Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine weitere Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes an das Bundessozialgericht zur Klärung des Rechtswegs
Leitsatz (amtlich)
In einem sozialgerichtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist eine weitere Beschwerde an das Bundessozialgericht nach § 17a Abs 4 GVG zur Klärung des Rechtswegs ausgeschlossen (Anschluss an BVerwG vom 8.8.2006 - 6 B 65/06 = DVBl 2006, 1249; Abgrenzung zu BGH vom 9.11.2006 - I ZB 28/06 = NJW 2007, 1819 und BAG vom 26.9.2002 - 5 AZB 15/02 = NJW 2002, 3725).
Normenkette
GVG § 17a Abs. 4 Sätze 4-6; SGB 5 § 127 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Rechtsweg für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Zuschlagserteilung in einem Vergabeverfahren, das die Ausschreibung eines Vertrags zur Hauszustellung und Lieferung von Inkontinenzartikeln für Versicherte der Antragsgegnerin im Bundesland Nordrhein-Westfalen betrifft.
Die Antragstellerin betreibt in D. ein Sanitätshaus und ist als Orthopädietechnikbetrieb gemäß § 126 Abs 1 SGB V Vertragspartnerin der Antragsgegnerin (Zulassungsbescheid vom 12.7.2005). Die Zulassung umfasst ua die Abgabe von Inkontinenzhilfen an Versicherte der Antragsgegnerin. Durch Bekanntmachung vom 10.10.2007 (Europäische Gemeinschaft - Lieferaufträge - offenes Verfahren 2007/S 195-237200) schrieb die Antragsgegnerin den Abschluss einer Rahmenvereinbarung nach § 127 Abs 1 SGB V zur Versorgung ihrer Versicherten mit aufsaugenden Inkontinenzartikeln und Krankenunterlagen europaweit aus. Die Ausschreibung erfolgte in 20 Losen, wobei die Lose 4 bis 8 auf das Bundesland Nordrhein-Westfalen bezogen waren. Schlusstermin für den Eingang der Angebote bzw Teilnahmeanträge war der 19.11.2007 - 24.00 Uhr (Ziff IV.3.4 der Bekanntmachung), die Bindungsfrist der Angebote reichte bis zum 7.1.2008 (Ziff IV.3.7 der Bekanntmachung).
Die Antragstellerin forderte die Vergabeunterlagen nicht selbst bei der Antragsgegnerin an, sondern beschaffte sich diese außerhalb der unter Ziff IV.3.3 der Bekantmachung genannten Bedingungen. Mit Schreiben vom 23.10.2007 forderte sie die Antragsgegnerin auf, ihr gegenüber innerhalb einer Frist von drei Werktagen klarzustellen, dass aufgrund dieser Ausschreibung kein Zuschlag erteilt werde, denn sie sehe sich durch die Leistungsbeschreibungen und die Vertragsbestimmungen an der Abgabe eines Angebotes gehindert. Die Leistungs- und Vergabebedingungen benachteiligten sie unangemessen und berücksichtigten nicht die gesetzlichen Bestimmungen, wonach sie unter gewissen Voraussetzungen auch ohne Zuschlag berechtigt sei, eine Versorgung von Versicherten der Antragsgegnerin mit Inkontinenzartikeln weiterhin durchzuführen. Mit Schreiben vom 26.10.2007 lehnte die Antragsgegnerin eine inhaltliche Befassung ab, denn die Antragstellerin habe die Vertragsunterlagen nicht ordnungsgemäß angefordert. Daher sei diese im vorliegenden Vergabeverfahren bereits keine Bewerberin; es fehle ihr das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.
Am 30.10.2007 hat die Antragstellerin vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, der Antragsgegnerin bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu untersagen, in dem Vergabeverfahren über einen Vertrag zur Hauszustellung und Lieferung von Inkontinenzartikeln (2007/S 195-237200) einen Zuschlag zu erteilen für die im Bundesland Nordrhein-Westfalen gebildeten Lose 4 bis 8. Die Antragsgegnerin hat den beschrittenen Rechtsweg gerügt und beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
Mit Beschluss vom 14.11.2007 hat das SG den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und das Verfahren nach § 17a Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) an die Vergabekammer des Bundes verwiesen. Unter der Überschrift "Rechtsmittelbelehrung" hat das SG ausgeführt, das Hauptsacheverfahren werde bis zur Erledigung des Beschwerdeverfahrens zur Rechtswegentscheidung nach § 114 SGG ausgesetzt. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat mit Beschluss vom 20.12.2007 der Beschwerde der Antragstellerin stattgegeben, den Beschluss des SG vom 14.11.2007 aufgehoben und festgestellt, der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit sei eröffnet. Zugleich hat es die weitere Beschwerde zum Bundessozialgericht (BSG) nach § 17a Abs 4 Satz 4 und 5 GVG zugelassen.
Entscheidungsgründe
Die weitere Beschwerde ist im vorliegenden Fall ausgeschlossen. Das Rechtsmittel der Antragsgegnerin war deshalb als unzulässig zu verwerfen.
