Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 30.11.2018; Aktenzeichen L 12 SF 24/18 EK) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 30. November 2018 wird als unzulässig verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 600 Euro festgesetzt.
Gründe
I
Der Kläger ist Rechtsanwalt und begehrt eine Entschädigung in Höhe von 600 Euro für die unangemessene Dauer eines Kostenerinnerungsverfahrens beim SG Kiel (Az S 21 SF 75/15 E) im Rahmen der Festsetzung seiner Prozesskostenhilfe-Vergütung. Diesen Anspruch hat das LSG als Entschädigungsgericht mit Urteil vom 30.11.2018 verneint und für das Erinnerungsverfahren eine überlange Verfahrensdauer festgestellt. Gegen den allein geltend gemachten immateriellen Schaden, der eine Entschädigung in Geld erforderlich mache, spreche schon der Umstand, dass der Kläger als Rechtsanwalt ein unabhängiges Organ der Rechtspflege sei und von Prozessen grundsätzlich profitiere und die psychische Belastung für ihn keinesfalls vergleichbar sei wie bei juristischen Laien. Anhaltspunkte für eine erkennbare psychische Belastung bei zu befürchtender Existenzgefährdung seien angesichts des im Erinnerungsverfahren streitigen Vergütungsanspruchs (in Höhe von max 182,07 Euro) nicht ersichtlich. Die Bedeutung des Erinnerungsverfahrens sei nicht besonders schwerwiegend. Trotz der vom Kläger behaupteten schwierigen wirtschaftlichen Situation seiner Kanzlei im zugrunde liegenden Zeitraum sei das Erinnerungsverfahren nicht geeignet gewesen, eine Existenzgefährdung zu begründen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Begründung vom 29.4.2019 genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl Senatsbeschluss vom 29.10.2018 - B 10 ÜG 6/18 B - juris RdNr 4 mwN).
a) Der Kläger hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam, "ob im Rahmen der Prüfung der Frage nach der Möglichkeit einer Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs 1 Satz 2 GVG (gemeint wohl: § 198 Abs 2 Satz 2 GVG) eine besondere Bedeutung des Ausgangsverfahrens für den Entschädigungskläger gegeben sein muss".
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger damit eine mit Mitteln juristischer Methodik zu klärende Rechtsfrage formuliert und nicht lediglich eine tatsächliche Frage bezeichnet hat, die sich als ein relevanter Umstand des Einzelfalls auf die begehrte Entschädigung auswirken kann und damit eine Fragestellung mit Breitenwirkung darstellt. Denn der Kläger hat weder die (weitere) Klärungsbedürftigkeit dieser Frage (dazu unter aa) noch deren Klärungsfähigkeit (dazu unter bb) hinreichend aufgezeigt.
aa) Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert ist und die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Um die Klärungsbedürftigkeit ordnungsgemäß darzulegen, muss sich der Beschwerdeführer daher ua mit Wortlaut, Kontext und ggf der Entstehungsgeschichte des fraglichen Gesetzes sowie der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinandersetzen (Senatsbeschluss vom 1.6.2017 - B 10 ÜG 30/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 14 RdNr 16 mwN). Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das BSG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam herausgestellten Rechtsfrage geben (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 6.8.2018 - B 10 EG 5/18 B - juris RdNr 6 mwN).
Der Kläger weist selbst darauf hin, dass eine Entschädigung gemäß § 198 Abs 2 Satz 2 GVG nur beansprucht werden kann, soweit nicht "nach den Umständen des Einzelfalles" eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs 4 GVG ausreichend ist. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise ist gemäß § 198 Abs 4 Satz 1 GVG insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Ob eine solche Feststellung ausreichend iS des § 198 Abs 2 Satz 2 GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 17.11.2010 eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, BT-Drucks 17/3802 S 20; BVerwG Urteil vom 11.7.2013 - 5 C 23/12 D - juris RdNr 57). In diese wird - worauf der Senat unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien (aaO, BT-Drucks 17/3802 S 20) bereits mehrfach hingewiesen hat (Urteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1, RdNr 45; Urteil vom 10.7.2014 - B 10 ÜG 8/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 2 RdNr 31; Urteil vom 12.2.2015 - B 10 ÜG 1/13 R - BSGE 118, 91 = SozR 4-1720 § 198 Nr 7, RdNr 41; Senatsbeschluss vom 8.1.2018 - B 10 ÜG 14/17 B - juris RdNr 8) regelmäßig einzustellen sein, ob das Ausgangsverfahren für den Entschädigungskläger eine besondere Bedeutung hatte (ebenso BVerwG Urteil vom 11.7.2013 aaO; BFH Urteil vom 17.4.2013 - X K 3/12 - juris RdNr 59). Darüber hinaus kann aber auch bedeutsam sein, ob der Entschädigungskläger durch sein Prozessverhalten erheblich zur Verzögerung des Ausgangsverfahrens beigetragen hat (Senatsurteil vom 12.2.2015 aaO), ob er weitergehende immaterielle Schäden erlitten hat oder ob die Überlänge den einzigen Nachteil darstellt (vgl aaO, BT-Drucks 17/3802 S 20). Schließlich kann im Rahmen des Abwägungsvorgangs vom Entschädigungsgericht zu berücksichtigen sein, von welchem Ausmaß die Unangemessenheit der Dauer des Verfahrens ist und ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Dringlichkeit aufwies oder ob diese zwischenzeitlich entfallen war (vgl BVerwG Urteil vom 11.7.2013 aaO) oder ob sich das Ausgangsgericht in besonderem Maße unkooperativ oder uneinsichtig verhalten hat (vgl BFH Urteil vom 19.3.2014 - X K 8/13 - juris RdNr 35).
Vor diesem Hintergrund zeigt der Kläger nicht auf, welcher weitere Klärungsbedarf im Hinblick auf die von ihm formulierte Fragestellung noch bestehen sollte. Denn wie sich aus den vorgenannten Gesetzesmaterialien und der zitierten Rechtsprechung des Senats, des BVerwG und des BFH ergibt, kann die für die Entschädigung maßgebliche Frage, ob eine Wiedergutmachung auf andere Weise tatsächlich ausreichend ist, nur unter Abwägung aller Belange im Einzelfall beantwortet und entschieden werden, wozu ua regelmäßig auch die Gewichtung der Bedeutung des Ausgangsverfahrens für den Entschädigungskläger gehört. Sofern der Kläger im Kern seines Vorbringens mit der im Rahmen des § 198 Abs 2 Satz 2 GVG erfolgten wertenden Gewichtung und Abwägung der Umstände in seinem Einzelfall (einschließlich der Bewertung der Bedeutung des Erinnerungsverfahrens als "nicht besonders schwerwiegend") durch das Entschädigungsgericht nicht einverstanden sein sollte, rügt er eine fehlerhafte Rechtsanwendung des Entschädigungsgerichts. Hierauf kann jedoch eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden (Senatsbeschluss vom 8.1.2018 - B 10 ÜG 14/17 B - juris RdNr 8).
bb) Zudem fehlt es an der Klärungsfähigkeit der vom Kläger aufgeworfenen Frage. Das Entschädigungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung iS von § 198 Abs 2 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalles eine Wiedergutmachung des durch die überlange Dauer des Kostenerinnerungsverfahrens entstandenen Nachteils auf andere Weise gemäß Abs 4 der Vorschrift für ausreichend erachtet. Insoweit hat es bezogen auf das konkrete Kostenerinnerungsverfahren auf eine nicht ersichtlich wirtschaftlich schwierige Situation der Kanzlei des Klägers, dessen nicht erkennbare psychische Belastung durch das Verfahren sowie den bereits zugestandenen Vergütungsanspruch und die relativ geringe Differenz zu der vom Kläger noch geltend gemachten Kostenforderung abgestellt und eine entsprechende "Kompensation" durch eine reine Feststellung nach § 198 Abs 4 Satz 1 GVG als ausreichend angesehen. Warum es in dieser Konstellation einer vom Entschädigungsgericht erkennbar vorgenommenen Abwägung der "Umstände des Einzelfalles" iS des § 198 Abs 2 Satz 2 GVG in einem zukünftigen Revisionsverfahren noch auf die Beantwortung der vom Kläger formulierten dem Abwägungsvorgang "vorgelagerten Frage" entscheidungserheblich ankommen kann, zeigt er in seiner Beschwerdebegründung nicht auf.
b) Des Weiteren hält der Kläger die Frage für grundsätzlich bedeutsam, ob im Rahmen der Prüfung nach § 198 Abs 2 Satz 2 GVG "die absichtsvolle Nichtzurkenntnisnahme von Verzögerungsrügen durch das im Ausgangsverfahren tätige Gericht Berücksichtigung finden muss".
Der Kläger hat jedoch unabhängig von der Frage, ob das Ausgangsgericht die Verzögerungsrügen angesichts der "Generalverfügung" vom 8.1.2016 zur Kenntnis genommen hat, nicht die Klärungsbedürftigkeit der von ihm formulierten Fragestellung - auf der Grundlage der vom Entschädigungsgericht festgestellten Tatsachen (§ 163 SGG) - in einem künftigen Revisionsverfahren hinreichend dargelegt. Als höchstrichterlich geklärt ist - wie unter I 1) a) aa) ausgeführt - eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das BSG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam herausgestellten Rechtsfrage geben.
Der Kläger führt auch hier an, dass eine Entschädigung gemäß § 198 Abs 2 Satz 2 GVG nur beansprucht werden kann, soweit nicht "nach den Umständen des Einzelfalles" eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs 4 GVG ausreichend ist. Er weist zudem darauf hin, dass sich eine Klärung der von ihm aufgeworfenen Frage nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Eine Auseinandersetzung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die - wie oben unter I 1) a) aa) ausgeführt - im Anschluss an die Gesetzesmaterialien auch der Prozessleitung durch das Ausgangsgericht für die Frage nach der Entschädigung entweder in Geld oder auf andere Weise entscheidende Bedeutung beimisst (Senatsurteil vom 12.2.2015 - B 10 ÜG 7/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 10 RdNr 43 ff; BFH Urteil vom 19.3.2014 - X K 8/13 - juris RdNr 35), lässt die Beschwerdebegründung dagegen nicht erkennen.
Vor diesem Hintergrund zeigt der Kläger nicht auf, welcher weitere Klärungsbedarf im Hinblick auf die von ihm formulierte Fragestellung noch bestehen sollte. Denn wie sich aus den vorgenannten Gesetzesmaterialien und insbesondere der zitierten Rechtsprechung des Senats und des BFH ergibt, kann die für die Entschädigung maßgebliche Frage, ob eine Wiedergutmachung auf andere Weise tatsächlich ausreichend ist, nur unter Abwägung aller Belange im Einzelfall beantwortet und entschieden werden, wozu ua regelmäßig auch die Prozessleitung durch das Ausgangsgericht gehört.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
2. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 47 Abs 1 Satz 1, § 52 Abs 1 und Abs 3 Satz 1, § 63 Abs 2 Satz 1 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13656366 |