Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Untätigkeitsklage. Klagebefugnis. Geltendmachung eines Anspruchs auf sachliche Bescheidung. Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts. Handlungsunfähigkeit des Antragstellers. Nichtbescheidung ohne zureichenden Grund. Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Antragserfordernis. wirksame Antragstellung. Meistbegünstigungsgrundsatz. Hilfe zum Lebensunterhalt. Kenntnisgrundsatz. Ersuchen der Behörde an das Gericht um Bestellung eines geeigneten Vertreters. Gewährung unechter Sozialhilfe
Leitsatz (amtlich)
1. Einem handlungsunfähigen Beteiligten steht die Untätigkeitsklage offen, wenn über ein an den Sozialhilfeträger herangetragenes Begehren auf eine Sozialleistung nicht innerhalb der Wartefrist entschieden ist.
2. Ist kein wirksamer Antrag auf Grundsicherungsleistungen gestellt, hat der Sozialhilfeträger nach Maßgabe des Kenntnisgrundsatzes über Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt zu entscheiden.
Orientierungssatz
1. Kommt eine Behörde abschließend zu dem Schluss, dass nach Aufhebung einer Betreuung Handlungsunfähigkeit im Sinne des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB 10 vorliegt, muss sie unverzüglich ein Ersuchen an das Betreuungsgericht stellen, einen geeigneten Vertreter zu bestellen (vgl § 15 Abs 1 Nr 4 SGB 10), sofern dies im wohlverstandenen Interesse des Beteiligten liegt.
2. Ist die fehlende Bereitschaft, vertrauensvoll mit dem Betreuer zusammenzuarbeiten, Ausdruck der Erkrankung des Betroffenen, kommt jedenfalls die Gewährung "unechter" Sozialhilfe auf Grundlage von § 19 Abs 5 SGB 12 zur Abwendung von existenziellen Notlagen in Betracht, solange es einem Vertreter mangels Kooperationsbereitschaft des Handlungsunfähigen nicht gelingt, abschließend zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen Auskunft zu geben.
Normenkette
SGG § 88 Abs. 1 S. 1; SGB X § 11 Abs. 1 Nr. 1, § 15 Abs. 1 Nr. 4; SGB XII § 44 Abs. 1 S. 1, §§ 27, § 27 ff., § 18 Abs. 1, § 19 Abs. 5
Verfahrensgang
Tenor
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des gesamten Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe
I. Der Kläger hat mit seiner Untätigkeitsklage geltend gemacht, der beklagte Träger der Sozialhilfe müsse auf seinen Antrag hin entscheiden, obwohl er - der Kläger - prozessunfähig ist.
Der 1948 geborene Kläger lebt im Stadtgebiet der Beklagten. Bei ihm besteht neben einer körperlichen Behinderung eine andauernde Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F62.9), die zu seiner Prozessunfähigkeit führt. Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) erhält er trotz vielfacher Antragstellung nicht. Unter anderem stellte er am 15.3.2019 bei der Beklagten den Antrag auf einen Zuschuss für Winterbekleidung für den Winter 2019/2020. Die Beklagte fragte bei dem mit Beschluss des Amtsgerichts (AG) Münster vom 3.4.2019 bestellten Betreuer an, ob der Antrag aufrechterhalten bleibe (Schreiben vom 22.5.2019). Der Betreuer antwortete nicht. Auf Beschwerde des Klägers hob das Landgericht (LG) Münster die Betreuung auf, weil der Kläger betreuungsunfähig sei (Beschluss des LG vom 29.7.2019).
Der Kläger hat am 13.6.2019 beim Sozialgericht (SG) Münster Untätigkeitsklage erhoben. Das SG hat Rechtsanwalt M zum besonderen Vertreter bestellt (Beschluss vom 2.9.2019), der die Klage fortgeführt hat. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 19.9.2019). Hiergegen hat der Kläger Revision eingelegt und eine Verletzung des § 88 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geltend gemacht. Seit dem 17.2.2021 ist für ihn erneut ein Betreuer bestellt, dessen Aufgabenkreis insbesondere die sozialgerichtlichen Verfahren bei Behörden und Gerichten umfasst (Beschluss des AG Münster vom 17.2.2021). Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 23.3.2021 den Anspruch auf Bescheidung anerkannt; der Kläger hat das Anerkenntnis angenommen und einen Kostenantrag gestellt.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des gesamten Rechtsstreits zu erstatten. Wird ein Verfahren anders als durch Urteil beendet, entscheidet das Gericht auf Antrag durch Beschluss, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben (§ 193 Abs 1 Satz 3 SGG). Die Entscheidung erfolgt nach sachgemäßem bzw billigem Ermessen. Dabei steht grundsätzlich der nach dem Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Erledigung zu beurteilende Verfahrenserfolg im Vordergrund. Nach diesem Maßstab entspricht die Tragung der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen durch die Beklagte der Billigkeit; denn die Untätigkeitsklage hätte sowohl zum Zeitpunkt der Erledigung des Rechtsstreits und auch zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz Erfolg gehabt.
