Verfahrensgang
SG München (Entscheidung vom 15.07.2021; Aktenzeichen S 62 KR 3072/19) |
Bayerisches LSG (Urteil vom 19.12.2023; Aktenzeichen L 5 KR 415/21) |
Tenor
Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. Dezember 2023 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt A, F, zu gewähren, wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um die Aufnahme der Klägerin in die Krankenversicherung für Studenten (rückwirkend) ab dem 1.4.2015 sowie um den Erlass von Beitragsrückständen.
Über die Nicht-Aufnahme der 1981 geborenen Klägerin in die Krankenversicherung für Studenten ist rechtskräftig entschieden worden(Bescheid der Deutschen BKK als Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 4.9.2015; Teilabhilfebescheide vom 1.10.2015 und 2.10.2015; Widerspruchsbescheid vom 29.12.2015; Urteil des SG München vom 20.10.2016; Beschluss des Bayerischen LSG vom 5.10.2017 - L 5 KR 591/16 ) . Mit Schreiben vom 20.11.2018 hat die Klägerin um Rücknahme dieser Bescheide sowie Erlass von Beitragsrückständen gebeten. Beides lehnte die Beklagte ab(Bescheid vom 14.5.2019; Widerspruchsbescheid vom 6.11.2019) .
Mit einer am 6.12.2019 beim SG eingegangenen Klage hat die Klägerin sinngemäß beantragt, die früheren Bescheide aufzuheben. Das SG hat die Klage abgewiesen. Hinsichtlich der früheren Bescheide sei die Klage verfristet und daher unzulässig. Hinsichtlich der aktuellen Bescheide sei die Klage unbegründet, weil die Klägerin keinen Anspruch auf Aufnahme in die Krankenversicherung für Studenten habe(Gerichtsbescheid vom 15.7.2021) . Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen(Urteil vom 19.12.2023) .
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten Beschwerde eingelegt, die dieser innerhalb der Begründungsfrist begründet hat. Zugleich hat sie zur Durchführung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten beantragt.
II
1. Der Antrag auf Bewilligung von PKH der Klägerin ist abzulehnen. Nach § 73a SGG iVm §§ 114 , 121 ZPO kann einem Beteiligten für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Hieran fehlt es.
2. Revisionszulassungsgründe iS von § 160 Abs 2 SGG sind in der bereits vorliegenden Beschwerdebegründung vom 7.5.2024, auf die sich der PKH-Antrag bezieht und mit der das Urteil des LSG angegriffen werden soll, nicht in der gebotenen Weise dargelegt worden. Die Beschwerde ist unzulässig. Sie genügt nicht den Begründungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG und ist deshalb in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen.
a) Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist(stRspr; vgl nurBSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17;BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN) .
Die Klägerin formuliert auf Seite 1 der Beschwerdebegründung die Frage,
"ob einer alleinerziehenden Mutter (Klägerin), die mit 26 Jahren ein Kind geboren hat und aufgrund der durch den Kindesvater ausgeübten psychische Gewalt, die Berufung auf§ 5 Abs. 1 Nummer 9 SGB V versagt werden darf."
Auf Seite 2 der Beschwerdebegründung formuliert die Klägerin als "entscheidende Rechtsfrage":
"Ist das Tatbestandsmerkmal 'persönliche Gründe' des§ 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V gegeben, wenn eine Person aufgrund einer Depression nicht imstande ist, mögliche Gesetzesänderungen in Erfahrung zu bringen, um planvoll und geordnet vorgehen zu können und deshalb die 'zeitnahe Aufnahme' des Studiums versäumt?"
Auf Seite 3 der Beschwerdebegründung formuliert die Klägerin als weitere "entscheidende Rechtsfrage":
"Können behauptete 2 Jahre Nichthinderungszeit gemessen an einem Zeitraum von 12 Jahren, der im Wesentlichen von durchgehender Hinderungszeit geprägt ist, unberücksichtigt bleiben?"
