschriebenen Form dargelegt wäre. Solche Erfolgsaussicht besteht hier nicht, weil die Beschwerde unzulässig ist (dazu unter 2.).
Mit der Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von PKH entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
2. Die unabhängig vom Antrag auf Bewilligung von PKH eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
In ihrer Beschwerdebegründung vom 18.3.2019 macht die Klägerin ausschließlich einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) in Form der Aufklärungsrüge geltend.
Die Klägerin hat die Umstände des Berufungsverfahrens jedoch nicht in einer Weise dargestellt, dass sich der Verfahrensmangel bei Zugrundelegung der Angaben der Beschwerdebegründung allein aus dieser schlüssig ergibt. Die Rüge der Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) kann gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur darauf gestützt werden, dass das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Hierzu muss die Beschwerdebegründung folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zu weiterer Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigen Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 5; BSG Beschluss vom 28.2.2018 - B 13 R 73/16 B - juris RdNr 9 mwN).
Es kann dahinstehen, ob die Beschwerdebegründung den geltend gemachten Verfahrensmangel schon deshalb nicht formgerecht bezeichnet, weil es an einer zusammenhängenden Darstellung des Verfahrensgangs fehlt, soweit dieser nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der unterlassenen weiteren Sachverhaltsaufklärung steht. Nur durch eine solche Darstellung wird das Beschwerdegericht - wie erforderlich - in die Lage versetzt, allein anhand dieser Begründung darüber zu befinden, ob die angegriffene Entscheidung des LSG auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen kann. Es ist nicht Aufgabe des erkennenden Senats, sich den maßgeblichen Sachverhalt aus den Akten oder der angegriffenen Entscheidung herauszusuchen (vgl BSG Beschluss vom 31.5.2017 - B 5 R 358/16 B - juris RdNr 8 mwN; BSG Beschluss vom 26.1.2018 - B 13 R 309/14 B - juris RdNr 3 f).
Den Anforderungen an die Bezeichnung der Verletzung des § 103 SGG durch das LSG wird die Beschwerdebegründung jedenfalls deshalb nicht gerecht, weil es an der Darlegung fehlt, aus welchem Grund sich das Berufungsgericht von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus zur Einholung eines weiteren Gutachtens hätte gedrängt sehen müssen. Die Klägerin ist insoweit der Ansicht, das LSG habe sein Urteil nicht auf das bereits im Verfahren erster Instanz eingeholte Gutachten der Sachverständigen Dr. R. stützen dürfen. Hierzu habe sie - im Berufungsverfahren zuletzt unvertreten - dem LSG in laienhafter Weise im Detail mitgeteilt, warum sie den Feststellungen der Sachverständigen widerspreche, die nicht sämtliche Beschwerden und/oder Funktionseinschränkungen in angemessener Weise berücksichtigt habe. Zugleich habe sie (die Klägerin) in mehreren Schreiben an das LSG und auch noch im Rahmen ihres am Tag der mündlichen Verhandlung per Telefax angebrachten Ablehnungsgesuchs deutlich gemacht, dass sie die Einholung eines weiteren Gutachtens - ggf nach Aktenlage - beantrage. Zumindest habe das LSG eine "sachverständige Meinung" zu der Frage einholen müssen, ob "aus aktuellen Befundberichten und Attesten ein von dem Gutachten der Dr. R. abweichender Beweiswert für das Jahr 2014 gewonnen werden" könne. Ein weiteres Gutachten hätte ergeben, dass bereits seit November 2014, dem Zeitpunkt zu dem zuletzt die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung vorgelegen haben, eine volle Erwerbsminderung vorliege.
Es besteht jedoch kein allgemeiner Anspruch auf Überprüfung eines Sachverständigengutachtens durch ein sog Obergutachten (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 23.5.2006 - B 13 RJ 272/05 B - juris RdNr 5, 11; BSG Beschluss vom 24.5.2017 - B 3 P 6/17 B - juris RdNr 13). Vielmehr ist es Aufgabe des Tatsachengerichts, sich im Rahmen der Beweiswürdigung mit einander entgegenstehenden Gutachten auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem grundsätzlich anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einholen zu müssen. Die Würdigung der Gutachtenergebnisse gehört - auch im Falle sich widersprechender Beweisergebnisse - zur Beweiswürdigung selbst (vgl BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 8). Liegen bereits Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten iS von § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 412 Abs 1 ZPO ungenügend sind, weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (BSG aaO RdNr 9). Solche Mängel werden in der Beschwerdebegründung jedoch nicht bezeichnet. Dass die Klägerin mit der Durchführung und den Ergebnissen der Begutachtung nicht einverstanden ist, genügt insoweit nicht.
Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen des LSG rügt, wonach der Nachweis einer Erwerbsminderung im Jahr 2014 nicht durch die Vorlage aktueller Befundberichte oder Atteste erfolgen könne und auch nicht aus dem Umstand folge, dass im Jahr 2018 Erkrankungen vorlägen, welche bereits 2014 oder früher diagnostiziert worden seien, wendet sie sich ausschließlich gegen die vom LSG vorgenommene Beweiswürdigung. Jedoch kann die Beschwerde gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ausdrücklich nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt werden. Dies gilt ebenso im Hinblick auf die Würdigung des Schriftsatzes der Beklagten vom 18.1.2018 durch das LSG.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13909081 |