Verfahrensgang
SG München (Entscheidung vom 20.10.2020; Aktenzeichen S 47 R 1701/18) |
Bayerisches LSG (Beschluss vom 24.11.2021; Aktenzeichen L 13 R 608/20) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. November 2021 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der 1968 geborene Kläger begehrt eine Rente wegen Erwerbsminderung.
Die Beklagte lehnte seinen Rentenantrag vom 10.11.2017 ab (Bescheid vom 23.4.2018; Widerspruchsbescheid vom 30.11.2018). Das SG hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen, nachdem es von Amts wegen ein Gutachten beim Neurologen und Psychiater K vom 14.6.2019, auf Antrag des Klägers ein Gutachten beim Neurologen B1 vom 30.4.2020 sowie verschiedene Befundberichte und weitere Unterlagen eingeholt hatte (Urteil vom 20.10.2020). Im Berufungsverfahren hat das LSG ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters B2 vom 27.2.2021 sowie ergänzende Befundberichte eingeholt. Die Berufung des Klägers hat es mit Beschluss vom 24.11.2021 zurückgewiesen. Der Kläger sei nicht erwerbsgemindert. Den bestehenden Leistungseinschränkungen werde durch die Beachtung qualitativer Einschränkungen ausreichend Rechnung getragen. Das ergebe sich überzeugend aus den übereinstimmenden Einschätzungen der Sachverständigen K und B2. Den Feststellungen des Sachverständigen B1, der von einem aufgehobenen Leistungsvermögen ausgehe, könne nicht gefolgt werden.
Der Kläger hat gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung Beschwerde zum BSG eingelegt.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG zu verwerfen. In der Beschwerdebegründung vom 28.2.2022 werden die geltend gemachten Verfahrensmängel nicht in der gebotenen Form bezeichnet. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Den sich daraus ergebenden Anforderungen wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.
a) Der Kläger rügt als Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG; § 62 Halbsatz 1 SGG), das LSG habe unzulässig eigene Sachkunde in Anspruch genommen, indem es das vom Sachverständigen B1 eingesetzte Testverfahren als nicht geeignet zur Feststellung objektiv bestehender Leistungseinschränkungen angesehen habe. Soweit ein Gericht eigene Sachkunde bei der Entscheidungsfindung tragend berücksichtigen will, muss es den Beteiligten die Grundlagen hierfür offenbaren. Das Gericht muss in einem solchen Fall gegenüber den Beteiligten darlegen, worauf seine Sachkunde beruht und worauf sie sich bezieht, damit die Beteiligten hierzu Stellung nehmen und ihre Prozessführung entsprechend einrichten können (BSG Urteil vom 5.3.2002 - B 2 U 27/01 R - juris RdNr 20 f mwN; BSG Beschluss vom 15.9.2011 - B 2 U 157/11 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 17.6.2020 - B 5 R 1/20 B - juris RdNr 5). Der Kläger zeigt keine Umstände auf, die eine solche Form der Gehörsverletzung zu begründen in der Lage wären.
Er bringt vor, das LSG habe nicht dargelegt, woher es die Erkenntnisse zur Beurteilung der vom Sachverständigen B1 verwendeten Testverfahren nehme, und habe sich nicht näher mit der vom Sachverständigen eingesetzten Methode auseinandergesetzt. Wie der Kläger selbst aufzeigt, hat das LSG sich der Leistungseinschätzung der Sachverständigen K und B2 angeschlossen. Die abweichende Einschätzung des Sachverständigen B1 hat es als nicht überzeugend erachtet, ua weil das verwendete Testverfahren im Wesentlichen auf den Angaben des Probanden beruhe und beim Kläger bereits in mehreren Untersuchungen die angegebenen bzw demonstrierten Einschränkungen vom klinischen Bild abgewichen seien. Eine solche Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse gehört zur Beweiswürdigung selbst (vgl BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 8; BSG Beschluss vom 20.2.2018 - B 10 LW 3/17 B - juris RdNr 8), die nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 Alt 1 SGG nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde angegriffen werden kann. Aus demselben Grund zeigt der Kläger auch keinen mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügefähigen Verfahrensmangel auf, soweit er vorbringt, das LSG habe ihm im Rahmen der Beweiswürdigung fehlerhaft eine Neigung zu Übertreibungen unterstellt.
