Verfahrensgang

LSG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 16.10.1996; Aktenzeichen L 1 Ka 6/95)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 16. Oktober 1996 wird verworfen.

Die Klägerin hat dem Beigeladenen zu 1) dessen Kosten des Beschwerde-verfahrens zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlich vorgeschriebenen Anforderungen.

Soweit die Beschwerde geltend macht, das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) weiche von den Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. Februar 1965 (BSGE 22, 257, 260 = SozR AVAVG § 143l Nr 2), vom 30. November 1978 (BSGE 47, 194, 196 = SozR 2200 § 1399 Nr 11) und vom 13. September 1984 (BSGE 57, 146, 150 = SozR 1300 § 103 Nr 2) ab, ist die Divergenz nicht iS des § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) „bezeichnet”. Eine Abweichung liegt nur vor, wenn das angefochtene Urteil auf einer bestimmten Rechtsauffassung beruht und diese zu der in einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) niedergelegten Rechtsansicht in Widerspruch steht. In der Beschwerdebegründung muß deshalb dargelegt werden, mit welcher konkreten Rechtsaussage das LSG von welchem näher bezeichneten Rechtssatz der höchstrichterlichen Rechtsprechung abgewichen ist. Diesen Anforderungen genügen die Darlegungen der Klägerin nicht. Sie führt in der Beschwerdebegründung unter Hinweis auf die oben bezeichneten Entscheidungen des BSG aus, daß auch im Sozialrecht die Möglichkeit der Verwirkung von Rechtsansprüchen anerkannt sei. Sie legt jedoch nicht einmal im Ansatz dar, inwieweit das LSG von diesem Rechtsgrundsatz der höchstrichterlichen Rechtsprechung abgewichen sein kann. In der von der Beschwerdebegründung zitierten Passage des Berufungsurteils begründet das LSG, aus welchen rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen es ein treuwidriges Verhalten des zu 1) beigeladenen Krankenhausarztes, auf das sich die Klägerin berufen hat, nicht hat feststellen können. Der Beschwerdebegründung ist nicht zu entnehmen, inwieweit das Berufungsgericht mit einer einzelfallbezogenen Begründung dafür, daß konkret treuwidriges Verhalten nicht vorliegt, von dem Rechtsgrundsatz abgewichen sein kann, daß auch im öffentlichen Recht das Rechtsinstitut der Verwirkung anerkannt ist.

Im übrigen läßt die Beschwerdebegründung nicht erkennen, welchen Rechtssatz das Berufungsgericht entwickelt haben könnte, der in Beziehung steht zu den Ausführungen des 4. Senats des BSG im Urteil vom 13. September 1984 (BSGE 57, 146, 150 = SozR 1300 § 103 Nr 2). In dieser Entscheidung des BSG sind Rechtsausführungen zu dem in § 86 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) niedergelegtem Gebot enthalten, wonach die Leistungsträger verpflichtet sind, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben eng zusammenzuarbeiten. Das BSG hat aus dieser Vorschrift abgeleitet, daß es einem Leistungsträger verwehrt sein kann, sich auf eine eigene frühere Entscheidung zum Nachteil eines anderen Sozialleistungsträgers zu berufen, wenn sich die frühere Entscheidung als offensichtlich fehlerhaft erweist. Ein solches, die formale Rechtsposition ausnützendes Verhalten kann das gesetzliche Gebot der engen Zusammenarbeit der Leistungsträger verletzen. Inwieweit sich das LSG zu diesen Ausführungen in Widerspruch gesetzt haben könnte, zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf. Das LSG hat in der von der Klägerin zitierten Passage ausdrücklich zu erkennen gegeben, daß es die Versagung der Ermächtigung des Beigeladenen zu 1) wegen eines widersprüchlichen Verhaltens dieses Arztes nicht für grundsätzlich ausgeschlossen hält, daß insoweit aber die Voraussetzungen, unter denen sich die Klägerin gegenüber einem Ermächtigungsantrag auf § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) berufen könnte, nicht gegeben seien.

Den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung auch insoweit nicht gerecht, als sie in der vom LSG unterlassenen Beiladung des DRK-Krankenhauses G. …, an dem der Beigeladene zu 1) tätig ist, eine Divergenz zu der Entscheidung des BSG vom 12. Oktober 1988 (SozR 1500 § 75 Nr 71) sieht. Die Klägerin bezeichnet keine Ausführungen des Berufungsgerichts zur Notwendigkeit bzw fehlenden Notwendigkeit der Beiladung des Krankenhausträgers auf der Grundlage des § 75 Abs 2 SGG, und das Urteil des LSG befaßt sich mit dieser Frage überhaupt nicht. Damit fehlt es schon im Ansatz an der Möglichkeit divergierender Rechtssätze im angefochtenen Urteil einerseits und in der von der Beschwerdebegründung zitierten Entscheidung des BSG vom 12. Oktober 1988 andererseits. Ob das LSG die Beiladung des Krankenhausträgers zu Unrecht unterlassen hat, ist keine Frage der Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG. Insoweit kann allenfalls ein Verfahrensfehler iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen. Darauf hat die Klägerin ihre Beschwerde jedoch nicht gestützt.