1) Die Beschwerde ist nicht wegen der Bindungswirkung des angefochtenen Beschlusses gemäß § 17a Abs 4 Satz 6 GVG zulässig. Nach dieser Vorschrift ist der oberste Gerichtshof des Bundes an die Zulassung der Beschwerde gebunden. Diese Bindung beschränkt sich wie bei einer Revisionszulassung (§ 160 Abs 3 SGG) auf die Zulassungsentscheidung als eine von mehreren Zulässigkeitsvoraussetzungen. § 17a Abs 4 Satz 6 GVG verfolgt den Zweck, dass eine Überprüfung der Zulassungsentscheidung bei einer ihrer Natur nach beschwerdefähigen Entscheidung nicht stattfinden soll. Die Bindungswirkung geht darüber nicht hinaus. Alle weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen bleiben davon unberührt (BVerwG, Beschluss vom 8.8.2006 - 6 B 65.06 - DVBl 2006, 1249; ebenso BSGE 13, 32 = SozR Nr 6 zu § 160 SGG und BSGE 13, 140 = SozR Nr 1 zu § 590 ZPO; Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 160 RdNr 27 zur Zulassung der Revision) .
2) Die Entscheidung des LSG über die Stattgabe einer Beschwerde gegen einen erstinstanzlichen Beschluss, durch den der Rechtsweg zu den Sozialgerichten in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren für unzulässig erklärt worden war, unterliegt nicht nach § 17a Abs 4 Satz 4 GVG der weiteren Beschwerde zum BSG.
a) Allerdings hat das LSG mit Recht angenommen, dass der Entscheidung über den Rechtsweg im Zusammenhang mit dem Abschluss von Rahmenvereinbarungen nach § 127 Abs 1 SGB V grundsätzliche Bedeutung iS des § 17a Abs 4 Satz 4 GVG zukommt. Durch die Neuregelungen des Gesundheitsreformgesetzes vom 20.12.1988 (BGBl I 2477) und des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 vom 22.12.1999 (BGBl I 2626) hat der Gesetzgeber die ausschließliche Zuständigkeit der Sozialgerichte für Rechtsstreitigkeiten zwischen Krankenkasse und Leistungserbringern auch insoweit begründet, als kartellrechtliche Ansprüche in Rede stehen (vgl BSG, Urteil vom 31.8.2000 - B 3 KR 11/98 R - BSGE 87, 95 = SozR 3-2500 § 35 Nr 1; BGH, Beschluss vom 14.3.2000 - KZB 34/99 - BGHR GWB § 87 Abs 1 Rechtsweg 2) . Ob hiervon abweichend bei Streitigkeiten über den Abschluss von Rahmenvereinbarungen nach § 127 Abs 1 SGB V die Zuständigkeit der Vergabekammern und -senate bei den Oberlandesgerichten nach den §§ 104, 116 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) besteht, ist noch nicht geklärt und in Rechtsprechung ( vgl etwa OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.5.2007 - VII-Verg 50/06, Verg 50/06 - GesR 2007, 429 einerseits; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19.11.2007 - 17 Verg 11/07 - juris; SG Stuttgart, Beschluss vom 20.12.2007 - S 10 KR 8404/07 ER ua andererseits) und Literatur (vgl etwa Lorff, ZESAR 2007, 104 ff; Hartmann/Dogulu, SGb 2007, 404 ff; Gabriel, NZS 2007, 344 ff einerseits, Engelmann in jurisPK-SGB V, § 69 RdNr 133 ff; Möschel, JZ 2007, 601 ff; Roth, GRUR 2007, 645 ff;Bloch/Puns, SGb 2007, 645 ff andererseits) umstritten. Deshalb hat das LSG zu Recht angenommen, dass die Entscheidung darüber nach § 17a Abs 4 Satz 4 GVG dem obersten Gerichtshof des Bundes obliegt.
b) Die Klärung der Frage kann jedoch nicht im Rahmen einer Rechtswegbeschwerde im Eilverfahren erfolgen. Deshalb war hier nicht zu entscheiden, ob es mit der Natur und den Besonderheiten des gerichtlichen Eilverfahrens überhaupt vereinbar ist, ein auf die Rechtswegfrage beschränktes Beschwerdeverfahren nach § 17a Abs 4 GVG durchzuführen (vgl BVerwG, Beschlüsse vom 15.11.2000 - 3 B 10.00 - Buchholz 310 § 40 VwGO Nr 286 und vom 6.7.2005 - 3 B 77.05 - Buchholz 300 § 17a GVG Nr 24) . Das kann hier auf sich beruhen; denn jedenfalls ist in einem solchen Verfahren eine weitere Beschwerde an das BSG ausgeschlossen ( ebenso für den einstweiligen Rechtsschutz im verwaltungsgerichtlichen Verfahren BVerwG, DVBl 2006, 1249). Etwas anderes hat der BGH nur für den einstweiligen Rechtsschutz im zivilgerichtlichen Verfahren (vgl BGH, Beschluss vom 9.11.2006 - I ZB 28/06 - NJW 2007, 1819 ) angenommen , weil die ZPO insoweit vorrangige, dem SGG unbekannte Sondervorschriften zur Rechtsbeschwerde (§§ 574 bis 577 ZPO) enthält. Gleiches hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) für den einstweiligen Rechtsschutz im arbeitsgerichtlichen Verfahren entschieden (vgl BAG, Beschluss vom 26.9.2002 - 5 AZB 15/02 - NJW 2002, 3725) , weil auch hier die §§ 574 bis 577 ZPO entsprechend gelten.
