Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Neuer Lebenssachverhalt. Unzulässigkeit. Verwaltungsverfahren. Inhaltliche Unrichtigkeit. Beweiswürdigung, Sachaufklärungspflicht. Beweisantrag. Rechtliches Gehör
Leitsatz (redaktionell)
1. Es ist in der Sache nicht über einen vom Kläger im Laufe des Klageverfahrens erstmals geltend gemachten Sachverhalt zu entscheiden, wenn dieser neue Lebenssachverhalt nicht Gegenstand des mit seiner Klage angefochtenen Bescheides war, so dass die auf den neuen Sachverhalt gestützte Klage unzulässig ist, weil es für eine gerichtliche Entscheidung an der vorherigen Durchführung eines Verwaltungsverfahrens fehlt.
2. Auf die inhaltliche Unrichtigkeit des angefochtenen Urteils kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden
3. Sofern der Kläger nicht mit der Auswertung und Würdigung der im Verfahren beigezogenen und eingeholten Arztberichte und Sachverständigengutachten durch das Berufungsgericht einverstanden ist, richtet er sich gegen dessen Beweiswürdigung, was im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren aber nicht gerügt werden kann.
4. Das Berufungsgericht muss sich im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht nicht zu weiteren Ermittlungen gedrängt sehen, wenn ein konkreter Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung nicht zu Protokoll gegeben und damit nicht bis zuletzt aufrechterhalten worden ist.
5. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet nur, dass der Kläger mit seinem Vortrag „gehört”, nicht jedoch „erhört” wird.
Normenkette
SGG § 73 Abs. 4, § 73a Abs. 1 S. 1, §§ 95, 103, 109, 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2; ZPO §§ 114, 121; BVG § 1 Abs. 3
Verfahrensgang
SG Regensburg (Entscheidung vom 17.06.2016; Aktenzeichen S 13 VS 6/10) |
Bayerisches LSG (Urteil vom 06.08.2019; Aktenzeichen L 15 VS 7/16) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 6. August 2019 Prozesskostenhilfe zu gewähren und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
I
Der Kläger begehrt in der Hauptsache die Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Wehrdienstbeschädigung und die Gewährung von Beschädigtenversorgung. In seinem Antrag vom Dezember 2004 gab der Kläger als schädigende Ereignisse die unterlassene Behandlung wegen einer akuten Rhinitis pollinosa im Jahr 1974 sowie eine Anfang 1975 stattgefundene unsachgemäße "Desensibilisierung" gegen Blütenpollen während seiner Wehrdienstzeit bei der Nationalen Volksarmee an. Nach Einholung von ärztlichen Befundberichten und Stellungnahmen lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 25.3.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.6.2010 ab. Das SG hat ua nach Einholung eines Sachverständigengutachtens die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 17.6.2016). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Soweit der Kläger nunmehr - aufgrund von Erkenntnissen, die er erst im Klageverfahren erlangt habe - in der Verordnung der Medikamente Acesal (Acetylsalicylsäure) und Mebacid (Sulfamerazin) im November 1974 das schädigende Grundereignis sehe, sei dies gegenüber den streitgegenständlichen Bescheiden ein neuer Streitgegenstand, weil es sich insoweit um einen neuen Lebenssachverhalt handele. Eine auf diesen neuen Lebenssachverhalt gestützte Klage sei unzulässig, weil es für eine gerichtliche Entscheidung an der vorherigen Durchführung eines Verwaltungsverfahrens fehle. Dass die vom Kläger behauptete unterlassene Behandlung seiner Rhinitis pollinosa oder die Anfang 1975 erhaltene Spritze zur "Desensibilisierung" gegen Blütenpollen mit Wahrscheinlichkeit zu einer Entstehung oder richtungsweisenden Verschlimmerung der vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen geführt haben könnten, sei in Übereinstimmung mit dem SG nicht zu erkennen (Urteil vom 6.8.2019).
Nach Zustellung des Urteils am 16.8.2019 hat der Kläger mit einem beim BSG am 15.9.2019 eingegangenem Schreiben vom 13.9.2019 Prozesskostenhilfe (PKH) für die Durchführung einer Nichtzulassungsbeschwerde beantragt.
II
Der PKH-Antrag des Klägers ist unbegründet.
PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO). An der erforderlichen Erfolgsaussicht fehlt es hier. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) in der Lage wäre, die vom Kläger angestrebte Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen.