Falls der Kläger zudem eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 Satz 1 SGG) rügen will, indem er dem LSG vorwirft, nicht weiter zur Geeignetheit des verwendeten Testverfahrens ermittelt zu haben, wären auch die für eine Sachaufklärungsrüge bestehenden Darlegungsanforderungen nicht erfüllt (vgl dazu zB BSG Beschluss vom 14.4.2020 - B 5 RS 13/19 B - juris RdNr 11). Der Kläger bezeichnet schon keinen Beweisantrag, dem das LSG nicht gefolgt sei.
b) Der Kläger rügt als weitere Gehörsverletzung eine nicht ordnungsgemäße Anhörung vor der Berufungszurückweisung. Nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG kann das Berufungsgericht, außer in den Fällen, in denen erstinstanzlich durch Gerichtsbescheid entschieden worden ist, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG sind die Beteiligten vorher zu hören. Dies ist Ausdruck des verfassungsrechtlichen Gebots des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG), das bei Anwendung des vereinfachten Verfahrens im Berufungsrechtszug nicht verkürzt werden darf (vgl zB BSG Beschluss vom 30.1.2020 - B 9 V 40/19 B - juris RdNr 8). Der Anhörungspflicht ist grundsätzlich Genüge getan, wenn den Beteiligten mit der Anhörungsmitteilung Gelegenheit sowohl zur Äußerung von etwaigen Bedenken, die sie gegen eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter haben, als auch zur Stellungnahme in der Sache selbst eingeräumt wird (BSG Beschluss vom 30.10.2019 - B 14 AS 329/18 B - juris RdNr 2). Die Beschwerdebegründung zeigt nicht auf, dass es hieran gemangelt haben könnte.
Der Kläger räumt im Gegenteil ein, das Anhörungsschreiben vom 26.10.2021 erhalten zu haben, darin sogar auf die divergierenden Feststellungen der Sachverständigen hingewiesen worden zu sein und seine Bedenken gegenüber dem vom LSG beabsichtigten Verfahren habe vorbringen können. Auf den Vorwurf, das LSG habe ihn nicht darauf hingewiesen, dass es bei ihm eine Neigung zu "symptombekräftigendem Verhalten" annehme, vermag der Kläger seine Gehörsrüge von vornherein nicht zu stützen. Es gibt im einfachrechtlichen Prozessrecht keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit ihnen zu erörtern (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 9.10.2014 - B 13 R 157/14 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 2.3.2021 - B 5 RE 18/20 B - juris RdNr 22 - jeweils mwN).
c) Ebenso wenig ist ein Verfahrensmangel anforderungsgerecht bezeichnet, indem der Kläger rügt, das LSG habe nicht über einen mit Schriftsatz vom 20.5.2021 gestellten Antrag entschieden, den Sachverständigen B2 wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Nach § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 406, 42 ZPO kann ein gerichtlich bestellter Sachverständiger wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Das Prozessgericht muss über einen solchen Antrag durch gesonderten Beschluss entscheiden (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 406 Abs 5 ZPO), und zwar vor Erlass der Endentscheidung und auch nicht erst in deren Entscheidungsgründen (BSG Urteil vom 2.5.2001 - B 2 U 29/00 R - SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 40). Unterlässt das Berufungsgericht eine Entscheidung über das Ablehnungsgesuch und verwertet es ein Gutachten eines mit substantiierten Gründen abgelehnten Sachverständigen, liegt darin ein Verfahrensmangel, der ggf im Revisionsverfahren zur Zurückverweisung der Sache führen kann (vgl BSG Urteil vom 15.3.1955 - 5 RJ 54/94 - SozR 3-1500 § 170 Nr 5 S 8 f; BSG Urteil vom 2.5.2001 - B 2 U 29/00 R - SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 40; vgl auch BAG Urteil vom 31.5.1960 - 5 AZR 326/58 - juris RdNr 44). Ungeachtet der Frage, ob und ggf in welchen Fällen dies auch im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich gerügt werden kann, zeigt der Kläger bereits nicht hinreichend auf, gegenüber dem LSG ein als solches erkennbares Ablehnungsgesuch betreffend den Sachverständigen B2 angebracht zu haben. Der Verweis auf seinen in der Gerichtsakte befindlichen Schriftsatz vom 20.5.2021 reicht insoweit nicht aus (vgl zur nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässigen Bezugnahme auf vorinstanzlich eingereichte Schriftsätze zB BSG Beschluss vom 21.8.2009 - B 11 AL 21/09 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 15.3.1991 - 2 BU 20/91 - juris RdNr 6; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 13a), zumal der Kläger einräumt, seine dortigen Ausführungen nicht ausdrücklich als Befangenheitsantrag bezeichnet zu haben. Ein Ablehnungsgesuch unterstellt, zeigt die Beschwerde zudem nicht hinreichend auf, unter welchem Gesichtspunkt die angegriffene Berufungsentscheidung auf dem gerügten Vorgehen des LSG beruhen könnte. Hierfür hätte der Kläger dartun müssen, von welchen Verfahrensrechten er Gebrauch gemacht hätte, wenn sein - unterstelltes - Ablehnungsgesuch vom LSG umgehend beschieden worden wäre (vgl zu den insoweit bestehenden prozessualen Möglichkeiten BSG Urteil vom 2.5.2001 - B 2 U 29/00 R - SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 41). Hieran fehlt es. Das allgemein gehaltene Beschwerdevorbringen, die Entscheidung des LSG wäre bei verfahrensfehlerfreier Vorgehensweise möglicherweise anders ausgefallen, genügt insoweit nicht.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Düring Gasser Hannes
Fundstellen
Dokument-Index HI15203320 |