Aufgrund ihrer psychischen Belastungen habe sie nicht planvoll bzw organisiert vorgehen können, sodass eine "zeitnahe Aufnahme" des Studiums vor der Regelaltersgrenze nicht möglich gewesen sei. Das LSG habe die Dauer der Hinderungszeit nicht ins Verhältnis zur Dauer der behaupteten Nichthinderungszeiten gesetzt und alle weiteren Beweisaufnahmen aufgrund behaupteter mangelnder Entscheidungsrelevanz kategorisch abgelehnt. Es habe sich damit in Widerspruch zu dem Urteil des BSG vom 23.6.1994( 12 RK 71/93 - juris) gesetzt.
aa) Die Beschwerdebegründung erfüllt die Darlegungsvoraussetzungen für eine Grundsatzrüge(vgl hierzu exemplarischBSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN) nicht, weil darin keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts(§ 162 SGG ) mit höherrangigem Recht(BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) formuliert wird. Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann(BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN) .
bb) Unabhängig davon legt die Klägerin auch die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragen nicht hinreichend dar. Eine Rechtsfrage ist dann als nicht klärungsbedürftig anzusehen, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, dh sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt(vglBSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 11 undBSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17) . Bei der insoweit gebotenen Aufarbeitung der rechtlichen Problematik hat sich die Beschwerde mit dem fraglichen Gesetz, der Rechtssystematik sowie den Gesetzesmaterialen auseinanderzusetzen(vglBSG Beschluss vom 16.10.2018 - B 12 KR 26/18 B - juris RdNr 5 ). Eine Rechtsfrage ist dann höchstrichterlich geklärt und damit als nicht (mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese bereits beantwortet ist. Ist sie noch nicht ausdrücklich entschieden, genügt es, dass schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben(BSG Beschluss vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7 mwN) . Daher muss substantiiert aufgezeigt werden, dass und warum sich früheren Entscheidungen keine solchen Anhaltspunkte entnehmen lassen. Dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin behauptet in erster Linie eine ihrer Ansicht nach falsche Rechtsanwendung in ihrem konkreten Einzelfall, greift also die Subsumtion ihres Sachverhalts unter eine Norm an. Die Behauptung, die Entscheidung des Berufungsgerichts sei inhaltlich unrichtig, kann aber im sozialgerichtlichen Verfahren nicht zur Zulassung der Revision führen(vglBSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18) .
b) Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug(zu den Anforderungen an die Bezeichnung eines solchen Verfahrensmangels s exemplarischBSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4;BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 4 - jeweils mwN; Meßling in Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, Kap IX RdNr 113 ff) . Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann sich der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG stützen. Ferner kann die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Prüfungsmaßstab ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG(vglBSG Beschluss vom 14.5.2007 - B 1 KR 21/07 B - juris RdNr 18 mwN;BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG;BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33) . Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn er hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargelegt wird, sodass das BSG allein anhand der Beschwerdebegründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht. Dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin trägt vor, das angefochtene Urteil verletze sie auch in ihren Grundrechten, da es sich verfahrensfehlerhaft nicht mit dem Ausmaß ihrer Belastung (psychische Beschwerden und alleinerziehende Mutter) und deren Kausalität auf das Überschreiten der Altersgrenze auseinandersetze. Durch die Nichtberücksichtigung ihrer Härten werde sie in ihren Rechten aus Art 12, 14 undArt 2 Abs 1 ,Art 20 Abs 3 GG verletzt. Weiterhin seien "neue" Beweismittel, nämlich das fachärztliche Attest vom 12.7.2019, vorgelegt worden, welches verfahrensfehlerhaft nicht berücksichtigt worden sei. Sie sei in ihrem Recht auf ein faires Verfahren ausArt 20 Abs 3 ,Art 2 Abs 1 GG verletzt, da die besonderen Umstände des Einzelfalls nicht ausreichend berücksichtigt worden seien.
Die Klägerin berücksichtigt nicht, dass sich nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt werden kann. Zudem kann ein Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Einen prozessordnungsgemäß gestellten und in der mündlichen Verhandlung des LSG aufrechterhaltenen Beweisantrag benennt die Klägerin nicht.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen(§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von§ 193 SGG .
Fundstellen
Dokument-Index HI16574460 |