Die Klage ist als Untätigkeitsklage zulässig. Maßgeblich ist insoweit § 88 Abs 1 Satz 1 SGG, der bestimmt: "Ist ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden, so ist die Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts zulässig." Klagebefugt ist nach § 88 Abs 1 Satz 1 SGG, wer geltend machen kann, aufgrund eines konkreten Antrags einen Anspruch auf "sachliche Bescheidung" zu haben. Eine Untätigkeitsklage ist dabei auch bei antragsunabhängigen Leistungen, um die es sich bei Leistungen der Sozialhilfe im Grundsatz handelt (vgl § 18 SGB XII), nur zulässig, wenn zuvor die Vornahme des Verwaltungsakts bei der Behörde beantragt worden ist (Bundesverwaltungsgericht ≪BVerwG≫ vom 31.8.1995 - 5 C 11.94 - BVerwGE 99, 158).
Mit dem an die Beklagte am 15.3.2019 herangetragenen Begehren, über die behaupteten Ansprüche eine Verwaltungsentscheidung herbeizuführen, hat der Kläger selbst einen insoweit ausreichenden Antrag gestellt. Entscheidend ist allein, dass eine Erklärung abgegeben wird, mit der eine bestimmte Sozialleistung auf Grundlage einer behördlichen, einzelfallbezogenen Regelung iS des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) begehrt wird (vgl Jaritz in beck-online.Grosskomm zum SGG, Stand Januar 2021, § 88 RdNr 17). In diesem Zusammenhang ist die Handlungsfähigkeit im Sinne des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB X unerheblich. Da Gegenstand der Klage nur die Bescheidung des Antrags ist, nicht aber der materielle (Leistungs-)Anspruch (stRspr; vgl nur Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 16.10.2014 - B 13 R 282/14 B - RdNr 6; zu den teilweise abweichenden Auffassungen in der Literatur nur Hübschmann in beck-online.Grosskomm zum SGG, Stand Januar 2021, § 131 RdNr 80 ff mwN), kommt es nicht darauf an, ob der Antrag auch Erfolg haben kann (vgl BSG vom 11.11.2003 - B 2 U 36/02 R - SozR 4-1500 § 88 Nr 1 RdNr 16 mwN). Mit dem Rechtsinstitut der Untätigkeitsklage soll (ausschließlich) gewährleistet werden, dass der Bürger nicht durch bloßes Untätigbleiben der Verwaltung in seinen Rechten beeinträchtigt wird. Dieser Zweck des § 88 SGG erfordert es, auch bei Handlungsunfähigkeit auf ein entsprechendes Begehren hin im Grundsatz eine Entscheidung durch die Behörde im Wege der Untätigkeitsklage durchsetzen zu können. Es obliegt bei einem prozessunfähigen und nicht durch einen Betreuer anderweitig vertretenen Kläger dann dem besonderen Vertreter im Einzelfall zu entscheiden, ob die Führung der Untätigkeitsklage den Interessen und dem Wohl des prozessunfähigen Vertretenen entspricht, und deshalb die Prozessführung zu genehmigen (zu diesem Maßstab BSG vom 14.11.2013 - B 9 SB 84/12 B - SozR 4-1500 § 72 Nr 3 RdNr 8 ff). Läuft die Wartefrist von sechs Monaten für eine Untätigkeitsklage - wie hier - während des gerichtlichen Verfahrens ab, wird der zuvor bestehende Mangel geheilt und die Klage wird zulässig (BSG vom 26.8.1994 - 13 RJ 17/94 - BSGE 75, 56 = SozR 3-1500 § 88 Nr 2; anders Hintz in BeckOK Sozialrecht, Stand Dezember 2020, § 88 SGG RdNr 4).
Die Untätigkeitsklage ist begründet, wenn der Antrag ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden ist. Liegt dagegen ein zureichender Grund dafür vor, dass der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist aus, die verlängert werden kann (§ 88 Abs 1 Satz 2 SGG). Unzutreffend ist das SG davon ausgegangen, es liege - abschließend - ein zureichender Grund dafür vor, dass der beantragte Verwaltungsakt nicht erlassen wird, weil der zwischenzeitlich bestellt gewesene Betreuer den Antrag des Klägers nicht genehmigt hat.
