Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 22.08.1991)

 

Tenor

Auf die Gegenvorstellung des Klägers gegen den Beschluß des Senats vom 28. November 1991 wird dieser Beschluß dahin geändert, daß die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 22. August 1991 zurückgewiesen wird.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger hat gegen das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen vom 22. August 1991, das seine Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) Oldenburg vom 25. Juni 1990 als unzulässig verworfen und die Revision nicht zugelassen hatte, die Nichtzulassungsbeschwerde – entgegen der ihm erteilten Rechtsmittelbelehrung – beim LSG eingelegt, das diese dem Bundessozialgericht (BSG) innerhalb der Beschwerdefrist zugeleitet hat. Die – entgegen der Rechtsmittelbelehrung – wiederum dem LSG übersandte Beschwerdebegründung hat das LSG in die Berufungsakten eingeheftet; diese Akten sind dem BSG auf Anforderung innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist zugeleitet worden.

Der Senat hat die Beschwerde in der Annahme, sie sei nicht begründet worden, entspechend § 169 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Beschluß vom 28. November 1991 als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Gegenvorstellung des Klägers vom 9. Dezember 1991, mit der er geltend macht, die Beschwerdebegründung sei – gegenüber dem LSG – rechtzeitig erfolgt.

 

Entscheidungsgründe

II

Der Senat nimmt die Gegenvorstellung des Klägers zum Anlaß, seinen Beschluß vom 28. November 1991 unter Berücksichtigung der mit den Akten des LSG rechtzeitig beim BSG eingegangenen Beschwerdebegründung zu überprüfen (vgl BVerfG in SozR 1500 § 62 Nr 16 zu 2). Diese Überprüfung ergibt, daß die Beschwerde nicht begründet ist.

1) Nach der Rechtsprechung des BSG gehört zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, auf die sich die Beschwerde in erster Linie stützt, daß der Beschwerdeführer den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und dabei insbesondere den Schritt darstellt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (SozR 1500 § 160a Nr 31). Da der Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache unter dem Gesichtspunkt geltend macht, daß geklärt werden müsse, ob das SG den Rechtsstreit entscheiden durfte, obwohl ihm die Urlaubsabwesenheit des Klägers in Indien bekannt und der Rechtsstreit aus diesem Grunde bereits einmal vertagt worden war, kann das BSG zur Entscheidung dieser Frage nur gelangen, wenn das LSG die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zu Unrecht wegen verspäteter Einlegung als unzulässig verworfen hat. Letzteres hat der Beschwerdeführer sinngemäß behauptet, indem er geltend gemacht hat, das Urteil des LSG sei ihm nicht wirksam zugestellt worden und das LSG habe ihm zu Unrecht auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist versagt. Der Vorwurf, das LSG habe – entweder wegen noch nicht abgelaufener Berufungsfrist oder wegen rechtsirriger Ablehnung der Wiedereinsetzung – verfahrensfehlerhaft ein Prozeßurteil statt eines Sachurteils erlassen, erweist sich jedoch als nicht begründet.

2) Wohnsitz des Klägers war bei Klageerhebung seine Familienwohnung in Oldenburg. Eine Änderung in dieser Hinsicht hat er nicht vorgenommen. Er hat vielmehr dem SG zunächst nur mitteilen lassen, daß er sich in Indien in Urlaub befinde. Dies hat er – wenn auch unter Mitteilung seiner Urlaubsanschrift -mit dem Hinweis seiner Ehefrau darauf bestätigen lassen, daß er sich noch in Urlaub befinde und voraussichtlich Ende Juni 1990 wieder nach Hause komme. Das SG durfte deshalb davon ausgehen, daß den Kläger sowohl die Terminsladung als auch das Urteil am ehesten unter seiner Anschrift in Oldenburg erreichen werde. Deshalb durfte ihm bzw – im Wege der Ersatzzustellung – seiner Ehefrau die Terminsladung und das Urteil unter dieser Anschrift zugestellt werden. Das ergibt sich aus § 63 Abs 2 SGG iVm § 4 des Verwaltungszustellungsgesetzes und § 50 Abs 1 der Postordnung vom 16. Mai 1963 (BGBl I S 341). Durch die Zustellung des Urteils des SG an die Ehefrau des Klägers am 21. Juli 1990 wurde mithin die Berufungsfrist in Lauf gesetzt.

