Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 07.09.1999; Aktenzeichen L 6 V 41/98)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. September 1999 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin begehrt von der Beklagten eine sogenannte Geschiedenenwitwenrente nach dem Versicherten E. … K., … geboren am 1. Mai 1930, verstorben am 10. März 1991. Dieser war in erster Ehe mit der im Jahre 1972 verstorbenen M. … K. … verheiratet, in zweiter Ehe vom 1. Dezember 1972 bis zur rechtskräftigen Scheidung aus dem alleinigen Verschulden des Versicherten am 18. Januar 1974 mit der Klägerin und in dritter Ehe seit dem 21. Dezember 1990 mit der Beigeladenen.

Mit Bescheid vom 18. Juni 1991 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. August 1992 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Geschiedenenwitwenrente mit der Begründung ab, der Klägerin habe im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod des Versicherten kein Unterhaltsanspruch in Höhe von mindestens 25 vH des maßgeblichen Sozialhilferichtsatzes zugestanden. Klage (Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22. Juli 1994) und Berufung (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Nordrhein-Westfalen vom 7. September 1999) blieben ohne Erfolg. Auch das LSG verneinte einen hinreichenden Unterhaltsanspruch der Klägerin gegenüber dem Versicherten. Dieser habe im maßgeblichen letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor seinem Tode über ein Einkommen von insgesamt 4.827,08 DM netto monatlich verfügt. Nach Abzug des monatlichen Unterhalts von 700,00 DM für den 1973 geborenen Sohn entfalle bei Aufteilung des Einkommens auf den Versicherten, die Klägerin und die Beigeladene im Verhältnis 1:1:1 auf die Klägerin ein Unterhaltsanspruch in Höhe von 1.375,69 DM. Dieser Betrag überschreite das eigene Einkommen der Klägerin (Erwerbsunfähigkeitsrente) in Höhe von monatlich 1.344,03 DM um 31,66 DM in sozialrechtlich nicht relevanter Höhe. Ausgehend von einem Regelsatz der Sozialhilfe für den Haushaltsvorstand von 449,00 DM ab Juli 1990 beliefe sich der Mindestunterhaltsanspruch auf 112,25 DM.

Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, die Rechtssache werfe ungeklärte Rechtsfragen von allgemeiner Bedeutung auf; auch habe das LSG durch Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör in verfahrensfehlerhafter Weise entschieden.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet. Es liegt kein gesetzlicher Grund vor, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG liegt nicht vor, weil die aufgeworfenen Rechtsfragen nicht klärungsbedürftig sind.

a) Die Beschwerdeführerin wirft die Rechtsfrage auf: Ist für die Feststellung des Unterhaltsbedarfs des Unterhaltsberechtigten im Falle der Wiederverheiratung des Unterhaltsverpflichteten dessen zu berücksichtigendes Einkommen zu halbieren oder für den Fall, daß der Unterhaltsverpflichtete seinem Ehegatten gegenüber ebenfalls unterhaltsverpflichtet ist, das Einkommen zwischen ihm, dem unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten und dem jetzigen Ehegatten im Verhältnis 1:1:1 aufzuteilen? Diese Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, weil sie in ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) geklärt ist. Danach bestimmt sich die Unterhaltsverpflichtung des Versicherten nach den §§ 58, 59 des Ehegesetzes (EheG). Diese Vorschriften sind zwar mit Ablauf des 30. Juni 1977 außer Kraft getreten, aber – in Fällen wie hier – noch anwendbar, wenn die Ehe des Versicherten und der früheren Ehefrau vorher geschieden wurde (vgl Art 12 Nr 3 Abs 2 des Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14. Juni 1976, BGBl I 1421). Nach § 58 Abs 1 EheG ist der schuldig geschiedene Ehegatte verpflichtet, dem anderen den nach den Lebensverhältnissen beider Ehegatten angemessenen Unterhalt zu gewähren, soweit die Einkünfte aus dem Vermögen des anderen Ehegatten und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit nicht ausreichen. Nach § 59 Abs 1 EheG hat er nur so viel zu leisten, als es mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des anderen Ehegatten der Billigkeit entspricht, wenn er durch die Gewährung des in § 58 EheG bestimmten Unterhalts bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen den eigenen angemessenen Unterhalt gefährden würde. Voraussetzung des Unterhaltsanspruchs ist somit, daß der Versicherte während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes leistungsfähig und die frühere Ehefrau unterhaltsbedürftig war (vgl statt vieler das Urteil des BSG vom 11. November 1986, SozR 2200 § 1265 Nr 82 S 274; 8. September 1993 – 5 RJ 20/92 –, HVBG-Info 1994, 331; 27. November 1986 – 5a RKn 3/86 –, Kompaß 1987, 241 f). Der einem Versicherten für den Unterhalt seiner geschiedenen Frau und seiner Ehefrau zur Verfügung stehende Betrag ist mithin nach Billigkeit zu verteilen; das schließt es aus, den Unterhalt schematisch zu halbieren (oder ohne triftigen Grund die geschiedene Frau der Ehefrau unterhaltsrechtlich vorzuziehen: BSG vom 27. November 1986 aaO). Damit ist auch eine schematischen Drittelung (mithin Halbierung des den Frauen zugedachten Unterhalts), wie sie vorliegend vom LSG zugrunde gelegt worden ist, nicht gerechtfertigt. Indessen vermag auch eine möglicherweise irrige Rechtsansicht des Berufungsgerichts die Annahme einer ungeklärten Rechtsfrage für die Revisionszulassung nicht zu begründen.

b) Die weiterhin geltend gemachte Rechtsfrage lautet: Ist für die Feststellung des Unterhaltsbedarfs bei geschiedenen Ehegatten, von denen einer im Zeitpunkt der Ehescheidung nicht berufstätig war, bei der Ermittlung des Einkommens des Unterhaltsverpflichteten nur dessen Erwerbseinkommen/Erwerbsersatzeinkommen zu berücksichtigen oder kommen auch andere Vermögensbestandteile in Betracht? Ihr mißt der Senat keine Klärungsbedürftigkeit bei. Die Antwort ergibt sich bereits aus dem Gesetz. Sowohl § 59 Abs 1 des insoweit noch anwendbaren EheG als auch § 65 Abs 1 Satz 2 Reichsknappschaftsgesetz ≪RKG≫ (= § 1265 Abs 1 Satz 2 Reichsversicherungsordnung) bezeichnen für den nach § 58 EheG geschuldeten Unterhalt ausdrücklich die „Vermögens- und Erwerbsverhältnisse der geschiedenen Ehegatten” (so § 59 Abs 1 Satz 1 EheG) bzw die „Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten” (§ 65 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RKG) als Maßstab. Damit sind Geldanlagen und daraus gezogene Zinseinkünfte bei der hier geforderten Unterhaltsermittlung zu berücksichtigen.

2. a) Soweit die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang gerügt hat, das LSG habe ihren Tatsachenvortrag zum Vermögen des Versicherten im Schriftsatz vom 27. Januar 1999 nebst Anlagen unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht zur Kenntnis genommen, bleibt sie ebenfalls ohne Erfolg. Es besteht keine Verpflichtung der Gerichte, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen; eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist deshalb vielmehr nur anzunehmen, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, daß das Gericht seine Verpflichtung nicht erfüllt hat (vgl Urteil des 10. Senats des BSG vom 27. September 1994, BSGE 75, 92, 94 mit zahlreichen weiteren Nachweisen zur Rspr von BVerfG und BSG). Dabei kommt es allein auf den rechtlichen Standpunkt des LSG an (vgl Meyer-Ladewig, SGG mit Erläuterungen, 6. Aufl, § 62 Rz 7a mwN zur Rechtsprechung des BVerfG). Das LSG hat ausgeführt, der allein maßgebliche letzte wirtschaftliche Dauerzustand zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten sei durch dessen alleinige Erwerbstätigkeit geprägt gewesen. Demnach kam es auf Zinseinkünfte aus Sparbüchern und Wertpapieren nicht an. Eine – dieser Rechtsauffassung möglicherweise zugrundeliegende – Abweichung von der angeführten Rechtsprechung des BSG zur Unterhaltsermittlung hat die Beschwerdeführerin insoweit jedoch nicht gerügt (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG).

b) Soweit mit der Beschwerde in einem weiteren Zusammenhang eine Verletzung des rechtlichen Gehörs als Verfahrensmangel geltend gemacht wird, ist sie ebenfalls unbegründet. Die Beschwerdeführerin rügt, mit seiner Rechtsansicht, wonach die Erwerbsunfähigkeitsrente der Klägerin auf ihren Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten in voller Höhe anrechenbar gewesen sei, habe sie das LSG überrascht. Mangels Hinweisen in Rechtsprechung oder Literatur habe sie nicht mit der Ansicht rechnen müssen, die Klägerin hätte die (der Rente zugrundeliegende) Erwerbstätigkeit aus finanzieller Not aufnehmen müssen, um eine Vollanrechnung ihrer Erwerbsunfähigkeitsrente zu vermeiden. Wäre sie hingegen auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt aufmerksam gemacht worden, so hätte sie die geforderte Notsituation darlegen können. Diese Rüge greift nicht durch. Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll zwar verhindern, daß die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf einer Rechtsauffassung beruht, zu der die Beteiligten keine Veranlassung hatten, sich zu äußern (BSG vom 19. März 1991, BSGE 68, 205, 211 mwN; Meyer-Ladewig aaO Rz 8a ff mwN). Maßstab ist insoweit, ob ein gewissenhafter und kundiger Prozeßbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretener Rechtsauffassungen ohne vorherigen Hinweis des Gerichts mit dem rechtlichen Gesichtspunkt nicht zu rechnen brauchte (Pieroth in Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 3. Aufl, Art 103 Rz 31 mwN zur Rechtsprechung von BVerfG, BVerwG, BAG und BSG). Mit der vom LSG vertretenen Ansicht, die von der Klägerin tatsächlich ausgeübte Erwerbstätigkeit sei ihr zumutbar gewesen, nachdem sie im vor dem Amtsgericht Bochum geführten Unterhaltsprozeß nicht vorgetragen habe, durch finanzielle Not zur Arbeit gezwungen gewesen zu sein, konnte das Gericht einen sorgfältig Prozeßführenden nicht überraschen. Dafür konnte es sich nämlich auf die (auch zitierte) Rechtsprechung des BSG beziehen. Die Frage, ob eine geschiedene Frau trotz eigenen Erwerbseinkommens im Verhältnis zum Versicherten unterhaltsbedürftig ist, weil der Versicherte sie billigerweise nicht auf die betreffenden Erträgnisse verweisen darf, ist nach den gesamten Umständen des jeweiligen Falles zu beurteilen. Dabei hat das BSG dem Gedanken der Billigkeit als Voraussetzung der Zumutbarkeit besonders dann Rechnung getragen, wenn die geschiedene Frau aus Not wegen ausgebliebener Unterhaltsleistungen des Versicherten gearbeitet hat (vgl BSG vom 25. November 1970 – 12 RJ 524/68 –, FamRZ 1971, 90; bestätigt durch Senatsurteil vom 30. September 1996 – 8 RKn 17/95 –, Kompaß 1997, 284 mwN).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG, wobei der Senat aus Billigkeitsgründen davon abgesehen hat, der Beschwerdeführerin die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens der Beigeladenen aufzuerlegen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175867

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