Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Begründung der Abweichung iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG
Orientierungssatz
Zur Darlegung einer Abweichung iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG genügt es nicht zu behaupten, dass das Berufungsgericht Tatsachen anders beurteilt hat, als dies in der von der Beschwerde genannte höchstrichterlichen Entscheidung (hier: BVerfG) geschehen ist. Eine Abweichung liegt nämlich nicht schon dann vor, wenn das Urteil des Berufungsgerichts nicht den Kriterien entspricht, die die höchstrichterliche Rechtsprechung aufgestellt hat. Vielmehr muss es diesen Kriterien selbst widersprochen haben, dh andere Maßstäbe entwickelt haben.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2, § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
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Die 1941 geborene, im August 2003 verstorbene, bei der beklagten Ersatzkasse versichert gewesene Ehefrau des Klägers (Versicherte) litt an einem Nierenzellcarzinom. Sie wurde deshalb seit 1992 mehrfach stationär behandelt. Am 19. Juni 2001 beantragte sie bei der Beklagten, die Kosten einer "dentristischen Zell-Vakzinierungstherapie" zu übernehmen, die ihr von dem sie behandelnden Arzt Prof. Dr. Dr. A. empfohlen worden und von Prof. Dr. M. vom Städtischen Klinikum Solingen nach Herstellung eines Impfstoffes vorzunehmen sei. Sie legte ein "Angebot" des "Immunbiologischen Labors H." vor, in dem der Versicherten für pauschal 15.180,18 DM das "Individual-Rezepturarzneimittel BIOVac® DC durch Aufarbeitung einer Tumorgewebeprobe, Herstellung und Kryokonservierung des Impfstoffs aus dentristischen Zellen" angeboten wurde. Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme ab, weil der alleinige Geschäftsführer und Gesellschafter des Labors kein Vertragsarzt sei und aus den eingereichten Unterlagen ein Wirksamkeitsnachweis nicht erbracht sei (Bescheid vom 6. Juli 2001, Widerspruchsbescheid vom 27. März 2002). Die Versicherte ließ die Zell-Vakzinierungen ab dem 18. Dezember 2001 durchführen. Während des sozialgerichtlichen Verfahrens verstarb sie. Ihr Ehemann als Sonderrechtsnachfolger beantragte zuletzt Erstattung der Laborkosten in Höhe von 19.429,23 DM. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) die Berufung hiergegen zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kostenerstattungsanspruch bestehe schon deshalb nicht, weil eine unmittelbare vertragliche Vereinbarung zwischen dem Patienten und dem Lieferanten des Impfstoffs gegen die Apothekenpflicht verstoße; eine unmittelbar Lieferung von Tumorvakzinen vom Hersteller an den Patienten stelle eine Ordnungswidrigkeit dar und stehe einer Zahlungspflicht des Patienten entgegen. Hieran ändere sich nichts dadurch, dass das Rezepturarzneimittel vorliegend vom herstellenden Labor nicht an die Versicherte, sondern an Prof. Dr. Dr. A. ausgeliefert worden sei. Im Übrigen fehle es an einer Empfehlung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen zur streitigen Therapie. Ein Systemversagen liege nicht vor, weil die Methode selbst nach Aussage von Prof. Dr. Dr. A. noch wenig evaluiert gewesen sei und dem Bundesausschuss ein Antrag nicht vorgelegen habe. Nichts weise auf eine Unmöglichkeit eines Wirksamkeitsnachweises oder darauf hin, dass die Methode im Jahr 2001 verbreitet gewesen sei. Nichts anderes ergebe sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6. Dezember 2005 ( 1 BvR 437/98, SozR 4-2500 § 27 Nr 5) , wonach zu prüfen sei, ob durch das Mittel eine Besserung nach ärztlichem, an dem jeweiligen Erkenntnisstand orientierten Ermessen zwar nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit, aber doch mit einer nicht nur ganz geringen Erfolgsaussicht möglich erschien. Das LSG führt weiter aus: |
"Als Prüfungsmethode, ob eine nicht ganz entfernte Erfolgsaussicht anzunehmen ist, empfiehlt das BVerfG nun erneut, die Hinzuziehung sachverständiger Hilfe. Nun war ja wohl die ablehnende Entscheidung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen zu der vom BVerfG aaO behandelten Bioresonanztherapie aufgrund der sachverständigen Kompetenz des Gremiums unter Auswertung umfangreicher anderweitiger medizinischer Erkenntnisse schon "sachverständigst" erfolgt (in der Anlage 2 zu den damaligen NUB-RL mit Wirkung vom 9.7.1995 - BAnz Nr 126 v. 8.5.95 - Nr. 17 "Bioresonanzdiagnostik, Bioresonanztherapie, Mora-Therapie und vergleichbare Verfahren"). Daraus muß man schließen, das solcherart Prüfung dem BVerfG nicht ausreichend erscheint. Dem erkennenden Senat erschließt sich nicht, welche Ermittlungen hier, käme es entscheidend darauf an, sinnvoll noch angestellt werden können. Es helfen insoweit auch nicht die weiteren Hinweise des BVerfG aaO. So hat man zB schon früher erwogen, der Entwicklung im Einzelfall eine Bedeutung beizumessen. Man hat das verworfen, weil der Eintritt einer Besserung und das Ausbleiben einer Verschlimmerung im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Durchführung der neuen Behandlungsmethode bei einer Krankheit, deren Ursache und Wirkmechanismen unbekannt sind, auch nicht ursächlich auf die Behandlung zurückgeführt werden können, und zwar auch nicht als Regelsatz eines Beweises des ersten Anscheins. Das wird im vorliegenden Fall besonders deutlich: Die Versicherte ist nämlich nicht allein mit der streitigen neuen Behandlungsmethode behandelt worden, sondern zugleich mit Interleukin-2 und/oder Alpha-Interferon (nach Prof. Dr. Dr. A. als hier zugelassenes Mittel - nach dem MDK gleichfalls nicht schulmedizinisch). Wie sollte da unterschieden werden, für welches Mittel daraus der Schluß abzuleiten wäre, daß es vor seinem Einsatz mutmaßlich eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Wirksamkeit bot? Diese Fragen stellen sich im vorliegenden Fall aber letztlich schon deshalb nicht, weil man hier, wäre auf den Gesundheitszustand der Versicherten, den zeitlichen Zusammenhang und Erfolge abzustellen, schließen müsste, dass der Tod der Versicherten unter Einwirkung der neuen Behandlungsmethode womöglich früher eingetreten ist. Für den Senat steht danach fest, daß nicht erweislich ist, daß die Behandlung der Versicherten mit der dendritischen Zell-Vakzinierungstherapie im Jahr 2001 eine Behandlungsmöglichkeit war, die mehr als eine ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bot. Die Nichterweislichkeit geht nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten des Klägers, der Rechte aus der nichterweislichen Tatsache herzuleiten sucht." |
