Verfahrensgang
SG Ulm (Entscheidung vom 01.03.2022; Aktenzeichen S 9 U 2459/21) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 22.06.2023; Aktenzeichen L 10 U 881/22) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Juni 2023 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Mit dem vorbezeichneten Urteil hat das LSG die Berufung des Klägers gegen die erstinstanzliche Entscheidung des SG (Urteil vom 1.3.2022) zurückgewiesen. Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG rügt der Kläger das Vorliegen von Verfahrensfehlern.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund des Vorliegens eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht formgerecht bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen die diesen vermeintlich begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG, ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht, auf dem Mangel beruhen kann. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG nicht und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
1. Dies gilt zunächst, soweit der Kläger geltend macht, mit der Berufungsbegründung habe er die Einholung eines neurologischen Sachverständigengutachtens beantragt; mit dem daraufhin vom LSG bei T eingeholten Gutachten sei dieses seiner Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts gemäß § 103 SGG nicht ausreichend nachgekommen. Den damit gerügten Sachaufklärungsmangel hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt.
Macht ein Beteiligter einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) geltend, muss die Beschwerdebegründung (1.) einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen oder im Urteil wiedergegebenen Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2.) die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3.) die von dem Beweisantrag betroffenen tatsächlichen Umstände aufzeigen, die zur weiteren Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4.) das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angeben und (5.) erläutern, weshalb die Entscheidung des LSG auf der unterlassenen Beweiserhebung beruhen kann, das LSG also von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis hätte gelangen können, wenn es das behauptete Ergebnis der unterlassenen Beweisaufnahme gekannt hätte (stRspr; zB BSG Beschlüsse vom 26.4.2024 - B 2 U 38/23 B - juris RdNr 5, vom 27.9.2022 - B 2 U 42/22 B - juris RdNr 7, vom 11.3.2021 - B 9 SB 51/20 B - juris RdNr 9 und vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5, jeweils mwN).
Daran fehlt es hier. Der vor dem LSG anwaltlich vertretene Kläger bezeichnet bereits keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag (näher dazu BSG Beschlüsse vom 26.4.2024 - B 2 U 38/23 B - juris RdNr 7, vom 8.2.2024 - B 2 U 70/23 B - juris RdNr 7 und vom 9.1.2023 - B 9 SB 24/22 B - juris RdNr 6 f; Karmanski in Roos/Wahrendorf/Müller, SGG, 3. Aufl 2023, § 160 RdNr 72), den er im Berufungsverfahren bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zu Protokoll aufrechterhalten hat oder der im Urteil des LSG wiedergegeben ist (näher dazu BSG Beschluss vom 22.6.2004 - B 2 U 78/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 4 RdNr 5). Der förmliche Beweisantrag hat Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung signalisieren, dass ein Beteiligter die gerichtliche Aufklärungspflicht noch für defizitär hält. Um das Berufungsgericht ausreichend vor einer Verletzung seiner Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) zu warnen, muss ein - wie der Kläger - im Berufungsverfahren rechtskundig vertretener Beteiligter sein zuvor geäußertes Beweisbegehren in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG als prozessordnungsgemäßen Beweisantrag wiederholen und protokollieren lassen (§ 122 SGG iVm § 160 Abs 4 Satz 1 ZPO; vgl BSG Beschlüsse vom 9.7.2024 - B 2 U 42/23 B - juris RdNr 6, vom 20.10.2023 - B 1 KR 33/22 B - juris RdNr 8 und vom 18.10.2023 - B 9 V 9/23 B - juris RdNr 18). Einen solchen konkreten, bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag bezeichnet die Beschwerde nicht. Aus ihr geht nur hervor, dass der Kläger mit der Berufungsbegründung die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt hatte, das vom LSG daraufhin bei T eingeholt wurde. Aus der Beschwerdegründung geht dagegen nicht hervor - was indes für eine Sachaufklärungsrüge erforderlich wäre -, dass der Kläger wegen Defiziten der gerichtlichen Sachaufklärung einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zu Protokoll aufrechterhalten hat oder dass ein solcher im Urteil des LSG wiedergegeben ist.
2. Den Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensmangels genügt die Beschwerdebegründung ebenfalls nicht, soweit sie geltend macht, T hätte nicht als Sachverständiger bestellt werden dürfen, weil er das Gutachten aufgrund seiner Beschäftigung bei dem Träger des Krankenhauses, in dem der Kläger nach seinem Arbeitsunfall zur Behandlung gewesen sei, nicht unbefangen hätte erstellen können.
Nach § 118 Abs 1 SGG iVm § 406 Abs 1 und 2 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden; der Ablehnungsantrag ist bei dem Gericht oder Richter, von dem der Sachverständige ernannt ist, vor seiner Vernehmung zu stellen, spätestens jedoch binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung. Ungeachtet der Frage, ob und ggf in welchen Fällen die Befangenheit eines Sachverständigen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich gerügt werden kann (vgl BSG Beschlüsse vom 22.4.2022 - B 5 R 314/21 B - juris RdNr 10 und vom 9.9.2021 - B 5 R 149/21 B - juris RdNr 12), zeigt der Kläger schon nicht auf, dass er - wie es § 406 Abs 2 ZPO verlangt - gegenüber dem LSG einen Ablehnungsantrag gegen den Sachverständigen T gestellt hat. Ebenso wenig legt der Kläger dar, wieso er, wenn er keinen Befangenheitsantrag gestellt hat, sein diesbezügliches Rügerecht nicht verloren hat (vgl BSG Beschlüsse vom 18.3.2024 - B 9 SB 38/23 B - juris RdNr 9 und vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 17).
3. Einen rügefähigen Verfahrensmangel bezeichnet der Kläger schließlich auch nicht mit seinem Vorbringen, nach seinen Recherchen in medizinischer Literatur und veröffentlichten Case Reports sei seine Erkrankung sehr wohl ursächlich auf die bei seinem Arbeitsunfall erlittenen Verletzungen zurückzuführen, weshalb die gegenteilige Schlussfolgerung von T in seinem Gutachten nicht zutreffend und die Feststellungen des Gerichts nicht richtig seien. Denn damit wendet sich der Kläger im Kern gegen die Beweiswürdigung des LSG. Auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG kann aber nach der ausdrücklichen Regelung in § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG eine Revisionszulassung von vornherein nicht gestützt werden.
4. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI16721162 |