Unzulässig ist die Beschwerde auch, soweit auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) abgehoben wird. Die Klägerin hat die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage nämlich nicht iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG „dargelegt”. Dafür hätte sie die Rechtsfrage, die sie für grundsätzlich bedeutsam hält, klar bezeichnen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 11), die über den Einzelfall hinausgehende allgemeine Bedeutung der angestrebten Entscheidung aufzeigen (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 7, 39; BSG aaO § 160 Nr 60), die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage darstellen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 59; BSG aaO § 160 Nr 17) und schließlich den nach ihrer Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und dabei insbesondere den Schritt aufzeigen müssen, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 39; BSG aaO § 160a Nrn 31, 54). Diesen – verfassungsrechtlich unbedenklichen (BVerfG SozR 1500 § 160a Nrn 44, 45, 48) – Voraussetzungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Mit ihr wird lediglich geltend gemacht, es sei bislang weder allgemein für das Sozialrecht noch speziell im Kassenarztrecht höchstrichterlich geklärt bzw bestätigt, ob ein treuwidriges Verhalten und daraus resultierend eine Anspruchsverwirkung anzunehmen ist, wenn „sich zwar die Handhabung des einzelnen bei isolierter Betrachtung als rechtmäßig, aber bei einer Gesamtbetrachtung als eine Kollusion der Beteiligten darstellt”. Ob mit derart allgemeinen und abstrakten Formulierungen überhaupt eine im Revisionsverfahren entscheidungsfähige Fragestellung angesprochen ist, kann offenbleiben; denn die Klägerin hat nicht dargelegt, inwiefern es in einem etwaigen Revisionsverfahren zu einer Klärung dieser Frage kommen könnte. Die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage ist nicht hinreichend deutlich gemacht, wenn eine Frage aufgeworfen wird, die sich bei systematischer Prüfung erst stellt, wenn zu einer vorrangig zu beurteilenden Tat- oder Rechtsfrage der Auffassung des Beschwerdeführers gefolgt wird, die sich nicht mit derjenigen des angefochtenen Urteils deckt. Diese Situation ist hier gegeben.

Die von der Klägerin aufgeworfene Frage der rechtlichen Konsequenzen eines kollusiven Zusammenwirkens von mehreren Verfahrensbeteiligten unter dem Gesichtspunkt „treuwidrigen Verhaltens” wäre in einem Revisionsverfahren nur klärungsfähig, wenn tatsächlich das Verhalten des Beigeladenen zu 1) und des Krankenhausträgers als kollusiv zu Lasten der Klägerin zu werten ist. Das hat das LSG gerade nicht angenommen und zur Begründung ausgeführt, ein angestellter Krankenhausarzt müsse sich die Entscheidung seines Arbeitgebers, keine Mitteilung über die Öffnung des Krankenhauses für ambulante Operationen gemäß § 115 Abs 2 Satz 2 SGB V abzugeben, nicht zurechnen lassen, weil er darauf keinen Einfluß nehmen könne. Inwiefern die revisionsrichterliche Überprüfung der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts zu dieser vorrangig zu klärenden Frage auf eine Rechtsfrage von allgemeiner, dh über den konkreten Einzelfall hinausgehender Bedeutung führen kann, hätte die Klägerin zunächst darstellen müssen. Die Beschwerdebegründung befaßt sich damit jedoch noch nicht einmal ansatzweise. Sie setzt sich auch nicht mit der vom LSG angesprochenen Frage auseinander, ob im Hinblick auf den Rechtsanspruch des Beigeladenen zu 1) auf Erteilung einer Ermächtigung bei Vorliegen eines Bedarfs iS des § 116 Satz 2 SGB V und wegen der Verpflichtung der Klägerin zur Sicherstellung der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung eine Ermächtigung für ambulant durchführbare Leistungen allein deshalb versagt werden kann, weil das Krankenhaus die betreffenden Leistungen selbst ambulant durchführen könnte, dies aber nicht geschieht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Insoweit ist zu berücksichtigen, daß der Beklagte der Beschwerde der Klägerin zwar nicht beigetreten ist, jedoch zu erkennen gegeben hat, daß er der Beschwerde ausdrücklich nicht entgegentrete, auch wenn er ihr nicht in allen Punkten folgen könne. Wenn ein Beteiligter eher den Erfolg als den Mißerfolg einer Nichtzulassungsbeschwerde wünscht, ist es nicht gerechtfertigt, ihm im Fall der Verwerfung der Beschwerde als unzulässig einen Kostenerstattungsanspruch gegen den erfolglosen Beschwerdeführer zuzubilligen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174280

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