Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Mehrheit von prozessualen Ansprüchen. unechte Beiladung. Verfahrensmangel. keine medizinische Sachaufklärung. Verweis auf angeblich allgemeinkundige Tatsachen

 

Orientierungssatz

1. Bei einem Streitgegenstand, der zwei oder mehrere prozessuale Ansprüche umfasst, ist das Vorliegen von ordnungsgemäß dargelegten Revisionszulassungsgründen für jeden prozessualen Anspruch gesondert zu prüfen. Soweit die Beschwerde hinsichtlich eines prozessualen Anspruchs iS der Zurückverweisung an das LSG nach § 160a Abs 5 SGG begründet, hinsichtlich der anderen prozessualen Ansprüche unzulässig ist, entscheidet der Senat, soweit zuvor keine Trennung erfolgt ist, insgesamt über die Beschwerde in der Besetzung mit den ehrenamtlichen Richtern.

2. Die Mehrheit von prozessualen Ansprüchen wird im Falle der unechten Beiladung (§ 75 Abs 2 Alt 2, Abs 5 SGG) nicht dadurch in Frage gestellt, dass die einzelnen mit der Klage geltend gemachten prozessualen Ansprüche für den Beigeladenen nach dessen Leistungsrecht nur Berechnungselemente eines einheitlichen Anspruchs sind. Für die Bestimmung des Streitgegenstandes bleiben die mit der Klage gegen den Beklagten gerichteten prozessualen Ansprüche maßgeblich.

3. Allgemeinkundige Tatsachen sind nur solche, von denen verständige und erfahrene Menschen regelmäßig ohne Weiteres Kenntnis haben oder von denen sie sich aus allgemein zugänglichen, zuverlässigen Quellen unschwer überzeugen können oder auch solche, die in einem größeren oder kleineren Bezirk einer beliebig großen Menge bekannt sind oder wahrnehmbar waren und über die man sich aus zuverlässigen Quellen ohne besondere Fachkunde unterrichten kann (vgl BSG vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R = SozR 4-4200 § 21 Nr 14 RdNr 20).

4. Das LSG darf nicht durch Verweis auf angeblich allgemeinkundige Tatsachen von weiterer medizinischer Sachaufklärung Abstand nehmen, wenn es die Quellen, aus denen sich dieser Erfahrungssatz ableiten lässt, nicht aufzeigt.

 

Normenkette

SGG § 160a Abs. 1 S. 1, Abs. 5, § 160 Abs. 2 Nr. 3, §§ 103, 75 Abs. 2 Alt. 2, Abs. 5

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Urteil vom 19.10.2017; Aktenzeichen L 1 KR 75/16 ZVW)

SG Hamburg (Gerichtsbescheid vom 18.12.2014; Aktenzeichen S 28 KR 1936/13)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 19. Oktober 2017 insoweit aufgehoben, als es einen Anspruch der Klägerin auf Erstattung und zukünftige Übernahme der Kosten für die Beschaffung von indischen Flohsamenschalen verneint und von einer Verurteilung des Beigeladenen abgesehen hat. Die Sache wird insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen.

 

Gründe

I. Die Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse (KK) versichert. Sie begehrt die Erstattung von Kosten in unbezifferter Höhe für einen unbekannten Zeitraum für - zumindest teilweise mit Privatrezepten - selbst verschaffte, nicht verschreibungspflichtige Rezeptur- und Fertigarzneimittel und ein Nahrungsergänzungsmittel (indische Flohsamenschalen), sowie deren künftige Kostenübernahme. Mit diesem Begehren ist sie bei der Beklagten und den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben (LSG-Urteil vom 14.10.2015). Das BSG hat das LSG-Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen, weil das LSG das Jobcenter team.arbeit.hamburg als möglichen leistungspflichtigen Grundsicherungsträger nicht nach § 75 Abs 2 Alt 2 SGG notwendig beigeladen hat (BSG-Beschluss vom 5.7.2016 - B 1 KR 18/16 B - juris). Das LSG hat die Beiladung nachgeholt und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, auch der Beigeladene sei nach § 21 Abs 6 SGB II hinsichtlich der Arzneimittel nicht leistungspflichtig, weil zum Teil die befragten Ärzte die Notwendigkeit eines medizinischen Bedarfs nicht bejaht hätten (Aspirin, Buscopan) und im Übrigen die von der Klägerin geltend gemachten, auf den Monat umgerechneten Kosten den dafür im Regelsatz vorgesehenen Betrag nicht überschritten hätten. Der Beigeladene sei nach § 21 Abs 5 SGB II auch nicht hinsichtlich der indischen Flohsamenschalen leistungspflichtig. Dieses Mittel wirke durch die Formung des Stuhls einer Kontinenzstörung aufgrund Schließmuskelminderfunktion entgegen, eine Normalisierung der Stuhlbeschaffenheit sei aber schon durch Vollkost zu erreichen. Die Ernährung mit Vollkost werde von § 21 Abs 5 SGB II nicht erfasst (Urteil vom 19.10.2017).

