Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Sachaufklärungsrüge. Prozessordnungsgemäßer Beweisantrag. Beweisanregung
Leitsatz (redaktionell)
Wird eine Sachaufklärungsrüge erhoben, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren prozessordnungsgemäßen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können.
Normenkette
SGG §§ 103, 109, 123, 124 Abs. 2, § 118 Abs. 1 S. 1, § 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1, § 169 Sätze 2-3; ZPO §§ 373, 403
Verfahrensgang
SG Reutlingen (Entscheidung vom 31.05.2021; Aktenzeichen S 2 R 993/19) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 18.05.2022; Aktenzeichen L 5 R 2204/21) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Mai 2022 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die 1970 geborene Klägerin begehrt die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.
Die Beklagte lehnte ihren Rentenantrag vom 9.8.2017 ab, nachdem sie ein internistisches Gutachten eingeholt und die Klägerin eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme absolviert hatte (Bescheid vom 21.6.2018; Widerspruchsbescheid vom 8.4.2019). Das SG hat Befundberichte sowie auf Antrag der Klägerin ein Gutachten beim Neurologen und Psychiater T eingeholt und die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 31.5.2021). Das LSG hat die dagegen von der Klägerin erhobene Berufung mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 18.5.2022 zurückgewiesen. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente seien zuletzt am 30.10.2020 erfüllt gewesen. Im Zeitraum von der Antragstellung bis zum 30.10.2020 sei die Klägerin ua nach der überzeugenden Einschätzung des Sachverständigen T noch in der Lage gewesen, leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Die von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegten Unterlagen gäben zu keiner abweichenden Beurteilung Anlass, weil sie einen späteren Zeitraum betreffen würden.
Die Klägerin hat gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung Beschwerde zum BSG eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 19.8.2022 begründet hat.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG zu verwerfen. Die geltend gemachten Verfahrensmängel werden nicht anforderungsgerecht bezeichnet (§ 160 Abs 2 Satz 3 SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des Berufungsgerichts ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Berufungsgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Den sich daraus ergebenden Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
a) Die Klägerin bringt vor, das LSG habe eine Entscheidung "ohne Kenntnis der Parteibegehren" getroffen. Falls sie damit eine Verkennung des Streitgegenstands (§ 123 SGG) rügen will, wäre ein solcher Verfahrensmangel nicht anforderungsgerecht bezeichnet (vgl zu den diesbezüglichen Anforderungen zB BSG Beschluss vom 26.4.2022 - B 5 R 325/21 B - juris RdNr 7). Es ist schon nicht schlüssig dargetan, inwiefern das LSG vom beabsichtigten Klageantrag abgewichen sein könnte, wenn die Klägerin, wie sie selbst formuliert, "die Verurteilung der Beklagten zur Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente ab deren Beantragung" erreichen wollte.
b) Die Klägerin rügt, das LSG sei der tatrichterlichen Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 103 Satz 1 Halbsatz 1 SGG) nicht ausreichend nachgekommen. Wird eine solche Sachaufklärungsrüge erhoben, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren prozessordnungsgemäßen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 14.4.2020 - B 5 RS 13/19 B - juris RdNr 11). Die Beschwerde legt schon den ersten Punkt nicht hinreichend dar.
Die Klägerin bringt vor, sowohl das SG als auch das LSG hätten Beweisangebote übergangen. Mit ihrem Vortrag zu Beweisanträgen im erstinstanzlichen Verfahren bezeichnet sie keinen etwaigen Verfahrensmangel in der unmittelbar vorangehenden Instanz. Soweit sie sich auf den Schriftsatz vom 22.11.2021 aus dem Berufungsverfahren bezieht, ist schon nicht hinreichend dargetan, dass darin ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag enthalten gewesen sein könnte. Hierfür wäre aufzuzeigen, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte (vgl § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 bzw § 373 ZPO) und mit welchem Ziel Beweis erhoben werden sollte und dass es sich seinem Inhalt nach nicht um eine bloße Beweisanregung gehandelt habe (vgl zB BSG Beschluss vom 26.11.2019 - B 13 R 159/18 B - juris RdNr 8 mwN). Ungeachtet dessen legt die Klägerin nicht dar, ihr Beweisbegehren bis zum Schluss, dh im Falle einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auch noch bei Erteilung des Einverständnisses mit dieser Verfahrensweise (vgl § 124 Abs 2 SGG) aufrechterhalten zu haben (vgl zu diesem Erfordernis BSG Beschluss vom 25.11.2013 - B 13 R 339/13 B - juris RdNr 6 mwN; BSG Beschluss vom 11.8.2021 - B 5 R 171/21 B - juris RdNr 8). Sie räumt vielmehr ein, weder im Erörterungstermin vom 4.2.2022 noch bei Bekräftigung ihrer Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auf den Antrag aus dem Schriftsatz vom 22.11.2021 zurückgekommen zu sein.
Die Bezeichnung eines ordnungsgemäßen, bis zuletzt aufrechterhalten Beweisantrags ist auch nicht mit Blick auf das Vorbringen der Klägerin verzichtbar, das LSG habe ihr keine Gelegenheit zur Wiederholung der Beweisanträge in mündlicher Verhandlung gegeben und habe ihr auch keine Frist zum ergänzenden oder abschließenden Vortrag eingeräumt. Das gilt schon deswegen, weil die Klägerin, wie sie selbst vorbringt, sich durch ihren Prozessbevollmächtigten ausdrücklich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt hat. Im Übrigen können die gesetzlichen Beschränkungen einer Sachaufklärungsrüge nicht durch eine - hier allenfalls sinngemäß erfolgte - Berufung auf die Vorschriften zum rechtlichen Gehör umgangen werden (vgl zB BSG Beschluss vom 26.1.2022 - B 6 KA 9/21 B - juris RdNr 16 mwN).
c) Soweit die Klägerin beanstandet, es hätte ihr Gelegenheit zur Stellung eines weiteren Antrags nach § 109 SGG gegeben werden müssen, verkennt sie, dass im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde eine Verletzung des § 109 SGG von vornherein nicht als Verfahrensmangel gerügt werden kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 SGG). Soweit sie zu den bei ihr vorliegenden Erkrankungen vorträgt, wendet die Klägerin sich im Kern gegen die materiell-rechtliche Richtigkeit der Berufungsentscheidung. Auf die Behauptung, die angegriffene Entscheidung sei inhaltlich unrichtig, kann eine Revisionszulassung nicht gestützt werden (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 24.3.2021 - B 13 R 14/20 B - juris RdNr 13 mwN). Das Gleiche gilt für ihr Vorbringen, das Gutachten des Sachverständigen T bleibe hinter wissenschaftlichen Standards zurück und das LSG hätte ein fachübergreifendes Gutachten einholen müssen.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15459412 |