Verfahrensgang
SG Chemnitz (Entscheidung vom 09.08.2021; Aktenzeichen S 11 KR 917/20) |
Sächsisches LSG (Urteil vom 31.01.2022; Aktenzeichen L 9 KR 283/21) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 31. Januar 2022 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über die Erhebung von Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV) auf eine Kapitalleistung.
Die 1954 geborene Klägerin bezieht Altersrente. Sie ist in der GKV und sPV pflichtversichert. Am 26.3.2019 erhielt sie von einem privaten Lebensversicherungsverein aG eine Kapitalleistung iHv 78 728,38 Euro aus einer Direktversicherung. Ursprünglich war die Klägerin vom 1.4.1993 bis 31.3.2002 Versicherungsnehmerin. Danach war ihr Arbeitgeber Versicherungsnehmer. Die beklagte Kranken- und Pflegekasse legte den während der Versicherungsnehmereigenschaft des Arbeitgebers ab 1.4.2002 beruhenden Teil der Kapitalleistung als beitragspflichtigen Versorgungsbezug der Beitragserhebung in der GKV und sPV zugrunde. Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin sind ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Sämtliche in der Beschwerdebegründung geltend gemachten Zulassungsgründe sind entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN).
Die Klägerin macht mit der Beschwerdebegründung geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, weil sich alle bisher befassten Gerichte seit 2010 nicht mehr an gültigem Recht/Gesetz orientiert hätten und auch noch aktuell so verfahren würden. Hiervon seien Millionen der so genannten Direktversicherungsgeschädigten betroffen. Das Berufungsurteil verletze materielles Recht in schwerem Ausmaß. Die Beitragsforderung der Beklagten entbehre jeglicher Gesetzesgrundlage. Es sei nicht ausreichend berücksichtigt worden, dass ursprünglich sie als Versicherungsnehmerin eine Kapitallebensversicherung abgeschlossen habe. Die Versicherungsnehmereigenschaft des Arbeitgebers sei lediglich als Vertragsmodalität gewählt worden, um durch seine Einbeziehung die Effizienz(Rabattierung) kollektiv organisierter Gruppenverträge nutzen zu können. Diesen Vorteil hätte sie auch mit ihrer jungen und gesunden Tochter als Versicherungsnehmerin nutzen können. In der bisherigen Rechtsprechung würden durchgehend ab 2010 die Begrifflichkeiten, ua Rente, Versorgungsbezug, Direktversicherung usw, falsch verwandt. Sowohl die Kranken- und Pflegekassen als auch die Sozialgerichte hätten den Sachverhalt der vielen Rechtsstreitigkeiten nicht verstanden, nicht verstehen wollen oder nicht verstehen dürfen. Auch habe das BVerfG (Beschluss ≪Kammer≫ vom 28.9.2010 - 1 BvR 1660/08 - SozR 4-2500 § 229 Nr 11) einen Irrweg beschritten. Der Gesetzgeber habe in § 237 SGB V iVm § 229 SGB V klare Tatbestandsmerkmale geschaffen, denen die Beklagten und das LSG keine neuen/anderen Merkmale hinzufügen dürften, ohne dazu vom Gesetzgeber ermächtigt worden zu sein. Das Berufungsurteil verstoße zudem gegen Verfahrensrecht.
a) Die Beschwerdebegründung erfüllt die Darlegungsvoraussetzungen für eine Grundsatzrüge (vgl hierzu exemplarisch BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN) schon deshalb nicht, weil darin keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht (BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) formuliert wird. Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN).
b) Unabhängig hiervon legt die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dar. Mit der umfangreichen Rechtsprechung des BSG und des BVerfG, auf die das LSG in dem angefochtenen Urteil ausführlich hingewiesen hat, setzt sie sich nur dergestalt auseinander, dass sie auf Grundlage eines eigenen Verständnisses der Begrifflichkeiten und der Rechtslage für die Zeit ab 2010 pauschal für falsch gehalten wird. Hierdurch wird eine Klärungsbedürftigkeit nicht in einer den Zulässigkeitsanforderungen nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG entsprechenden Weise dargelegt.
