Verfahrensgang
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 26.01.2017; Aktenzeichen L 10 SB 27/14) |
SG Hannover (Entscheidung vom 05.02.2014; Aktenzeichen S 25 SB 477/12) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 26. Januar 2017 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 26.1.2017 hat das LSG Niedersachsen-Bremen einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 70 verneint und die Einholung eines weiteren Gutachtens auf psychiatrischem Fachgebiet abgelehnt, weil eine solche Ermittlung "ins Blaue" hinein nicht erforderlich und deshalb auch nicht durch die Amtsermittlungspflicht des § 103 S 1 SGG geboten sei. Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt, die er mit dem Vorliegen von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) begründet.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie hier - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 36). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
a) Soweit - wie vorliegend - Verstöße gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gerügt werden, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1.) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2.) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund deren bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3.) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu einer weiteren Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4.) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5.) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 5, 35, 45; BSG SozR 1500 § 160a Nr 24, 34).
Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht. Der im Berufungsverfahren bereits anwaltlich vertretene Kläger hat insoweit lediglich vorgebracht, mit unter Beweis gestelltem Vortrag vom 7.8.2014, 25.8.2014, Beweisfragen vom 22.9.2014 und Antrag vom 23.1.2017 auf Einholung eines Gutachtens auf fachpsychiatrischem Gebiet einen Beweisantrag gestellt zu haben, dem das LSG hätte nachgehen müssen. Damit hat der Kläger allerdings nicht ausreichend einen bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag bezeichnet. Ein in der Berufungsinstanz anwaltlich vertretener Beteiligter kann nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt (stRspr, vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Denn nur dann hätte nach Sinn und Zweck des § 160 Abs 2 Nr 3 letzter Teils SGG ein Beweisantrag die Warnfunktion dahingehend erfüllt, dass ein Beteiligter die Sachaufklärungspflicht des Gerichts noch nicht als erfüllt ansieht (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 21; Nr 31 S 52). Wird ein Rechtsstreit - wie hier - ohne mündliche Verhandlung entschieden, tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt der Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG (BSG SozR 3-1500 § 124 Nr 3 S 4 f). Zur Darlegung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags muss allerdings nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte Beweis erhoben werden sollte. Denn Merkmal eines Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN). Hierzu hätte der Kläger insbesondere Ausführungen dazu machen müssen, dass er bei seiner Zustimmung zur Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung mit Schriftsatz vom 23.1.2017 einen solchen Antrag gestellt hat. Die bloße Darstellung, die Einholung eines Gutachtens auf fachpsychiatrischem Gebiet unter Beweis gestellt zu haben, genügt diesen Anforderungen nicht. Sofern der Kläger auf die mit Schriftsatz vom 22.9.2014 gestellten Beweisfragen Bezug nimmt, behauptet er nicht, diese auch mit Schriftsatz vom 23.1.2017 aufrechterhalten zu haben und setzt sich nicht mit dem Umstand auseinander, dass diese Beweisfragen Teil eines Antrags nach § 109 SGG gewesen sind, den er mit Schriftsatz vom 22.10.2014 zurückgenommen hat. Bloße Beweisanregungen haben prozessual und im Hinblick auf die Aufklärungsrüge nicht dieselbe Bedeutung wie ein Beweisantrag (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 20). Der Beschwerdebegründung ist nicht zu entnehmen, dass das Begehren des Klägers über eine solche Anregung hinausging.
Aber selbst wenn sich die Beschwerde auf einen Beweisantrag bezöge, den das LSG in seinem Urteil wiedergegeben hat, hat der Kläger auch nicht hinreichend dargelegt, dass sich das LSG hätte gedrängt fühlen müssen, dem Beweisantrag auf Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens nach § 103 SGG nachzugehen. Das LSG ist als letztinstanzliche Tatsacheninstanz nur dann einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt, wenn es sich hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5). Insoweit hätte es des klägerseitigen Vortrags bedurft, weshalb nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen und medizinischen Sachverhalt aus der rechtlichen Sicht des LSG erkennbar offengeblieben sind und damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden haben soll (vgl Becker, Die Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG [Teil II], SGb 2007, 328, 332 zu RdNr 188 unter Hinweis auf BSG Beschluss vom 14.12.1999 - B 2 U 311/99 B - mwN). Dies hat der Kläger versäumt. Die bloße Darstellung, weshalb aus seiner Sicht weitere Ermittlungen erforderlich gewesen wären, entspricht diesem Erfordernis nicht (vgl BSG Beschluss vom 4.12.2006 - B 2 U 227/06 B - RdNr 3). Auch der Hinweis darauf, dass das fachchirurgisch-sozialmedizinische Gutachten vom 9.9.2013 bis zur Urteilsverkündung am 26.1.2017 mehr als drei Jahre alt gewesen sei und deshalb die Erforderlichkeit zu weiteren Ermittlungen auf psychiatrischem Fachgebiet bestanden habe unter Bezugnahme auf den Beschluss des BSG vom 13.6.2013 (B 13 R 485/12 B) enthält keine ausreichenden Darlegungen. Der Kläger trägt auch nicht vor, diesbezüglich eine weitere chirurgische Beweiserhebung beantragt zu haben. Vielmehr weist der Kläger selbst auf den Befundbericht der Klinik für psychosomatische Medizin der H. in H. vom 7.1.2016 hin, in dem zum psychiatrischen Fachgebiet Ausführungen gemacht werden. Insoweit hätte es auch der weiteren Ausführungen des Klägers bedurft, weshalb das LSG unter Berücksichtigung des Befundberichts der H. sowie der beratungsärztlichen Stellungnahme des Beklagten vom 4.2.2016 zwingende Veranlassung gehabt haben soll, den medizinischen Sachverhalt aus seiner rechtlichen Sicht weiter aufzuklären. Tatsächlich kritisiert der Kläger die Beweiswürdigung des LSG (vgl § 128 Abs 1 S 1 SGG), womit er nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG von vornherein keine Revisionszulassung erreichen kann. Entsprechendes gilt, soweit der Kläger eine unzureichende Rechtsanwendung des LSG rügen wollte (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).
b) Soweit der Kläger eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, §§ 62, 128 Abs 2 SGG) durch das LSG darin sieht, er sei mit seinem Vortrag zur Einschränkung seiner gesundheitlichen Verhältnisse (Merkfähigkeit, Konzentration und Erschöpfung) nicht erhört worden, genügt sein Vorbringen ebenfalls nicht den Darlegungserfordernissen. § 62 SGG konkretisiert den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG). Die Vorschrift soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (§ 128 Abs 2 SGG; vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12; BVerfGE 84, 188, 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen mit einbezogen wird (BVerfGE 22, 267, 274; 96, 205, 216 f). Das Gericht muss jedoch nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn sich dieses aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (BVerfGE aaO), zB wenn ein Gericht das Gegenteil des Vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme - annimmt, oder den Vortrag eines Beteiligten als nicht existent behandelt (vgl BVerfGE 22, 267, 274), oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist (BVerfGE 86, 133, 146). Art 103 Abs 1 GG schützt indessen nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (BVerfGE 64, 1, 12; 76, 93, 98).
Der Kläger hat es in seiner Beschwerdebegründung versäumt darzulegen, welcher sachgerechte Vortrag zum Prozessstoff keine Beachtung gefunden haben soll und welches Ergebnis bei dessen Beachtung zu erwarten gewesen wäre. Die Behauptung der Verletzung seines rechtlichen Gehörs dadurch, dass das LSG in seinem Urteil vom 26.1.2017 davon ausgegangen sei, dass bei ihm keine Störungen der Konzentration und Merkfähigkeit vorlägen, legt kein Übergehen des Vortrags des Klägers dar. Vielmehr räumt dieser selbst ein, dass die Wertung durch das LSG hinsichtlich seines Vortrags aus dem Zeitraum von 2011 bis einschließlich 23.1.2017 "unzutreffend" sei, sodass das LSG seinen Vortrag zur Kenntnis genommen hat. Voraussetzung für den Erfolg einer Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist es insbesondere, dass der Kläger darlegt, seinerseits alles getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22 S 35; vgl auch BSGE 68, 205, 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6). Hieran fehlt es, der Kläger behauptet selbst keinen weiteren übergangenen Vortrag. Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Prozessgericht grundsätzlich nicht, die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte vorher mit den Beteiligten zu erörtern (vgl BSG SozR 3-1500 § 112 Nr 2 S 3 mwN). Einen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte zuvor mit den Beteiligten zu erörtern, gibt es nicht (BSG SozR 3-1500 § 112 Nr 2 S 3 = NJW 2000, 3590, 3591; BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1 S 3).
2. Von einer weitergehenden Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
3. Die Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde erfolgt ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI10895409 |