Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Rechtsfrage. Höchstrichterliche Geklärtheit. Divergenz. Abhängige Beschäftigung. Selbständige Tätigkeit. Reinigungskraft
Leitsatz (redaktionell)
1. Selbst wenn das BSG eine Frage noch nicht ausdrücklich entschieden hat, so ist eine Rechtsfrage auch dann als höchstrichterlich geklärt anzusehen, wenn schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte auch zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben.
2. Divergenz liegt nicht schon dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1, §§ 162, 169 Sätze 2-3
Verfahrensgang
SG Frankfurt (Oder) (Entscheidung vom 06.11.2018; Aktenzeichen S 4 KR 442/15) |
LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 25.04.2019; Aktenzeichen L 9 KR 519/17) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. April 2019 wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2579,72 Euro festgesetzt.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich die Klägerin gegen die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen und Umlagen nebst Säumniszuschlägen iH von 2579,72 Euro anlässlich der Tätigkeit des Beigeladenen zu 3. in dem von ihr betriebenen Eiscafé-Bistro.
Die Klägerin betreibt ein Eiscafé-Bistro. Ein bis zwei Mal wöchentlich führte der Beigeladene zu 3. dort jeweils für ein bis zwei Stunden Reinigungsarbeiten durch. Dafür erhielt er monatlich 250 Euro. In einem Restaurant eines anderen Betreibers führte er ebenfalls Reinigungsarbeiten durch. Zugleich bezog er Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Im Rahmen einer Betriebsprüfung durch das Hauptzollamt erklärte er ua, dass er seine Arbeitszeit nicht habe frei gestalten können und ihm die erforderlichen Reinigungsprodukte zur Verfügung gestellt worden seien. Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg stellte fest, dass der Beigeladene zu 3. aufgrund Beschäftigung in allen Zweigen der Sozialversicherung versicherungspflichtig war und forderte von der Klägerin für die Zeit vom 1.2.2012 bis 13.6.2013 Gesamtsozialversicherungsbeiträge, Umlagen und Säumniszuschläge iH von 2579,72 Euro nach.
Klage und Berufung der Klägerin sind erfolglos geblieben. Mit ihrer Beschwerde wendet sie sich gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.
II
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 25.4.2019 ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Die Klägerin beruft sich in der Beschwerdebegründung vom 17.6.2019 auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG).
1. Die geltend gemachten Zulassungsgründe legt die Klägerin nicht in einer den Zulässigkeitsanforderungen nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG entsprechenden Weise dar.
a) Die Beschwerdebegründung erfüllt die Darlegungsvoraussetzungen für eine Grundsatzrüge nicht (vgl hierzu exemplarisch BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr, vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG Beschluss vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31 S 48).
aa) Die Klägerin formuliert keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht (BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - Juris RdNr 11 mwN). Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - Juris RdNr 11 mwN).
bb) Unabhängig hiervon legt die Klägerin auch nicht die Klärungsbedürftigkeit dar. Hierzu wäre die einschlägige Rechtsprechung des BSG darauf zu untersuchen, ob diese ggf ausreichende Hinweise für die Beantwortung der sinngemäß als klärungsbedürftig angesehenen Fragen enthält. Denn auch wenn das BSG eine Frage noch nicht ausdrücklich entschieden hat, so ist eine Rechtsfrage doch auch dann als höchstrichterlich geklärt anzusehen, wenn schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte auch zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17 sowie BSG Beschluss vom 31.3.1993 - 13 BJ 215/92 - SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6). Entgegen diesen Anforderungen fehlen in der Beschwerdebegründung jegliche konkrete Ausführungen zur einschlägigen Rechtsprechung des BSG, obwohl das LSG auf die ständige Rechtsprechung hingewiesen und "ua" ein konkretes Urteil genannt hat. Die wiederholte Aussage, es gebe mehrere 10 000 Menschen, die wie der Beigeladene zu 3. mit Reinigungsarbeiten beschäftigt und als Selbstständige zu qualifizieren seien, vermag die Klärungsbedürftigkeit nicht zu begründen.
b) Auch den behaupteten Zulassungsgrund der Divergenz legt die Klägerin nicht hinreichend dar. Divergenz setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine solche Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Insoweit genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG Beschluss vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und BSG Beschluss vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN).
Die Klägerin behauptet, das angefochtene Urteil weiche von einem Urteil des Senats ab (Hinweis auf BSG Urteil vom 7.6.2019 - B 12 R 6/18 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Das BSG habe entschieden, dass Honorarpflegekräfte in Pflegeheimen nicht selbstständig seien. Diese Tätigkeit sei "gut vergleichbar". Es liege aber ein "auffälliger und gravierender" Unterschied zur Tätigkeit einer Reinigungskraft vor. Daher liege eine Abweichung vor. Hierdurch legt die Klägerin eine Divergenz nicht dar, weil sie weder der genannten Entscheidung sie tragende Rechtssätze entnimmt noch einen Widerspruch dieser Rechtssätze im Grundsätzlichen behauptet und darlegt.
c) Schließlich genügt die Beschwerdebegründung auch nicht den Zulässigkeitsanforderungen, soweit die Klägerin umfangreich vorträgt, der Beigeladene zu 3. sei nicht abhängig beschäftigt, sondern "völlig offensichtlich" selbstständig tätig gewesen. Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18 = juris RdNr 9).
2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2, § 162 Abs 3 VwGO.
4. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG und entspricht der von den Beteiligten nicht beanstandeten Festsetzung durch das LSG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13613526 |