Verfahrensgang
LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 14.07.2016; Aktenzeichen L 30 P 76/14) |
SG Berlin (Entscheidung vom 22.07.2014; Aktenzeichen S 86 P 1221/13) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 14. Juli 2016 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die 1954 geborene Klägerin erhielt Pflegegeld nach der Pflegestufe II und begehrt die Zahlung dieser Leistungen auch für Zeiten der Verhinderungspflege im August/September 2011 sowie im Juli/August 2012. Mit diesem Begehren ist sie bei der Beklagten und in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Im Klageverfahren hat sie auch die formale Rechtwidrigkeit des angefochtenen Widerspruchsbescheides, insbesondere die nicht ordnungsgemäße Besetzung des Widerspruchsausschusses gerügt. Dazu hat das SG ausgeführt, weder das Gesetz noch die Satzung der Beklagten forderten besondere juristische Qualifikationen für die Mitglieder des Widerspruchsausschusses. Soweit ggf die Sachbearbeitung eine Entscheidungsvorlage vorbereite, könne nicht allein deshalb von der Rechtswidrigkeit des Widerspruchsbescheides ausgegangen werden, solange keine Erkenntnisse dazu vorlägen, dass die Mitglieder des Widerspruchsausschusses keine Möglichkeit zur Abweichung von dieser Vorlage hatten. Das Berufungsgericht hat hierauf Bezug genommen. Zur Begründung der Ablehnung des geltend gemachten Anspruchs auf Weitergewährung des Pflegegeldes für die Zeiten der Verhinderungspflege hat es ausgeführt: Die Praxis der Pflegekassen, bei stundenweiser Verhinderungspflege von bis zu acht Stunden am Tag das Pflegegeld in vollem Umfang weiter zu gewähren, sei vorliegend ohne Bedeutung, denn die Pflegeperson sei während der streitbefangenen Zeiträume wegen Erholungsurlaubs vollständig und nicht nur stundenweise an der Pflege gehindert gewesen. Des Weiteren hat das Berufungsgericht der Klägerin mit gleichem Urteil Verschuldenskosten nach § 192 Abs 1 Nr 2 SGG in Höhe von 650 Euro auferlegt.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat die Klägerin Beschwerde eingelegt. Sie rügt einen Verfahrensmangel sowie die Verletzung des Willkürverbots durch das LSG.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die Klägerin den geltend gemachten Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht formgerecht aufgezeigt hat (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) und die Kostenentscheidung allein mit der Beschwerde nicht anfechtbar ist. Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Die Klägerin rügt eine Verletzung der Hinweispflicht nach § 106 Abs 1 SGG, weil das Berufungsgericht ebenso wie bereits das SG darauf hinzuwirken gehabt habe, bzgl der Beteiligung des Sachbearbeiters am Widerspruchsverfahren sowie der Vorformulierung des Widerspruchsbescheides sachdienliche Erläuterungen von der Beklagten zu verlangen. Trotz entsprechender Rügen der Klägerin sei das Verfahren im Widerspruchsausschuss und der Umgang mit dem vorformulierten Widerspruchsbescheid völlig im Unklaren. Die Klägerin könne hierzu keine näheren Auskünfte geben. Der Widerspruchsbescheid sei aber rechtswidrig, wenn der Widerspruchsausschuss praktisch keine Möglichkeit gehabt habe, von dem vorformulierten Widerspruchsbescheid abzuweichen. Auch müsse es zur Rechtswidrigkeit des Widerspruchsbescheides führen, wenn der Sachbearbeiter der Beklagten an der Beratung und Entscheidung des Widerspruchsausschusses teilnehme und auf der Teilnehmerliste nicht aufgeführt werde. Hierzu hätte das Berufungsgericht Auskünfte einholen müssen oder zumindest die Klägerin darauf hinweisen müssen, einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen.
Soweit sich die gerügte Aufklärungspflicht nach § 106 Abs 1 SGG auf die Ergänzung ungenügender Angaben tatsächlicher Art und die Stellung eines Beweisantrags als sachdienlicher Antrag iS von § 106 Abs 1 SGG bezieht, ist diese Aufklärungspflicht Ausfluss aus dem Untersuchungsgrundsatz nach § 103 SGG (vgl hierzu B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 106 RdNr 1a). Wird ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht gerügt, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (zum Ganzen vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN). Diese Voraussetzungen können nicht dadurch umgangen werden, dass anstelle des Amtsermittlungsgrundsatzes nach § 103 SGG die Hinweis- und Aufklärungspflicht nach § 106 Abs 1 SGG gerügt wird.
Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Es fehlt nicht nur an Darlegungen dazu, aus welchen Gründen sich das Berufungsgericht zur weiteren Sachaufklärung bzw zu einem an die Klägerin gerichteten Hinweis auf einen entsprechenden Beweisantrag hätte gedrängt sehen müssen, es fehlen vor allem auch jegliche Angaben zu dem voraussichtlichen Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme sowie dazu, warum die Entscheidung des LSG auf der unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG können Ermittlungen von Amts wegen nicht gefordert werden, wenn für bestimmte Tatsachen keine Anhaltspunkte ersichtlich sind (vgl etwa BSGE 78, 207, 213; 81, 259, 263; 87, 132, 138; 89, 243, 247 sowie B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, aaO, § 103 RdNr 7a mwN). Wie in der Beschwerdebegründung zutreffend angegeben, kann die Klägerin selbst keine Auskünfte zum Umgang mit Schriftstücken geben, mit denen ggf die Sachbearbeitung einen Widerspruchsbescheid bereits vorformuliert. Aus der Entscheidung des SG, auf die das Berufungsgericht insoweit Bezug genommen hat, wird deutlich, dass keine Anhaltspunkte dafür gesehen wurden, dass die Mitglieder des Widerspruchsausschusses praktisch keine Möglichkeit gehabt hätten, von einem möglicherweise vorformulierten Widerspruchsbescheid abzuweichen. Auch bezüglich des Einwandes, ein Sachbearbeiter der Beklagten habe an der Beratung und Entscheidung des Widerspruchsausschusses teilgenommen, ohne auf der Teilnehmerliste aufgeführt zu sein, fehlt es an Darlegung von Anhaltspunkten, auf die diese Behauptung gestützt wird. Vor diesem Hintergrund wäre auch ein Beweisantrag der Klägerin nicht sachdienlich. Schließlich fehlt es an Darlegungen, warum die Entscheidung des Berufungsgerichts auf einem möglicherweise fehlerhaften Widerspruchsbescheid beruhen könnte. Insoweit ist es nicht ausreichend zu behaupten, die Entscheidung des LSG wäre dann anders zu treffen gewesen.
Gleiches gilt für die Rüge, das Berufungsgericht habe bei der Pflegeperson Auskünfte einzuholen gehabt oder die Klägerin auf weitere Ausführungen oder Beweismittel hinweisen müssen. Die Klägerin hat wiederholt angegeben, die Pflegeperson sei wegen Erholungsurlaubs verhindert. Auf die Frage, wie viele Stunden die Pflegeperson verhindert gewesen sei, hat sie wiederholt geantwortet, da die Pflegezeiten unter vier Stunden lägen, sei auch die Pflegeperson weniger als acht Stunden verhindert gewesen. Vor diesem Hintergrund fehlen auch diesbezüglich Anhaltspunkte, aus denen bei einer urlaubsbedingten Abwesenheit auf eine Verhinderung von weniger als acht Stunden täglich geschlossen werden könnte, und solche Anhaltspunkte werden auch in der Beschwerdebegründung nicht dargelegt. Es fehlt insbesondere an Darlegungen dazu, aus welchen Gründen die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, die Pflegeperson sei während der streitbefangenen Zeiträume infolge Erholungsurlaubs vollständig und nicht nur stundenweise an der Pflege gehindert gewesen, auf Verfahrensfehler zurückzuführen sein könnte.
Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass sich das BSG in einer Entscheidung vom 20.4.2016 (SozR 4-3300 § 34 Nr 3, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen) ausführlich mit der Verhinderungspflege für den Fall einer Verhinderung von weniger als acht Stunden befasst hat (RdNr 23). Mit dieser Entscheidung setzt sich die Beschwerdebegründung nicht auseinander.
2. Die Kostenentscheidung des LSG nach § 192 SGG ist nicht isoliert anfechtbar. Liegt bei einer Entscheidung über eine Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 160a SGG hinsichtlich der Hauptsache kein Zulassungsgrund vor, kann lediglich wegen der Kostenentscheidung die Revision nicht zugelassen werden (BSG SozR 1500 § 160 Nr 54; BSG Beschluss vom 25.10.2007 - B 11a AL 21/07 BH; vgl auch B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, aaO, § 192 RdNr 20; vgl auch § 144 Abs 4 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI11022598 |