Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialgerichtliches Verfahren. Vertretungszwang. keine Anwendung von Art 6 Abs 4 MRK
Orientierungssatz
Die Vorschrift des Art 6 Abs 4 MRK betrifft Strafverfahren und sichert lediglich, dass "jede angeklagte Person" sich selbst verteidigen kann oder den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl erhält. Im sozialgerichtlichen Verfahren ist diese Regelung nicht einschlägig, sondern der Vertretungszwang durch § 166 Abs 1 SGG abschließend geregelt.
Normenkette
SGG § 166 Abs. 1; EMRK Art. 6 Abs. 4
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 05.10.2004; Aktenzeichen L 13 AL 965/04) |
SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 02.03.2004; Aktenzeichen S 7 AL 169/04) |
Gründe
Der Kläger hat mit einem Schreiben vom 28. Oktober 2004, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 1. November 2004, Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und mit weiterem Schriftsatz vom 18. November 2004 - für den Fall, dass seine "Sonderzulassung" oder "zeitlich befristete Sonderzulassung" in eigener Sache vor dem BSG abgelehnt werden sollte - beantragt, ihm für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe (PKH) zu bewilligen und einen Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigten beizuordnen.
1. Die Revision ist nur zuzulassen, wenn einer der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgezählten Zulassungsgründe (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Abweichung von höchstrichterlicher Rechtsprechung oder Verfahrensmangel) vorliegt. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, denn auch eine formgerechte Beschwerde würde voraussichtlich nicht zur Zulassung der Revision durch das BSG nach § 160a Abs 4 Satz 2, § 160 Abs 2 SGG führen.
a) Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, denn es ist nicht über Rechtsfragen zu entscheiden, die im Interesse der Allgemeinheit der höchstrichterlichen Klärung bedürfen. Gegenstand des Rechtsstreits war lediglich die Frage, ob die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung der Bundesagentur für Arbeit (ZAV) mit Bescheid vom 5. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Januar 2004 eine vermittlerische Betreuung des Klägers zu Recht abgelehnt hat. Das LSG hat dies im Rahmen der Überprüfung der Ermessensentscheidung der Beklagten bestätigt. Maßgebend hierfür waren die Verhältnisse des Einzelfalles. Es ist nicht ersichtlich, dass sich dabei Rechtsfragen von allgemeiner Bedeutung gestellt hätten.
b) Das Urteil des LSG weicht auch nicht iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab. Soweit sich der Kläger auf die Entscheidung des BSG vom 26. Oktober 1976 (12/7 RAr 78/74 - SozR 4100 § 44 Nr 9) bezieht und geltend macht, das LSG habe diese Entscheidung nicht beachtet, lässt sich hieraus keine Abweichung ableiten. Die genannte Entscheidung betrifft eine völlig andere rechtliche und tatsächliche Fragestellung. Auch die dortige vom Kläger sinngemäß zitierte Aussage, wonach durch den Leistungsantrag ein Verwaltungsrechtsverhältnis (Sozialrechtsverhältnis) zwischen dem Sozialleistungsträger und dem Bürger mit gegenseitigen Rechten und Pflichten begründet wird, bedeutet nicht - wie der Kläger offenbar meint - dass deshalb seinem Vermittlungsbegehren hätte entsprochen werden müssen.
c) Schließlich ist auch kein Verfahrensmangel ersichtlich, der nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte. In diesem Zusammenhang kann dahingestellt bleiben, ob das LSG bei den vom Kläger zusätzlich im Berufungsverfahren erhobenen Klagen zu Recht eine unzulässige Klageänderung angenommen hat oder - wie der Kläger unter Berufung auf § 99 Abs 3 SGG geltend macht - darin keine Klageänderung zu sehen ist. Denn das LSG hat die Zulässigkeit der zusätzlichen Klagen jedenfalls auch wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses verneint. Die dortigen Ausführungen lassen keine Rechtsfehler erkennen.
Da dem Kläger mangels Erfolgsaussicht keine PKH zusteht, war auch sein Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts abzulehnen.
2. Soweit der Kläger - mangels aus seiner Sicht qualifizierter Prozessbevollmächtigter - unter Berufung auf Art 6 Abs 4 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II 685, 953; 2002 II 1054) meint, er könne sich vor dem BSG im Wege einer "Sonderzulassung" selbst vertreten, ist dies unzutreffend. Die genannte Vorschrift betrifft - wie der erkennende Senat bereits in einem Beschluss vom 4. April 1996 (11 BAr 61/96) dem Kläger erläutert hat - Strafverfahren und sichert lediglich, dass "jede angeklagte Person" sich selbst verteidigen kann oder den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl erhält. Im vorliegenden sozialgerichtlichen Verfahren ist diese Regelung nicht einschlägig, sondern der Vertretungszwang durch § 166 Abs 1 SGG abschließend geregelt. Die vom Kläger zitierte Vorschrift des Art 23 Grundgesetz, der die Verwirklichung der Europäischen Union regelt, ist ebenfalls nicht einschlägig.
3. Die vom Kläger eingelegte Beschwerde ist unzulässig, weil sie nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form entspricht. Denn sie ist nicht von einem nach § 166 SGG für das Verfahren vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten unterschrieben. Die Beschwerde war somit zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 2 iVm § 169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen