Verfahrensgang
Hessisches LSG (Beschluss vom 30.07.2018; Aktenzeichen L 3 SB 91/15) |
SG Marburg (Entscheidung vom 13.02.2012; Aktenzeichen S 1 SB 214/08) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 30. Juli 2018 Prozesskostenhilfe zu gewähren und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
I
Der Kläger begehrt im Wege des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X rückwirkend die Feststellung eines höheren Grads der Behinderung (GdB) sowie die Zuerkennung des Merkzeichens G.
Der Beklagte hatte beim Kläger zuletzt einen GdB von 50 festgestellt (Bescheid vom 21.10.1999). Im Jahr 2002 lehnte der Beklagte erstmals einen Änderungsantrag des Klägers ab (Bescheid vom 11.3.2002, Widerspruchsbescheid vom 25.3.2002). Er legte dabei weiterhin ua einen Einzel-GdB von 30 für eine seelische Erkrankung zugrunde. In 2008 beantragte der Kläger die Überprüfung und rückwirkende Änderung des Bescheids aus dem Jahr 2002, was der Beklagte ebenfalls ablehnte (Bescheid vom 12.8.2008, Widerspruchsbescheid vom 8.10.2008).
Die dagegen erhobene Klage blieb ebenso erfolglos wie die Berufung (SG Urteil vom 13.2.2012, Beschluss vom 30.7.2018). Der Bescheid vom 11.3.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.3.2002 sei im Erlasszeitpunkt rechtmäßig gewesen. Die medizinischen Unterlagen rechtfertigten auch aus heutiger Sicht keine andere Einschätzung. Insbesondere habe der neurologisch-psychiatrische Sachverständige Dr. K. … in seinem Gutachten vom 24.3.2004 bezogen auf einen Zeitraum seit Oktober 1999 einen GdB auf psychiatrischem Gebiet von 30 bestätigt.
Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe (PKH) für eine beabsichtigte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG. Zur Begründung macht er Verfahrensfehler geltend.
II
Der PKH-Antrag des Klägers ist unbegründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 ZPO). An der erforderlichen Erfolgsaussicht fehlt es hier. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) in der Lage wäre, die von dem Kläger angestrebte Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen.
Hinreichende Erfolgsaussicht hätte die Nichtzulassungsbeschwerde nur, wenn einer der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe mit Erfolg geltend gemacht werden könnte. Die Revision darf danach zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
Nach Durchsicht der Akten fehlen - auch unter Würdigung des Vorbringens des Klägers - Anhaltspunkte dafür, dass er einen der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte. Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall des Klägers hinausgehende, grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Auch ist nicht ersichtlich, dass das LSG entscheidungstragend von Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG).
Schließlich fehlt ein ausreichender Anhalt dafür, dass der Kläger einen die Revisionszulassung rechtfertigenden Verfahrensfehler des LSG bezeichnen könnte (Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Das gilt zunächst für die behauptete Verletzung des § 153 Abs 4 S 1 SGG und in diesem Zusammenhang des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter. Es erschließt sich nicht, warum der vom Kläger angeführte Teilabhilfebescheid vom 3.7.2014 einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss entgegengestanden haben sollte. Der genannte Bescheid hat lediglich den GdB des Klägers ab 2.5.2013 geregelt und ihm nicht die verlangte rückwirkende Überprüfung und Erhöhung ab dem Jahr 2001 zugesprochen.
Ebenso wenig ist ersichtlich, dass die erforderliche ordnungsgemäße Anhörung nach § 153 Abs 4 S 2 SGG unterblieben sein könnte. Anders als der Kläger meint, braucht sich das Gericht bei einer solchen Anhörung nicht auf den Zeitpunkt des in Aussicht gestellten Beschlusses festzulegen; es hat den Beteiligten lediglich ausreichende Zeit zur Stellungnahme einzuräumen (in der Regel nicht weniger als zwei Wochen, vgl BSG Beschluss vom 12.2.2009 - B 5 R 386/07 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 7). Das hat das LSG getan, indem es die Beteiligten mit Schreiben vom 13.2.2018 angehört und eine Stellungnahmefrist bis zum 6.3.2018 eingeräumt hat. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat diese Frist auch genutzt und einen Schriftsatz übersandt. Die vom Kläger insoweit gerügte Gehörsverletzung erschließt sich nicht.
Auch im Übrigen ist eine solche Gehörsverletzung nicht ersichtlich. Der Kläger meint, indem das LSG erst kurz vor dem angegriffenen Beschluss auf die Beiziehung weiterer Verfahrensakten hingewiesen habe, habe das Gericht es ihm verwehrt, sich zu deren Inhalt zu äußern. Indes hätte der Kläger auch kurzfristig einen Antrag auf Akteneinsicht stellen können, entweder selbst oder durch seine Prozessbevollmächtigte. Ebenso wenig liegt eine Gehörsverletzung hinsichtlich der vernichteten Gerichtsakte L 3 U 951/99, S 3 U 321/97 nahe. Es ist weder vorgebracht noch ersichtlich, welche entscheidungsrelevanten Inhalte dieser Akte noch hätten entnommen werden können, um dem Rechtsstreit des Klägers eine andere Wendung zu geben. Insbesondere waren zeitnahe Arztberichte über die Folgen der Knieverletzung des Klägers aus dem Jahr 1991 und nachfolgende Behandlungen bereits Gegenstand des Verwaltungsverfahrens über die Feststellung der Schwerbehinderung des Klägers und der daran anschließenden Gerichtsverfahren.