Aus § 17a Abs 4 Satz 5 GVG folgt, dass die weitere Beschwerde in der Regel der Beantwortung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dient. Dies zeigt, dass das Gesetz mit der weiteren Beschwerde auf eine Entscheidung zielt, die in ihrem Gewicht einer Revisionsentscheidung nahe kommt. Die Klärung fallübergreifender Probleme ist aber kaum vereinbar mit dem Ziel des auf vorläufigen Rechtsschutz gerichteten Verfahrens, in einem bestimmten Einzelfall bis zur Entscheidung in der Hauptsache zur Erhaltung des bestehenden Zustandes oder zur Abwendung wesentlicher Nachteile für den Antragsteller oder nach Abwägung der widerstreitenden Vollzugsinteressen eine Regelung zu treffen. Ein Verfahren mit einer solchen Zielrichtung würde durch eine weitere Beschwerde mit dem Ziel der Klärung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung praktisch unterlaufen. In einem auf die Beantwortung grundsätzlicher Rechtsfragen gerichteten Verfahren könnte ein Beschluss erst nach unter Umständen zeitraubender schriftsätzlicher Aufbereitung und unter Auswertung von Gesetzgebungsmaterialien, Rechtsprechung und wissenschaftlichen Äußerungen ergehen. Dies könnte unter Umständen zu einer folgenreichen Verzögerung der Entscheidung über den Antrag auf Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes führen. Es liegt in der Natur eines solchen Antrags, dass die Entscheidung des Gerichts möglichst ohne Verzögerung ergeht. Dementsprechend ordnet § 174 SGG für die Beschwerde gegen Beschlüsse des SG grundsätzlich an, dass die Beschwerde unverzüglich dem LSG vorgelegt wird, wenn nicht abgeholfen wird. Die weitere Beschwerde an das BSG ist nach § 177 SGG ausgeschlossen. In Anbetracht dieser besonderen Vorkehrungen des Gesetzgebers für einen zügigen Abschluss des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht angenommen werden, dass den Beteiligten für den in einem solchen Verfahren angefallenen Zwischenstreit über den Rechtsweg ein weitergehender Instanzenzug eröffnet ist als in dem zugrunde liegenden Verfahren selbst (vgl BVerwGE 108, 153, 156 und BVerwG, DVBl 2006, 1249) .
c) Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die Entstehungsgeschichte des § 17a GVG, obgleich der Wortlaut dieser Norm und des § 177 SGG prima facie für die Anfechtbarkeit im Beschwerdewege bei rechtsgrundsätzlicher Bedeutung sprechen. Die Beschwerdemöglichkeit bei Rechtswegstreitigkeiten (§ 17a Abs 4 Satz 4 bis 6 GVG iVm § 177 SGG), die durch die Neufassung der Vorschriften über die Rechtswegverweisung durch das 4. Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)-Änderungsgesetz vom 17.12.1990 (BGBl I 2809) zum 1.1.1991 in das GVG eingefügt worden ist, soll die nunmehr durch § 17a Abs 5 GVG ausgeschlossene revisionsgerichtliche Kontrolle der Rechtswegfrage in der Hauptsache ersetzen (vgl Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks 11/7030, S 37 f). Dieser Zweck der Neuregelung konnte für den einstweiligen Rechtsschutz im sozialgerichtlichen Verfahren von vornherein nicht eintreten, weil Beschlüsse des LSG über Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das BSG nach § 177 SGG ohnehin nicht überprüft werden können (ebenso für das verwaltungsgerichtliche Verfahren OVG Berlin, Beschluss vom 22.1.1991 - 8 S 6/91 - NJW 1991, 715) . Dass der Gesetzgeber den Beteiligten im Eilverfahren eine - bis Ende 1990 nicht gegebene - zusätzliche Überprüfungsmöglichkeit zum Rechtsweg durch Einräumung der weiteren Beschwerde ermöglichen wollte, obgleich die Eilentscheidung des LSG selbst nicht durch das BSG überprüft werden kann, ist nicht ersichtlich; auch die Gesetzesmaterialien (aaO) geben dafür keinen Anhaltspunkt.
d) Die Frage der Klärung des Rechtswegs bei Klagen gegen Vergabeentscheidungen für öffentliche Aufträge der Krankenkassen im Hilfsmittelbereich (§ 127 SGB V) muss daher einer Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten bleiben.
3) Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO (zur Notwendigkeit einer Kostenentscheidung vgl BSG SozR 3-1500 § 51 Nr 27) .
4) Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 Gerichtskostengesetz. Die Bemessung des Streitwerts auf 100 Euro folgt der Festsetzung durch das LSG im Beschwerdeverfahren und ist der Bedeutung der Sache angemessen.
Fundstellen