Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. fehlende Klärungsbedürftigkeit. Arbeitslosengeld II. Höhe des Regelbedarfs von Mai bis August 2020. Geltendmachung "coronabedingter Sonderbedarfe"

 

Orientierungssatz

1. Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung stellen sich im vorliegenden Verfahren nicht, in dem der Kläger für Mai bis August 2020 höhere Leistungen, insbesondere wegen eines aus seiner Sicht verfassungswidrig zu niedrigen Regelbedarfs und pauschal behaupteter "pandemiebedingter Sonderbedarfe" (Aufwendungen für Masken, Desinfektionsmittel, Handschuhe, Seife, Alkohol) geltend macht. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Bemessung der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende und insbesondere des Regelbedarfs sind in der Rechtsprechung des BVerfG (vgl BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua = BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 und vom 23.7.2014 - 1 BvL 10/12 ua = BVerfGE 137, 34 = SozR 4-4200 § 20 Nr 20) geklärt. Es ist vor diesem Hintergrund nicht erkennbar, dass ein Prozessbevollmächtigter aufzeigen könnte, diese Frage könne für den hier streitigen Zeitraum klärungsbedürftig sein.

2. Sowohl die Funktion und Bedeutung des § 21 Abs 6 SGB 2 , seine Grenzen als auch die Voraussetzungen für die Gewährung eines Mehrbedarfs, ua der Nachweis entsprechender Sonderbedarfe in Grund und Höhe, sind durch die Rechtsprechung des BSG geklärt.

 

Verfahrensgang

SG Berlin (Entscheidung vom 30.04.2021; Aktenzeichen S 167 AS 7369/20)

LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 20.07.2023; Aktenzeichen L 27 AS 585/21)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. Juli 2023 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen von ihm zu benennenden Prozessbevollmächtigten beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO). An der erforderlichen Erfolgsaussicht fehlt es hier. Hinreichende Aussicht auf Erfolg böte die Nichtzulassungsbeschwerde nur, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen. Die Revision darf danach nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Von diesen Zulassungsgründen kann nach Aktenlage unter Berücksichtigung des Vortrags des Klägers keiner mit Erfolg im Beschwerdeverfahren geltend gemacht werden.

Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung stellen sich im vorliegenden Verfahren nicht, in dem der Kläger für Mai bis August 2020 höhere Leistungen, insbesondere wegen eines aus seiner Sicht verfassungswidrig zu niedrigen Regelbedarfs und pauschal behaupteter "pandemiebedingter Sonderbedarfe" (Aufwendungen für Masken, Desinfektionsmittel, Handschuhe, Seife, Alkohol) geltend macht. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Bemessung der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende und insbesondere des Regelbedarfs sind in der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12; BVerfG vom 23.7.2014 - 1 BvL 10/12 ua - BVerfGE 137, 34 = SozR 4-4200 § 20 Nr 20) geklärt. Es ist vor diesem Hintergrund nicht erkennbar, dass ein Prozessbevollmächtigter aufzeigen könnte, diese Frage könne für den hier streitigen Zeitraum klärungsbedürftig sein (BSG vom 10.2.2020 - B 14 AS 32/19 BH - juris RdNr 3; BSG vom 11.2.2020 - B 4 AS 24/20 BH - juris RdNr 3; BSG vom 12.1.2021 - B 14 AS 74/20 BH - juris RdNr 3; BSG vom 1.2.2021 - B 14 AS 253/20 B - juris RdNr 2; BSG vom 4.5.2021 - B 4 AS 12/21 BH - juris RdNr 3).

Ebenso wird ein Rechtsanwalt auf Grundlage der vom LSG festgestellten Tatsachen auch grundsätzlich bedeutsame Rechtsfragen zu den Voraussetzungen für die Bewilligung höherer Leistungen wegen "coronabedingter Sonderbedarfe" nicht geltend machen können. Weder wird er wegen der nur pauschal behaupteten und nicht im Einzelnen dargelegten Bedarfe mit Erfolg rügen können, diese seien - anders als dies das LSG gesehen hat - nicht bereits vom Regelbedarf umfasst, noch wird er grundsätzlich bedeutsame Fragen im Anwendungsbereich des § 21 Abs 6 SGB II formulieren können. Sowohl die Funktion und Bedeutung des § 21 Abs 6 SGB II(BSG vom 28.11.2018 - B 14 AS 48/17 R - BSGE 127, 78 = SozR 4-4200 § 21 Nr 30, RdNr 15 mwN; BSG vom 8.5.2019 - B 14 AS 13/18 R - BSGE 128, 114 = SozR 4-4200 § 21 Nr 31, RdNr 17 mwN) , seine Grenzen (BSG vom 12.5.2021 - B 4 AS 88/20 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 35 RdNr 17 mwN) als auch die Voraussetzungen für die Gewährung eines Mehrbedarfs, ua der Nachweis entsprechender Sonderbedarfe in Grund und Höhe (BSG vom 12.6.2013 - B 14 AS 50/12 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 35 RdNr 20; BSG vom 11.2.2015 - B 4 AS 27/14 R - BSGE 118, 82 = SozR 4-4200 § 21 Nr 21, RdNr 21; BSG vom 12.5.2021 - B 4 AS 88/20 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 35 RdNr 20; BSG vom 26.1.2022 - B 4 AS 3/21 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 36 RdNr 15) sind durch die Rechtsprechung des BSG geklärt.

Auch sind Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Divergenzrüge nicht zu erkennen (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Schließlich liegen ebenso wenig Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) vor.

Mit der Ablehnung von PKH entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

Die vom Kläger ohne zugelassenen Prozessbevollmächtigten eingelegte Beschwerde ist unzulässig. Sie entspricht nicht den zwingenden gesetzlichen Vorschriften. Der Kläger muss sich vor dem BSG gemäß § 73 Abs 4 SGG durch einen zugelassenen Bevollmächtigten vertreten lassen. Er kann eine Prozesshandlung rechtswirksam nicht vornehmen, folglich auch nicht selbst Beschwerde einlegen. Schon die Beschwerdeschrift muss von einem nach § 73 Abs 4 SGG zugelassenen Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein. Hierauf hat das LSG den Kläger in der Rechtsmittelbelehrung des Urteils hingewiesen. Die nicht formgerecht eingelegte Beschwerde ist schon deshalb nach § 160 Abs 4 Satz 1 SGG iVm § 169 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

S. Knickrehm

Harich

Siefert

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16155047

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