3) Bei Einlegung der Berufung zur Niederschrift des SG Oldenburg am 6. Oktober 1990 war die Berufungsfrist abgelaufen. Zu ihrer Wahrung kam deshalb nur noch die vom Kläger am gleichen Tage beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht. Deren Versagung durch das LSG beanstandet der Kläger zu Unrecht. Nach § 67 Abs 1 SGG wäre dem Kläger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur zu gewähren gewesen, wenn er ohne Verschulden verhindert gewesen wäre, die Berufungsfrist einzuhalten. Dies hat das LSG aufgrund der Angaben des Klägers zutreffend verneint. War der Kläger nämlich, wie er nach den Feststellungen des LSG angegeben hat, vom 6. März bis 6. Oktober 1990 – also 7 Monate – krankheitsbedingt in Indien, so mußte er dafür Sorge tragen, daß ihm Mitteilungen und Zustellungen in der seit 1988 anhängigen Klagesache auf dem hierfür geeigneten Wege bekannt wurden und für ihn wichtige Verfahrensfristen beachtet werden konnten. Für die ersten 6 Wochen seiner Urlaubsabwesenheit galt dies zwar im Hinblick auf die ursprünglich wohl beabsichtigte baldige Rückkehr noch nicht. Sobald der Kläger aber erkennen mußte, daß seine Rückkehr aus Indien sich krankheitsbedingt oder aus sonstigen Gründen erheblich verzögern würde, mußte er dafür sorgen, daß ihm durch die nicht absehbare Verlängerung seines Aufenthalts in Indien keine verfahrensrechtlichen Nachteile entstanden (vgl hierzu BVerfGE 34, 156; 41, 336; BVerwGE 77, 161 mwN). Dies hätte er durch Beauftragung einer geeigneten Person an seinem Wohnsitz – auch seiner Ehefrau – mit der Vorsprache beim SG Oldenburg im Falle eines ihm nachteiligen Urteils zwecks Rechtsmitteleinlegung, zumindest aber – wenn er dies nicht tun wollte – durch einen Nachsendeantrag bei der Post veranlassen können. Dies ist jedoch weder nach den Feststellungen des LSG noch nach dem Beschwerdevorbringen geschehen, aus dem sich ergibt, daß der Kläger davon abgesehen hat, seine Ehefrau insoweit zu bevollmächtigen.

Bei der Beurteilung des Verhaltens des Klägers ist zwar zu berücksichtigen, daß er als Ausländer erhebliche Schwierigkeiten hatte, die in seiner Situation erforderlichen Maßnahmen zu erkennen und zu treffen. Es kann ihm jedoch unter diesem Gesichtspunkt nicht jegliche prozessuale Sorgfalt erlassen werden, weil dies in Verfahren, an denen Ausländer beteiligt sind, zu einer nicht vertretbaren Rechtsunsicherheit führen würde (vgl BVerwG in Buchholz, § 60 VGO Nr 123). Unter den hier gegebenen Umständen mußte sich der Kläger somit wenigstens mit der Bitte um Rat an das SG wenden, was er tun müsse, um zu verhindern, daß ihm aus krankheitsbedingt fortdauernder Abwesenheit von seiner Familienwohnung in dem laufenden Verfahren Rechtsnachteile entstehen könnten. Selbst dies hat der Kläger jedoch unterlassen, obwohl er, wie die mündliche Verhandlung vor dem LSG gezeigt hat, durchaus sprachlich in der Lage war, sein Anliegen dem Gericht deutlich zu machen. Das LSG hat deshalb zu Recht angenommen, daß der Kläger die Berufungsfrist nicht unverschuldet versäumt hat. Dies rechtfertigt die Versagung der Wiedereinsetzung.

4) Da das LSG somit die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Oldenburg vom 25. Juni 1990 zutreffend wegen Versäumung der Berufungsfrist als unzulässig verworfen hat und die Zulässigkeit der Berufung vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen ist (BSGE 2, 225, 227; Meyer-Ladewig, SGG § 169 RdNr 3), könnte das BSG bei Zulassung der Revision nicht zu einer sachlichen Überprüfung des Urteils des LSG und damit auch nicht zur Überprüfung des Urteils des SG kommen. Es könnte insbesondere über die vom Beschwerdeführer gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das SG – Absehen von weiterer Vertagung –, in der der Beschwerdeführer eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung erblickt, nicht entscheiden. Deshalb kann dahingestellt bleiben, ob die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG hinreichend bezeichnet worden ist, weil der Beschwerdeführer nicht angegeben hat, welches Vorbringen durch das beanstandete Verhalten des SG verhindert worden ist (BSG in SozR § 160a Nr 36).

Die Beschwerde kann daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1172734

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