Hinreichende Erfolgsaussicht hätte die Nichtzulassungsbeschwerde nur, wenn einer der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe mit Erfolg geltend gemacht werden könnte. Die Revision darf danach nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
Nach Durchsicht der Akten und der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung fehlen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass ein vor dem BSG zugelassener Prozessbevollmächtigter einen der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe mit Erfolg darlegen oder bezeichnen könnte. Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall des Klägers hinausgehende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Auch ist nicht ersichtlich, dass das LSG entscheidungstragend von der Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG).
Schließlich fehlt ein ausreichender Anhalt dafür, dass ein die Revisionszulassung rechtfertigender Verfahrensfehler des LSG vorliegen könnte. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG (Anhörung eines bestimmten Arztes) und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Für einen solchen Verfahrensmangel ist nichts ersichtlich. Insbesondere hat das LSG den Streitgegenstand nicht verkannt und zu Recht und mit zutreffender Begründung in der Sache nicht über die vom Kläger im Laufe des Klageverfahrens erstmals geltend gemachte Fehlbehandlung im November 1974 durch die Gabe der Medikamente Acesal und Mebacid als gesundheitsschädigendes Ereignis entschieden. Denn dieser neue Lebenssachverhalt war ersichtlich nicht Gegenstand des hier vom Kläger mit seiner Klage allein angefochtenen Bescheids des Beklagten vom 25.3.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.6.2010 (§ 95 SGG). Die hieraus gezogene Schlussfolgerung des LSG, dass die auf den neuen Sachverhalt gestützte Klage unzulässig sei, weil es für eine gerichtliche Entscheidung an der vorherigen Durchführung eines Verwaltungsverfahrens fehle, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Soweit der Kläger mit der Entscheidung des LSG, dass die von ihm behauptete unterlassene Behandlung wegen einer Rhinitis pollinosa im Jahr 1974 und die nach seinen Angaben Anfang 1975 stattgefundene "Desensibilisierung" gegen Blütenpollen nicht mit Wahrscheinlichkeit iS des § 1 Abs 3 Bundesversorgungsgesetz zu einer Entstehung oder richtungsweisenden Verschlimmerung der vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen geführt haben, nicht einverstanden sein sollte, wendet er sich gegen die inhaltliche Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Hierauf kann jedoch eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden (vgl stRspr, zB Senatsbeschluss vom 29.2.2016 - B 9 SB 91/15 B - juris RdNr 6 mwN). Sofern der Kläger in diesem Zusammenhang nicht mit der Auswertung und Würdigung der im Verfahren beigezogenen und eingeholten Arztberichte und Sachverständigengutachten durch das Berufungsgericht einverstanden ist, richtet er sich gegen dessen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 SGG kann im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG aber nicht gerügt werden. Schließlich musste sich das Berufungsgericht im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) auch nicht zu weiteren Ermittlungen gedrängt sehen. Einen konkreten Beweisantrag hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 6.8.2019 nicht zu Protokoll gegeben und damit nicht bis zuletzt aufrechterhalten. Sofern der Kläger in seinem Schreiben vom 6.2.2019 noch angekündigt hatte, in der mündlichen Verhandlung zu beantragen, Prof. Dr. M nach § 109 SGG zu hören, hat er einen solchen Antrag dort ausweislich der Sitzungsniederschrift nicht mehr gestellt. Überdies ist in § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 SGG ausdrücklich bestimmt, dass ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung des § 109 SGG gestützt werden kann. Der Ausschluss einer Rüge der fehlerhaften Anwendung des § 109 SGG gilt umfassend und unabhängig davon, worauf der geltend gemachte Verfahrensmangel im Einzelnen beruht (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 7.6.2018 - B 9 V 69/17 B - juris RdNr 9 mwN). Auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) ist nicht ersichtlich. Mit dem Kläger wurde in der mündlichen Verhandlung ausweislich des Sitzungsprotokolls das Sach- und Streitverhältnis erörtert. Er hatte dort Gelegenheit, seine Rechtsansicht darzulegen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet nur, dass der Kläger mit seinem Vortrag "gehört", nicht jedoch "erhört" wird. Die Gerichte werden durch Art 103 Abs 1 GG nicht dazu verpflichtet, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (Senatsbeschluss vom 28.9.2018 - B 9 V 22/18 B - juris RdNr 11 mwN). Der Kläger behauptet nicht, dass das LSG ihn daran gehindert habe, in der mündlichen Verhandlung die von ihm im Schreiben vom 6.2.2019 nur angekündigten Anträge auf ergänzende Befragung des Sachverständigen Prof. Dr. N, auf Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. M nach § 109 SGG sowie auf Befragung der dort als Zeugen benannten Personen auch zu Protokoll zu stellen.
Da dem Kläger keine PKH zusteht, kann er auch nicht die Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
Fundstellen
Dokument-Index HI13586862 |