Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Unzutreffende Rechtsanwendung. Ablehnung. Befangenheit. Rechtsmissbrauch
Leitsatz (redaktionell)
1. Auf eine unzutreffende Rechtsanwendung allein kann die Zulassung der Revision nicht gestützt werden.
2. Die wiederholte Praxis eines Klägers, einen beteiligten Richter wegen seiner Ansicht nach jeweils unzutreffender rechtlicher Bewertungen und verfahrensrechtlicher Vorgehensweisen abzulehnen, kann als rechtsmissbräuchlich angesehen werden.
Normenkette
SGG § 73a Abs. 1 S. 1, §§ 103, 109, 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 Sätze 1-2, § 169 Sätze 2-3, § 202 S. 1; ZPO §§ 114, 121, 547 Nr. 1; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
SG Köln (Entscheidung vom 03.04.2020; Aktenzeichen S 16 U 263/18) |
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 08.02.2022; Aktenzeichen L 15 U 244/20) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. Februar 2022 Prozesskostenhilfe zu gewähren und Rechtsanwalt M, F, beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem vorstehend genannten Urteil wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten in der Hauptsache darüber, ob bei dem Kläger eine Berufskrankheit (BK) nach Nr 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen und eine Verletztenrente zu gewähren ist.
Die Beklagte lehnte im Jahre 1996 und erneut mit Bescheid vom 25.1.2018 sowie Widerspruchsbescheid vom 12.6.2018 die Anerkennung einer BK nach Nr 2108 ab. Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 3.4.2020) und das LSG die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 8.2.2022).
Der Kläger hat mit per Telefax am 4.4.2022, einem Montag, eingegangenen Schriftsatz vom 24.3.2022 Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem ihm am 2.3.2022 zugestellten Urteil des LSG beantragt und eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat am 4.4.2022 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt und diese nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 2.5.2022 mit an diesem Tag sowie am 13.5.2022 eingegangenen Schriftsätzen begründet.
II
1. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten des Klägers ist abzulehnen.
Ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das angefochtene Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Ein solcher die Zulassung der Revision rechtfertigender Grund ist weder den Ausführungen des Klägers noch dem Inhalt der von seinem Prozessbevollmächtigten eingereichten Schriftsätzen aufgrund der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung des Streitstoffes zu entnehmen. Ein solcher Zulassungsgrund ergibt sich auch nicht aus der Durchsicht der Akten.
So ist nicht ersichtlich, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG haben könnte. Dass die Rechtssache klärungsbedürftige und in einem Revisionsverfahren klärungsfähige Rechtsfragen von allgemeiner Bedeutung aufwerfen könnte, ist nicht erkennbar. Zwar wird in den eingereichten Schriftsätzen ausgeführt, aus welchen Gründen das Urteil des LSG unzutreffend ist, auf eine unzutreffende Rechtsanwendung allein kann die Zulassung der Revision jedoch nicht gestützt werden.
Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) könnte ebenfalls nicht mit Erfolg geltend gemacht werden. Es ist dem Vorbringen des Klägers nicht zu entnehmen und auch aufgrund des Akteninhalts nicht ersichtlich, dass das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG seiner Entscheidung zugrunde gelegt haben könnte.
Schließlich lässt sich auch kein Verfahrensmangel erkennen, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Ein Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Zwar legt der Kläger in seinem Schriftsatz vom 24.3.2022 und in dem von seinem Prozessbevollmächtigten eingereichten Schriftsätzen ausführlich dar, aus welchen Gründen Verfahrensfehler vorliegen. Dass ein Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen könnte, der zur Zulassung der Revision führt, ist jedoch weder diesem Vorbringen noch dem Akteninhalt zu entnehmen.
Insbesondere ist eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) und ein Verstoß gegen § 202 Satz 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO nicht erkennbar, weil das LSG seine wiederholten Ablehnungsgesuche gegen den Vorsitzenden und die Berichterstatterin im Anschluss die Beschlüsse vom 25.1.2021 und 4.10.2021 im angefochtenen Urteil unter Mitwirkung des abgelehnten Richters als offensichtlich unzulässig verworfen und rechtsmissbräuchlich eingestuft und in der Sache entschieden hat. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des BSG kann - wie hier - die wiederholte Praxis eines Klägers, einen beteiligten Richter wegen seiner Ansicht nach jeweils unzutreffender rechtlicher Bewertungen und verfahrensrechtlicher Vorgehensweisen abzulehnen, als rechtsmissbräuchlich angesehen werden (zB BSG Beschluss vom 23.2.2022 - B 9 SB 74/21 B - juris RdNr 12 ff; BSG Beschluss vom 22.12.2021 - B 9 SB 42/21 B - juris RdNr 22 ff; BSG Beschluss vom 23.5.2018 - B 8 SO 1/18 BH - juris RdNr 8).
Mit der Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von PKH entfällt auch die Beiordnung eines Rechtsanwaltes (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO).
2. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG).
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG einen Zulassungsgrund iS des § 160 Abs 2 Nr 1, 2 oder 3 SGG (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Divergenz oder Vorliegen von Verfahrensmängeln, auf denen die Entscheidung des LSG beruhen kann) nicht hinreichend dargelegt bzw aufgezeigt. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat insoweit ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG; zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer solchen Verfahrensweise vgl BVerfG Beschluss vom 8.12.2010 - 1 BvR 1382/10 - NJW 2011, 1497).
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15503261 |