Wegen des Beginns des Verwaltungsverfahrens ist für das Recht der Sozialhilfe maßgeblich § 18 Abs 1 SGB XII (in der Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022). Danach setzt die Sozialhilfe (erst) ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen (ausführlich zuletzt BSG vom 5.9.2019 - B 8 SO 20/18 R - SozR 4-3500 § 18 Nr 5 RdNr 12 mwN). Für die Kenntnis der Notlage, die für das Entstehen des Sozialrechtsverhältnisses entscheidend ist, genügt nach Sinn und Zweck des § 18 SGB XII auch die entsprechende Mitteilung eines im Sinne des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB X nicht handlungsfähigen Hilfebedürftigen. Wer als volljährige Person krankheitsbedingt nicht handlungsfähig im Sinne des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB X ist, kann sich trotzdem an den Träger der Sozialhilfe wenden, der dann auf Grundlage des zur Kenntnis gebrachten Sachverhalts von Amts wegen tätig werden muss (vgl Roller in Schütze, SGB X, 9. Aufl 2020, § 11 RdNr 4; Neumann in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Dezember 2016, § 11 RdNr 45).
Ist ein Antrag aber nicht Voraussetzung für einen Anspruch auf Sozialhilfe und die Antragstellung damit für den Beginn des Verwaltungsverfahrens, das im Grundsatz durch eine Entscheidung des Trägers abzuschließen ist, ohne eigenständige Bedeutung, hängt ein Anspruch auf Entscheidung über den zur Kenntnis gebrachten Sachverhalt nicht davon ab, ob der Antrag von einem Betreuer genehmigt wird, wie das SG meint. Lediglich Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Vierten Kapitel des SGB XII werden nur auf Antrag erbracht (vgl § 44 Abs 1 Satz 1 SGB XII), sodass insoweit Kenntnis von der Notlage allein nicht genügt und (ggf im Nachgang der Kenntnis der Behörde auf deren Hinweis hin) ein Antrag gestellt werden muss (vgl Coseriu in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl 2020, § 18 SGB XII RdNr 74). Fehlt es an einem Antrag, kommen nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz aber Leistungen nach dem Dritten Kapitel in Betracht (zum Verhältnis von Grundsicherungsleistungen zu Leistungen nach dem Dritten Kapitel bereits BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 13/08 R - BSGE 104, 207 = SozR 4-3530 § 6 Nr 1, RdNr 16). Wegen der Geltung des Meistbegünstigungsgrundsatzes ist schließlich auch unerheblich, welche Leistungen der Kläger ausdrücklich begehrt. Er hat mit seinem Vortrag zum Ausdruck gebracht, dass ihm ausreichende Mittel zur Deckung seines Lebensunterhalts nicht zur Verfügung stehen.
Aus dem Schweigen des Betreuers lassen sich keine weiteren Folgen für das Verwaltungsverfahren wegen der Gewährung von Sozialhilfe herleiten. Eine Rücknahme müsste ausdrücklich und unmissverständlich erklärt worden sein, damit sie trotz Kenntnis von der Notlage einer Pflicht des Trägers der Sozialhilfe zur Entscheidung entgegensteht (im Einzelnen BSG vom 5.9.2019 - B 8 SO 20/18 R - SozR 4-3500 § 18 Nr 5 RdNr 14 f); eine solche Erklärung liegt hier aber gerade nicht vor. Anders als im Vertragsrecht besteht für das Verwaltungsverfahren auch keine Notwendigkeit, eine "Schwebelage" zu Gunsten der Behörde zu beenden, die es rechtfertigen würde, nach Fristsetzung an das Schweigen des Betreuers in entsprechender Anwendung des § 1903 Abs 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) iVm § 108 Abs 2 BGB die Folge der Beendigung des Verwaltungsverfahrens zu knüpfen. Sind tatsächlich Mitwirkungshandlungen erforderlich, treffen entsprechende Obliegenheiten zur Mitwirkung nach § 60 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) den Betreuer als gesetzlichen Vertreter (vgl nur Voelzke in jurisPK-SGB I, 3. Aufl 2018, Stand Oktober 2020, § 60 RdNr 37; Sichert in Hauck/Noftz, SGB I, Stand Dezember 2010, § 60 RdNr 24). Solche Obliegenheiten hängen ebenfalls nicht von einer (wirksamen) Antragstellung ab; die in § 60 Abs 1 SGB I genannten Pflichten treffen auch denjenigen, der Leistungen erhält. Nach Sinn und Zweck des § 60 SGB I erfasst dies die Fälle, in denen ein Leistungsberechtigter ggf im Ergebnis der noch durchzuführenden Prüfung Leistungen von Amts wegen zu erhalten hat (so bereits die Gesetzesbegründung in BT-Drucks 7/868, 33; ausführlich Spellbrink in Kassler Kommentar, Stand August 2019, § 66 SGB I RdNr 3 und RdNr 6). Bei Nichterfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten bestehen Möglichkeiten einer sachgerechten Beendigung des Verfahrens (vgl § 66 SGB I). Weshalb diese Vorschriften bei handlungsunfähigen, aber vertretenen Hilfebedürftigen "keine wirksame Handhabe" zur geordneten Durchführung des Verfahrens bieten sollten, begründet das SG nicht. Bedarf es keiner Mitwirkungshandlungen des Betreuers bei der Aufklärung des Sachverhalts (etwa weil die notwendigen Informationen bereits vorliegen oder anderweitig beschafft werden können), ist nicht erkennbar, weshalb das Verwaltungsverfahren nicht ohne eine Erklärung des Betreuers abgeschlossen werden könnte. Die Bekanntgabe einer Entscheidung an ihn ist ebenso möglich wie die Auszahlung von Leistungen mit befreiender Wirkung.