Das LSG hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde. Sie macht geltend, das LSG sei vom Urteil des BVerfG vom 6. Dezember 2005 ( 1 BvR 437/98, SozR 4-2500 § 27 Nr 5) , abgewichen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig. Sie genügt nicht den Begründungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
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Die auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) gestützte Beschwerde behauptet, das Urteil des LSG weiche vom Urteil des BVerfG vom 6. Dezember 2005 ( 1 BvR 437/98, SozR 4-2500 § 27 Nr 5) ab. Das BVerfG habe entschieden: |
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"Es verstößt danach gegen Art. 2 Abs. 1 GG und gegen das Sozialstaatsprinzip, einen Patienten einer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung zu unterwerfen und für seine an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichteten Beiträge die notwendige Krankheitsbehandlung gesetzlich zuzusagen, ihn andererseits aber, wenn er an einer lebensbedrohlichen oder sogar regelmäßig tödlichen Erkrankung leidet, für die schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht vorliegen, von der Leistung einer bestimmten Behandlungsmethode durch die Krankenkasse auszuschließen und ihn auf eine Finanzierung der Behandlung außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung zu verweisen." |
Das LSG habe in Kenntnis dieser Entscheidung die beantragte Kostenübernahme abgelehnt, weil hinreichende Erkenntnisse über die Wirksamkeit der Behandlung der bei der Versicherten vorliegenden Erkrankung fehlen würden und nicht erkennbar sei, dass die streitgegenständliche Therapie mehr als eine ganz entfernt liegende Aussicht auf positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf geboten habe. Diese Entscheidung sei fehlerhaft.
Die Beschwerde legt mit diesem Vorbringen den Zulassungsgrund der Divergenz nicht in der gebotenen Weise dar. Die Revision ist nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Abweichung (Divergenz) iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zu Grunde gelegt worden sind. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz gebildet und eine Rechtsfrage in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz der in § 160 Abs 2 Nr 2 SGG genannten Gerichte aufgestellt hat. In der Beschwerdebegründung muss die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweicht, bezeichnet werden (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerdebegründung muss nach der Rechtsprechung des BSG insoweit erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz im herangezogenen höchstrichterlichen Urteil enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht ( vglBSG SozR 1500 § 160a Nr 67 ). Hieran fehlt es. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Beschwerde einen oder mehrere im genannten Urteil des BVerfG angeblich enthaltene abstrakte Rechtssätze formuliert hat. Jedenfalls hat sie nicht aufgezeigt, dass und ggf welchen hiervon abweichenden Rechtssatz das LSG aufgestellt hat.
Zur Darlegung einer Abweichung iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG genügt es nicht zu behaupten, dass das LSG Tatsachen anders beurteilt hat, als dies in der von der Beschwerde genannten Entscheidung des BVerfG geschehen ist. Eine Abweichung liegt nämlich nicht schon dann vor, wenn das Urteil des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BVerfG aufgestellt hat. Vielmehr muss das LSG diesen Kriterien selbst widersprochen haben, dh andere Maßstäbe entwickelt haben. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall (was im Rahmen der Beschwerde nicht zu beurteilen ist), sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 67; SozR 3-1500 § 160 Nr 26 ) . Eine Divergenz in diesem Sinne ist vorliegend nicht dargetan.
Ist ein Urteil - wie vorliegend - zu dem nebeneinander auf mehrere selbstständige Begründungen gestützt, so kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nur dann zur Zulassung der Revision führen, wenn im Hinblick auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund vorliegt und formgerecht gerügt wird ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 38; BSG, Beschluss vom 16. Juli 1998 -B 1 KR 5/98 B; Hennig, SGG § 160a RdNr 207 mwN ). Hieran fehlt es, weil sich die Beschwerde mit dem LSG-Urteil nicht auseinandersetzt, soweit dieses unter Hinweis auf den Beschaffungsweg des Rezepturarzneimittels und das Urteil des BSG vom 28. März 2000 ( BSGE 86, 66 = SozR 3-2500 § 13 Nr 21 ) einen wirksamen Vergütungsanspruch des Labors verneint hat. Damit seien der Versicherten keine Kosten entstanden, die einen Erstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 SGB V hätten begründen können.
Von einer weiteren Begründung wird in entsprechender Anwendung von § 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG abgesehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen