Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtsverfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. grundsätzliche Bedeutung. gerügter Verfassungsverstoß einer einfachgesetzlichen Norm
Orientierungssatz
1. Wird in einer Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ein Verfassungsverstoß geltend gemacht, muss eine darauf bezogene Rechtsfrage so klar formuliert sein, dass deutlich wird, welche konkrete Regelung des einfachen Rechts als mit der Verfassung nicht in Einklang stehend erachtet wird (vgl BSG vom 13.4.2022 - B 5 R 291/21 B = juris RdNr 10 sowie vom 14.3.2019 - B 12 KR 95/18 B = juris RdNr 4).
2. Des Weiteren muss unter Einbeziehung der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung - insbesondere des BVerfG, aber auch des BSG - im Einzelnen aufgezeigt werden, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Dazu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen geschildert, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verfassungsverletzung dargelegt werden (vgl BSG vom 14.3.2019 - B 12 KR 95/18 B = juris RdNr 5 sowie vom 8.8.2019 - B 5 R 282/18 B = juris RdNr 13).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3; VersAusglG §§ 27, 35; SGB VI § 101 Abs. 3, § 268a; GG
Verfahrensgang
SG Speyer (Urteil vom 24.08.2020; Aktenzeichen S 20 R 439/18) |
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 25.04.2022; Aktenzeichen L 2 R 250/20) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. April 2022 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung der Aussetzung einer Kürzung seiner Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 35 VersAusglG für die Zeit vom 1.2.2018 bis zum 30.4.2020.
Der 1954 geborene Kläger ist schwerbehindert und bezog bis zum 30.4.2020 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Seine Ehe wurde im Jahr 2017 geschieden. Dabei wurde ein Versorgungsausgleich durchgeführt, bei dem zu Lasten des Klägers ein Anrecht aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 28,9807 Entgeltpunkten auf seine bisherige Ehefrau und von dieser zu seinen Gunsten ein entsprechendes Anrecht in Höhe von 10,7634 Entgeltpunkten übertragen wurde. Den Antrag des Klägers auf Ausschluss des Versorgungsausgleichs wegen grober Unbilligkeit (vgl § 27 VersAusglG) lehnte das Familiengericht ab. Der beklagte Rentenversicherungsträger berechnete die Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1.2.2018 unter Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs neu (Bescheid vom 11.4.2018). Dabei verminderte er die bisher berücksichtigten 66,8805 Entgeltpunkte um 18,2173 Entgeltpunkte, dh um die Differenz zwischen 28,9807 abgegebenen und 10,7634 durch den Versorgungsausgleich von der bisherigen Ehefrau erworbenen Entgeltpunkten. Den Antrag des Klägers auf Zahlung einer nicht aufgrund des Versorgungsausgleichs gekürzten Rente lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 1.6.2018, Widerspruchsbescheid vom 5.7.2018; Bescheid im Überprüfungsverfahren vom 9.1.2020 und Widerspruchsbescheid vom 20.3.2020). Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 35 VersAusglG seien nicht erfüllt. Der Kläger habe durch den Versorgungsausgleich kein Anrecht erworben, aus dem er keine Leistung beziehen könne. Die dagegen erhobene Klage hat das SG abgewiesen (Urteil vom 24.8.2020). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 25.4.2022).
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat der Kläger Beschwerde zum BSG erhoben. Er macht eine grundsätzliche Bedeutung der Sache geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Die Beschwerdebegründung legt einen Revisionszulassungsgrund iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dar. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher zunächst aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten revisiblen Norm iS des § 162 SGG stellt. Sodann ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums darzutun, weshalb deren Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich ist aufzuzeigen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt (stRspr; zB BSG Beschluss vom 14.3.2019 - B 12 KR 95/18 B - juris RdNr 3 mwN; BSG Beschluss vom 24.6.2021 - B 5 RE 6/21 B - juris RdNr 6).
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Der Kläger bezeichnet die Frage als grundsätzlich bedeutsam, |
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"ob Personen mit einer anerkannten Schwerbehinderung, welche im Gegensatz zur nicht schwer behinderten Ehefrau erhebliche Anwartschaften in die Rentenkasse erdient haben und, wenn der Ehepartner eine außereheliche Beziehung eingeht, durch die Abschaffung des Rentnerprivileg unzumutbar benachteiligt werden". |
Er trägt dazu vor, sein Fall sei nicht vergleichbar mit der Konstellation, über die das BVerfG mit Beschluss vom 11.12.2014 (1 BvR 1485/12 - NJW 2015, 686) entschieden habe. Es müsse die Besonderheit seiner Schwerbehinderung berücksichtigt werden. Dass der Gesetzgeber das "Rentnerprivileg" auch für diese Personengruppe beseitigt habe, verstoße gegen das Benachteiligungsverbot des Art 3 Abs 3 Satz 2 GG.
Es ist bereits zweifelhaft, ob der Kläger eine abstrakte Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert. Er trägt in der Beschwerdebegründung zunächst vor, sich gegen die Ablehnung einer Aussetzung der Kürzung seiner Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 35 VersAusglG zu wenden, und macht umfangreiche Ausführungen zum Normzweck und zu den Anwendungsvoraussetzungen dieser Vorschrift. Auf den Hinweis der Beklagten und des LSG, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Norm in seinem Fall nicht vorliegen - da zur Durchführung des Versorgungsausgleichs keine Kürzung um die volle Summe der durch ihn ausgleichspflichtigen 28,9807 Entgeltpunkte erfolgte, sondern nur um die Differenz von 18,2137 Entgeltpunkten, sodass die von seiner bisherigen Ehefrau erworbenen Anrechte bei seiner Rente wegen Erwerbsminderung auch nach der Kürzung faktisch leistungswirksam sind - geht er allerdings nicht weiter ein. Stattdessen fokussiert er sich mit seiner Rechtsfrage auf eine Benachteiligung durch die Abschaffung des "Rentnerprivilegs", ohne zu erläutern, welcher Zusammenhang insoweit mit der Regelung in § 35 VersAusglG oder mit anderen Vorschriften besteht. Jedenfalls dann, wenn - wie hier - ein Verfassungsverstoß geltend gemacht wird, muss eine darauf bezogene Rechtsfrage jedoch so klar formuliert sein, dass deutlich wird, welche konkrete Regelung des einfachen Rechts als mit der Verfassung nicht in Einklang stehend erachtet wird (vgl BSG Beschluss vom 13.4.2022 - B 5 R 291/21 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 14.3.2019 - B 12 KR 95/18 B - juris RdNr 4 mwN). Das ist hier nicht der Fall.
Des Weiteren muss unter Einbeziehung der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung - insbesondere des BVerfG, aber auch des BSG - im Einzelnen aufgezeigt werden, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Dazu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen geschildert, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verfassungsverletzung dargelegt werden (BSG Beschluss vom 14.3.2019 - B 12 KR 95/18 B - juris RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 8.8.2019 - B 5 R 282/18 B - juris RdNr 13 mwN). Auch daran fehlt es hier. Zwar erläutert der Kläger die Regelung des § 35 VersAusglG und zitiert hierzu aus Bundestagsdrucksachen und instanzgerichtlichen Entscheidungen. Soweit er in seiner Rechtsfrage vor allem auf eine unzumutbare Benachteiligung aufgrund des Eingehens einer außerehelichen Beziehung durch den vormaligen Ehepartner abstellt, lässt er jedoch die insoweit einschlägige Regelung in § 27 VersAusglG und die Ablehnung von deren Anwendung durch das hierfür zuständige Familiengericht außer Acht. Auch mit den Beschlüssen des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der Abschaffung des Rentnerprivilegs (vom 11.12.2014 - 1 BvR 1485/12 - NJW 2015, 686, und vom 6.5.2014 - 1 BvL 9/12 ua - BVerfGE 136, 152) setzt er sich inhaltlich nicht näher auseinander. Ebenso wenig reflektiert er die Rechtsprechung insbesondere des BVerfG zu Art 3 Abs 3 Satz 2 GG (vgl zB BVerfG Beschluss vom 16.12.2021 - 1 BvR 1541/20 - NJW 2022, 380 = juris RdNr 91 mwN).
Dass der Kläger die gesetzgeberische Entscheidung zur Umgestaltung des Versorgungsausgleichs und infolgedessen auch die angefochtene LSG-Entscheidung aus sozialpolitischen Gründen für falsch hält, ist für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unerheblich (vgl zB BSG Beschluss vom 30.12.2015 - B 13 R 345/15 B - juris RdNr 14).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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Fundstellen
BetrAV 2023, 156 |
NZFam 2023, 176 |