Ein zureichender Grund im Sinne des § 88 Abs 1 Satz 2 SGG für eine Untätigkeit der Beklagten liegt auch nicht darin, dass die Betreuung mit Beschluss des LG vom 29.7.2019 aufgehoben worden ist. Kommt eine Behörde abschließend zu dem Schluss, dass nach Aufhebung einer Betreuung Handlungsunfähigkeit im Sinne des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB X vorliegt, muss sie unverzüglich ein Ersuchen an das Betreuungsgericht stellen, einen geeigneten Vertreter zu bestellen (vgl § 15 Abs 1 Nr 4 SGB X), sofern dies im wohlverstandenen Interesse des Beteiligten liegt (zu diesem Maßstab bereits BSG vom 27.8.1998 - B 10 KR 5/97 R - BSGE 82, 283, 288 = SozR 3-5420 § 24 Nr 1 S 6 f). Ist die fehlende Bereitschaft, vertrauensvoll mit dem Betreuer zusammenzuarbeiten, Ausdruck der Erkrankung des Betroffenen, kommt jedenfalls die Gewährung "unechter" Sozialhilfe auf Grundlage von § 19 Abs 5 SGB XII zur Abwendung von existenziellen Notlagen in Betracht, solange es einem Vertreter mangels Kooperationsbereitschaft des Handlungsunfähigen nicht gelingt, abschließend zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen Auskunft zu geben. In einem Fall, in dem die Behörde nicht positive Kenntnis davon hat, dass der existenznotwendige Lebensunterhalt anderweitig gesichert ist, erscheint es gegenüber den sich für den Betroffenen aus der Krankheit oder Behinderung ergebenden Nachteilen unverhältnismäßig, von der Stellung eines Ersuchens nach § 15 Abs 1 Nr 4 SGB X abzusehen (zum entsprechenden Maßstab im Betreuungsrecht vgl Bundesgerichtshof ≪BGH≫ vom 27.9.2017 - XII ZB 330/17 - FamRZ 2018, 54 RdNr 13 f; BGH vom 23.1.2019 - XII ZB 397/18 - NJW 2019, 1153 RdNr 16).
Ein Ersuchen an das Betreuungsgericht hat die Beklagte bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz nicht gestellt, sodass zu diesem Zeitpunkt ein Grund für die Untätigkeit der Behörde nicht vorlag. Da auch der besondere Vertreter von der Beklagten nicht in das laufende Verwaltungsverfahren eingebunden worden ist, kann offenbleiben, inwieweit sich dessen Vertretungsbefugnis für das Gerichtsverfahren vorliegend auch auf die Handlungsfähigkeit im Verwaltungsverfahren ausgewirkt hat (dazu nur BSG vom 29.6.1995 - 11 RAr 57/94 - BSGE 76, 178, 181 = SozR 3-4100 § 58 Nr 7 S 30). Nachdem zwischenzeitlich erneut eine Betreuung eingerichtet worden ist und die Beklagte gleichwohl das Begehren des Klägers vor der Erledigung des Rechtsstreits nicht beschieden hat, braucht schließlich nicht entschieden zu werden, ob nach Stellung eines Ersuchens beim Betreuungsgericht im laufenden Revisionsverfahren ein Grund für eine Nichtbescheidung im Sinne des § 88 Abs 1 Satz 2 SGG eingetreten war; denn er ist jedenfalls wieder entfallen.
Fundstellen
Dokument-Index HI14934940 |