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der von ihr formulierten Rechtsfrage und rügt Verfahrensfehler.

II. Die Beschwerde der Klägerin ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung (§ 160a Abs 5 SGG) begründet. Der von ihr gerügte Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) ist entsprechend den gesetzlichen Anforderungen bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Im Übrigen ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

1. Der Rechtsstreit, der der Beschwerde zugrunde liegt, betrifft mehrere prozessuale Streitgegenstände. Die Klägerin begehrt die Erstattung und zukünftige Übernahme von Kosten für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, darunter zum Teil Arzneimittel für die Behandlung von Hautkrankheiten, zum Teil andere nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel. Daneben begehrt die Klägerin auch die Erstattung und Übernahme von Kosten von indischen Flohsamenschalen, eines Nahrungsergänzungsmittels. Zwar hat das LSG nur einen Antrag auf Kostenerstattung und Kostenübernahme mit nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten protokolliert und als Klageantrag in seine Entscheidung aufgenommen. Zutreffend hat es unter Berücksichtigung des § 123 SGG aber auch über einen Anspruch hinsichtlich des Nahrungsergänzungsmittels entschieden, indem es die Berufung über den Anspruch auf Kostenerstattung und zukünftige Versorgung mit "Medikamenten" bezüglich der beklagten KK zurückgewiesen hat. Das Klagebegehren war und ist auf diejenigen nicht verschreibungspflichtigen Leistungsgegenstände gerichtet, die die namentlich benannten Ärzte verordnet bzw aus therapeutischen Gründen empfohlen haben. Zu diesen Ärzten zählt auch Dr. H., die rechtlich ungenau ua die indischen Flohsamenschalen als im Falle der Klägerin unter therapeutischen Gesichtspunkten indiziertes Medikament bezeichnet hat. Dies hat das LSG - auch unter Berücksichtigung der Bindungswirkung des Beschlusses des erkennenden Senats vom 5.7.2016 (B 1 KR 18/16 B - juris) - erkannt. Es hat auch gegenüber dem Beigeladenen ausdrücklich die Gewährung eines Mehrbedarfs bezüglich des Nahrungsergänzungsmittels geprüft und verneint.

2. Die Klägerin hat die Beschwerde über die Nichtzulassung der Revision auf das Ziel beschränkt, nur die Zurückweisung der Berufung wegen des Nahrungsergänzungsmittels und der Hautkrankheiten betreffenden Arzneimittel mit dem Rechtsmittel der Revision überprüfen zu lassen. Hinsichtlich der anderen, nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel betreffenden Ansprüche ist das Urteil des LSG rechtskräftig geworden. Für die damit verbliebenen prozessualen Ansprüche des Beschwerdeverfahrens macht die Klägerin unterschiedliche Revisionszulassungsgründe geltend. Als Zulassungsgrund für die Versagung der Kosten für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel rügt sie allein die grundsätzliche Bedeutung. Als Zulassungsgrund für die Versagung der Kosten für ein Nahrungsergänzungsmittel (Flohsamenschalen) macht sie allein einen Verfahrensfehler geltend.

Bei einem Streitgegenstand, der zwei oder mehrere prozessuale Ansprüche umfasst, ist das Vorliegen von ordnungsgemäß dargelegten Revisionszulassungsgründen für jeden prozessualen Anspruch gesondert zu prüfen (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 13g mwN; Becker, SGb 2007, 261, 265). Soweit die Beschwerde hinsichtlich eines prozessualen Anspruchs iS der Zurückverweisung an das LSG nach § 160a Abs 5 SGG begründet, hinsichtlich der anderen prozessualen Ansprüche unzulässig ist, entscheidet der Senat, soweit zuvor keine Trennung erfolgt (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 145 Abs 1 ZPO), insgesamt über die Beschwerde in der Besetzung mit den ehrenamtlichen Richtern (vgl BSG vom 30.11.2006 - B 9a SB 2/06 B). So liegt der Fall hier.