Dass und mit welchen Gründen der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Schrifttum oder in der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen worden wäre (vgl BSG Beschluss vom 18.2.2021 - B 10 ÜG 8/20 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 5.2.2019 - B 1 KR 34/18 B - juris RdNr 7), oder dass sich völlig neue, nicht erwogene Gesichtspunkte ergeben hätten, die eine andere Beurteilung nahelegen könnten (BSG Beschluss vom 3.8.2016 - B 12 P 4/15 B - juris RdNr 5 mwN), also erneut Klärungsbedürftigkeit bestehe, zeigt die Klägerin ebenfalls nicht hinreichend auf.
Auch mit der zwischenzeitlichen Rechtsänderung durch das Gesetz zur Einführung eines Freibetrages in der GKV zur Förderung der betrieblichen Altersvorsorge (GKV-Betriebsrentenfreibetragsgesetz - GKV-BRG) vom 21.12.2019 (BGBl I 2913) und den Gesetzesmaterialien hierzu (ua BT-Drucks 19/15438 S 11 f zu Nr 2) befasst sich die Klägerin - trotz entsprechender Hinweise im angefochtenen Urteil - nicht.
Schließlich berücksichtigt die Klägerin nicht, dass die Behauptung, die Entscheidung des Berufungsgerichts sei inhaltlich unrichtig, im sozialgerichtlichen Verfahren nicht zur Zulassung der Revision führen kann (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18).
2. Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine solche Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Insoweit genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG Beschluss vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und BSG Beschluss vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN).
Die Klägerin führt auf Seite 20 der Beschwerdebegründung aus, es seien somit hinreichende "Divergenzgründe" zur Annahme der Revision dargelegt worden, welche zu einer Aufhebung der Urteile der beiden unteren Fachgerichte führen müssten. Eine den oben genannten Zulässigkeitsanforderungen entsprechende Darlegung einer entscheidungserheblichen Abweichung kann der Beschwerdebegründung damit nicht entnommen werden.
3. Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (zu den Anforderungen an die Bezeichnung eines solchen Verfahrensmangels s exemplarisch BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4; BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 4 - jeweils mwN). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann sich der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG stützen. Ferner kann die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Prüfungsmaßstab ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG (vgl BSG Beschluss vom 14.5.2007 - B 1 KR 21/07 B - juris RdNr 18 mwN; BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG; BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrens recht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn er hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargelegt wird, sodass das BSG allein anhand der Beschwerdebegründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht.
Die Klägerin behauptet auf Seite 8 der Beschwerdebegründung, es seien Verfahrensmängel erkennbar, das Berufungsurteil verstoße gegen Verfahrensrecht. Auf Seite 4 und 9 der Beschwerdebegründung führt sie aus, in der Berufungsverhandlung sei anhand eines rechtswissenschaftlichen Gutachtens (Bieback, NZS 2019, 246) das problematische Vorgehen der Verbeitragung in der GKV thematisiert worden, ohne dass die in der Verhandlung erbetene Erörterung erfolgt sei. Das Gutachten sei aber im Urteil erwähnt, also hätte eine inhaltliche Befassung erfolgen müssen. Auf die Ausführungen im Gutachten werde im Urteil überhaupt nicht eingegangen. Aus dessen klarer Analyse ergebe sich, dass das Berufungsurteil rechtlich nicht haltbar sei.
Die Klägerin benennt bereits keine Norm des Verfahrensrecht, gegen die ihrer Meinung nach verstoßen worden sei. Soweit sie mit ihrem Vorbringen einen Verstoß gegen ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) rügen sollte, bezeichnet sie einen solchen bereits mangels Konkretisierung des vermeintlich nicht berücksichtigten, entscheidungserheblichen Vorbringens nicht hinreichend.
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Heinz Bergner Beck
Fundstellen
Dokument-Index HI15365064 |