Soweit der Kläger eine unterlassene Beweiserhebung über seinen Gesundheitszustand auf psychiatrischem/psychologischem und orthopädischem/unfallchirurgischem Gebiet rügt, fehlt es bereits an einem prozessordnungsgemäßen, hinreichend genauen Beweisantrag. Merkmal eines substantiierten Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache (vgl Senatsbeschluss vom 29.1.2018 - B 9 V 39/17 B - Juris RdNr 11 mwN). Dafür ist die behauptete Tatsache möglichst präzise und bestimmt zu behaupten und zumindest hypothetisch zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Unbestimmte bzw unsubstantiierte Beweisanträge brauchen dem Gericht dagegen keine Beweisaufnahme nahezulegen (vgl BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 33/11 R - NZS keine Beweisaufnahme nahezulegen (vgl BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 33/11 R - NZS 2012, 230; BSG Beschluss vom 19.11.2009 - B 13 R 303/09 B - BeckRS 2010, 65789, Juris RdNr 12).
Zwar hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 6.3.2018 ua die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens über den Kläger beantragt. Aufgrund der seit 18 Jahren andauernden ambulanten Psychotherapie und seiner Biografie sei davon auszugehen, dass er seit Mitte der Neunzigerjahre unter einer PTBS leide, möglicherweise initialisiert durch eine Knieverletzung im Jahr 1991 und eine nachfolgende Konversionsneurose. Indes hatte der Beklagte in dem angegriffenen Bescheid bereits eine psychische Störung des Klägers mit einem - nicht unerheblichen - Einzel-GdB von 30 zugrunde gelegt. In dieser Prozesssituation hätte ein hinreichend substantiierter Beweisantrag daher darlegen müssen, dass und warum eine Beweiserhebung eine psychische Störung mit darüber hinausgehendem Krankheitswert weit zurück in die Vergangenheit ergeben hätte. Je mehr Aussagen von Sachverständigen oder sachverständigen Zeugen zum Beweisthema bereits vorliegen, desto genauer muss der Beweisantragsteller auf mögliche Unterschiede und Differenzierungen eingehen (Senatsbeschluss vom 16.2.2017 - B 9 V 48/16 B - Juris RdNr 11 mwN).
Nichts anderes gilt, soweit die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 9.2.2018 (S 347 LSG-Akte) ihren Beweisantrag vom 2.5.2013 (S 226 LSG-Akte) auf Einholung eines Sachverständigengutachtens auf dem Gebiet der Orthopädie bzw Unfallchirurgie wiederholt hat. Auch insoweit fehlt es an der Darlegung, warum eine erneute Begutachtung im Jahr 2013 rückwirkend andere Erkenntnisse zu den vom Beklagten in der Vergangenheit anerkannten Kniegelenksveränderungen erbracht hätte. Dasselbe trifft zu für den wiederholten Antrag auf Einholung eines HNO-Gutachtens über den dekompensierten Tinnitus des Klägers.
Unabhängig davon ist jedenfalls von der Prozessbevollmächtigten des Klägers im Berufungsverfahren nicht dargetan worden und auch sonst nicht ersichtlich, warum das LSG sich aktuell hätte zu weiterer Beweiserhebung gedrängt sehen müssen (vgl Senatsbeschluss vom 29.1.2018 - B 9 V 39/17 B - Juris RdNr 14), obwohl es nach dem maßgeblichen Rechtsstandpunkt des LSG auf die Veränderungen des Gesundheitszustands des Klägers bis zum Bescheiderlass im Jahr 2002 ankam. Für dessen Beurteilung konnte das Berufungsgericht sich auf die von ihm herangezogenen Gutachten über den Kläger stützen. Insbesondere hatte der neurologisch-psychiatrische Sachverständige Dr. Kirn mit Gutachten vom 24.3.2004 bezogen auf einen Zeitraum seit Oktober 1999 einen GdB auf psychiatrischem Gebiet von 30 festgestellt. Allein der vage Hinweis auf eine mögliche Konversionsneurose und die langjährige Psychotherapie des Klägers reichte vor diesem Hintergrund zur Begründung weiteren Ermittlungsbedarfs nicht aus.
Ebenfalls nicht dargetan ist weiterer, auf die Vergangenheit bezogener Ermittlungsbedarf hinsichtlich des Tinnitus des Klägers, über den dem LSG ebenfalls bereits mehrere sachverständige Gutachten bzw auf Stellungnahmen vorlagen.
Dasselbe gilt für die Beurteilung des orthopädischen Sachverhalts durch das LSG, für den es sich auf ein Sachverständigengutachten des Professor Dr. Schröter vom 10.1.2006 stützen konnte. Demzufolge ließ sich eine Veränderung der Verhältnisse zu der dem Bescheid vom 21.10.1999 zugrunde liegenden Befundsituation nicht objektivieren. Auch die weiteren vom LSG herangezogenen medizinischen Unterlagen rechtfertigten rückwirkend keine andere Beurteilung. Demgegenüber ist weiterer Ermittlungsbedarf weder vom Kläger noch von seiner Prozessbevollmächtigten konkret dargetan worden. Dies gilt umso mehr, als der in Bezug genommene Beweisantrag vom 2.5.2013 den angeblichen neuen Ermittlungsbedarf damit begründet, mittlerweile habe sich die Kniearthrose des Klägers verschlimmert, obwohl Streitgegenstand die Überprüfung der Bescheide aus dem Jahr 2002 war.
Schließlich könnte auch eine unzutreffende Rechtsanwendung des LSG, für die ohnehin nichts ersichtlich ist, nicht mit Erfolg als Revisionszulassungsgrund gerügt werden (vgl Senatsbeschluss vom 29.1.2018 - B 9 V 39/17 B - Juris RdNr 14).
Da dem Kläger keine PKH zusteht, kann er auch nicht die Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 ZPO).
Fundstellen
Dokument-Index HI12719984 |