Die Mehrheit von prozessualen Ansprüchen mit der Rechtsfolge, dass für jeden prozessualen Anspruch Zulässigkeit und Begründetheit der Beschwerde zu prüfen ist, wird im Falle der unechten Beiladung (§ 75 Abs 2 Alt 2, Abs 5 SGG) nicht dadurch in Frage gestellt, dass - wie hier - die einzelnen mit der Klage geltend gemachten prozessualen Ansprüche für den gegenüber dem Beigeladenen nach dessen Leistungsrecht nur Berechnungselemente eines einheitlichen Anspruch sind (vgl BSG vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 14 RdNr 12; BSG vom 14.2.2013 - B 14 AS 48/12 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 15 RdNr 9 f; BSG vom 12.12.2013 - B 4 AS 6/13 R - BSGE 115, 77 = SozR 4-4200 § 21 Nr 16, RdNr 11). Für die Bestimmung des Streitgegenstandes bleiben die mit der Klage gegen die Beklagte gerichteten prozessualen Ansprüche maßgeblich. Diese werden hier durch das Leistungsrecht des für die beklagte KK maßgeblichen SGB V mitbestimmt, nicht jedoch durch das Leistungsrecht des für den beigeladenen Grundsicherungsträger maßgeblichen SGB II (zu der Bedeutung des Streitgegenstandes nach dem SGB II für eine Verurteilung des Beigeladenen vgl bereits Beschluss des erkennenden Senats vom 5.7.2016 - B 1 KR 18/16 B - juris RdNr 5 und 9).

3. Das LSG-Urteil beruht hinsichtlich des Nahrungsergänzungsmittels auf einem Verfahrensfehler (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG), den die Klägerin entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG bezeichnet.

Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Die Klägerin bezeichnet hiernach den Verfahrensmangel der Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 SGG) hinreichend.

Das Urteil des LSG ist unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) ergangen. Das LSG ist dem von der nicht anwaltlich vertretenen Klägerin gestellten "Beweisantrag", ein Gutachten einzuholen, ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG).

Wer sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützt, muss ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund derer bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (stRspr; vgl zB BSG vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN). Dazu muss bei einem anwaltlich oder ähnlich rechtskundig vertretenen Beteiligten aufgezeigt werden, dass er zu Protokoll einen formellen Beweisantrag iS von §§ 373, 404 ZPO iVm § 118 SGG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt oder noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt. Der Tatsacheninstanz soll durch einen Beweisantrag vor Augen geführt werden, dass der Betroffene die gerichtliche Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht. Der Beweisantrag hat Warnfunktion (stRspr, vgl BSG vom 24.11.1988 - 9 BV 39/88 - SozR 1500 § 160 Nr 67 S 73 f = juris RdNr 4; BSG vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Bei einem - wie hier der Klägerin - nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten sind jedoch geringere Anforderungen zu stellen. Hier genügt es, dass dem Vorbringen Anhaltspunkte dafür zu entnehmen sind, dass der Beteiligte überhaupt in einer bestimmten Richtung noch eine Aufklärung für erforderlich gehalten hat (vgl BSG vom 26.2.1992 - 7 BAr 100/91 - juris RdNr 7; BSG vom 23.6.2015 - B 1 KR 17/15 B - juris RdNr 5; ähnlich BSG vom 22.7.2010 - B 13 R 585/09 B - juris RdNr 11; BSG vom 28.5.2013 - B 5 R 38/13 B - juris RdNr 8; BSG vom 17.10.2018 - B 9 V 20/18 B - juris RdNr 17). So liegt der Fall hier.

Die Klägerin hat ausweislich des Protokolls in der mündlichen Verhandlung am 19.10.2017 nochmals darauf verwiesen, dass sie einen Antrag auf ein Sachverständigengutachten zum Beweis ihrer Erkrankungen gestellt habe und an diesem Antrag festhalte (vgl bereits Beweisanregungen gegenüber dem SG im Schriftsatz vom 12.3.2014, ua zur Einholung eines proktologischen Gutachtens). Zwar hat die Klägerin damit keinen formellen Beweisantrag gestellt und insbesondere kein genaues Beweisthema im Hinblick auf die von ihr begehrte Kostenerstattung und zukünftige Kostenübernahme mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln (indische Flohsamenschalen) formuliert. Aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich jedoch, dass das Sachverständigengutachten die medizinische Notwendigkeit ua des streitigen Nahrungsergänzungsmittels bestätigen soll. Unerheblich ist, dass im Sitzungsprotokoll vom 19.10.2017 die indischen Flohsamenschalen nicht ausdrücklich erwähnt werden, sondern nur von "Medikamenten" die Rede ist (vgl dazu bereits 1.).

Das LSG durfte nicht durch Verweis auf angeblich allgemeinkundige Tatsachen von weiterer medizinischer Sachaufklärung Abstand nehmen. Es hat die medizinische Notwendigkeit der Einnahme von indischen Flohsamenschalen zur Milderung der Folgen der Kontinenzstörung aufgrund Schließmuskelminderfunktion verneint, obwohl die Proktologin Dr. H. in ihrem vom LSG eingeholten Befundbericht vom 12.10.2016 die medizinische Indikation ausdrücklich bejaht hat. Es hat nur auf einen, von ihm behaupteten "allgemeinkundigen" Erfahrungssatz verwiesen, dass diese spezifische, nicht unwesentliche körperliche Funktionsminderung der Klägerin schon durch "ballaststoffreiche Vollwerternährung" in gleichem Umfang in ihren Auswirkungen abgemildert bzw behoben werden könne. Allgemeinkundige Tatsachen sind nur solche, von denen verständige und erfahrene Menschen regelmäßig ohne Weiteres Kenntnis haben oder von denen sie sich aus allgemein zugänglichen, zuverlässigen Quellen unschwer überzeugen können oder auch solche, die in einem größeren oder kleineren Bezirk einer beliebig großen Menge bekannt sind oder wahrnehmbar waren und über die man sich aus zuverlässigen Quellen ohne besondere Fachkunde unterrichten kann (vgl BSG vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 14 RdNr 20). Das LSG zeigt die Quellen, aus denen sich dieser Erfahrungssatz auch gerade in Bezug auf die konkreten gesundheitlichen Verhältnisse der Klägerin ableiten lässt, nicht auf. Hierfür ist auch ansonsten nichts ersichtlich. Das LSG hätte sich daher zu weiterer medizinischer Sachverhaltsaufklärung veranlasst sehen müssen.

Auf der Verletzung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht kann das angefochtene Urteil iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG insoweit beruhen, als es den Beigeladenen nicht zur begehrten Leistung verurteilt hat; ein Anspruch gegen die Beklagte scheidet hingegen aus (vgl dazu bereits die Gründe II. 1. a bb im Beschluss des erkennenden Senats vom 5.7.2016 - B 1 KR 18/16 B - juris RdNr 8). Es ist nicht auszuschließen, dass bei Durchführung einer weiteren Beweisaufnahme der Rechtsstreit einer anderen, für die Klägerin günstigeren Lösung hätte zugeführt werden können.

4. Die für eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache notwendigen Voraussetzungen legt die Klägerin hinsichtlich des zweiten Streitgegenstandskomplexes, die Erstattung und zukünftige Übernahme der Kosten für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar, soweit die entsprechenden prozessualen Ansprüche noch nicht rechtskräftig abgelehnt sind. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 f mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.

Die Klägerin formuliert als Rechtsfrage:

"Unter welchen Voraussetzungen weicht ein Bedarf für nicht verschreibungspflichtige, von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht übernommene Medikamente zur Behandlung von Hautkrankheiten einschließlich eines Analekzems erheblich im Sinne von § 21 Abs. 6 S. 2 SGB II von einem durchschnittlichen Bedarf ab?"

Der Senat lässt offen, ob die Klägerin damit eine Rechtsfrage klar formuliert hat. Die Klägerin zeigt nicht die Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage auf. Das LSG hat festgestellt, dass eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes II um einen Mehrbedarf nach § 21 Abs 6 SGB II ausscheidet, weil die Klägerin keine Kosten geltend macht, die über das hinausgehen, was für die übrigen Kosten für Gesundheitspflege im Regelbedarf vorgesehen ist. Der Senat hat bereits in seinem das Verfahren B 1 KR 11/17 BH abschließenden Beschluss vom 19.12.2018, mit dem er beschränkt auf die Ansprüche wegen indischer Flohsamenschalen und nicht verschreibungspflichtiger Medikamente zur Behandlung der Hautkrankheiten der Klägerin (einschließlich Analekzem) PKH bewilligt hat, ausgeführt:

"Insbesondere dürfte es der Klägerin nicht gelingen, eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes darzulegen. Die Klägerin hat eine mögliche höhere Kostenbelastung durch die Beschaffung nicht verschreibungspflichtiger erforderlicher Medikamente gegenüber dem LSG nicht konkret belegen können, obwohl es ihr - auch unter Berücksichtigung der bisherigen Dauer des Verfahrens - ohne weiteres zumutbar gewesen wäre, seither Rechnungsbelege zu sammeln und vorzulegen. Weder hat sie dies getan noch mögliche Kosten zumindest plausibel dargestellt. Ausweislich der Sitzungsniederschrift hat die Klägerin nämlich in der mündlichen Verhandlung erklärt: 'Wenn ich alle Belege sammeln soll, dann ist mir das zwar möglich, aber das ist sehr aufwändig (…). Mit dem im Regelsatz enthaltenen Betrag kann ich nicht alles abdecken'. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass dem LSG eine Feststellung der monatlichen Kostenbelastung ohne konkrete Angaben der Klägerin möglich gewesen wäre".

Soweit die Klägerin deshalb davon abgesehen hat, hinsichtlich der LSG-Feststellungen, die auch die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel zur Behandlung ihrer Hautkrankheiten betreffen, eine Verfahrensrüge zu erheben, legt sie nicht dar, warum die Rechtsfrage gleichwohl in dem von ihr angestrebten Revisionsverfahren geklärt werden könnte.

5. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI14193879

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