Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertrags≪zahn≫ärztliche Versorgung. Erhöhung des Gesamtvergütungsvolumens im Rahmen des Gesetzes zur Einführung des Wohnortprinzips bei Honorarvereinbarungen für Ärzte und Zahnärzte. Bemessung des Streitwertes bei Klagebegehren gegen Schiedsamtsentscheidung
Orientierungssatz
1. Bei der Erhöhung des Gesamtvergütungsvolumens im Rahmen des Gesetzes zur Einführung des Wohnortprinzips bei Honorarvereinbarungen für Ärzte und Zahnärzte (juris: ArztWohnortG) ist der Umstand des Schuldenabbaus in jedem Fall zu berücksichtigen und kann es rechtfertigen, die Möglichkeit der Erhöhung nicht bis zum Höchstsatz von 3% auszuschöpfen.
2. Ist ein Klagebegehren gegen eine Schiedsamtsentscheidung direkt auf einen neuen Vertrag bestimmten Inhalts mit einem für den Kläger günstigeren Finanzergebnis gerichtet, ergibt sich der Streitwert aus der Differenz zwischen dem Ergebnis der Schiedsamtsentscheidung und dem vom Kläger geltend gemachten Betrag. Zielt die Klage nur auf einen neuen Schiedsspruch mit ungewissem Inhalt, wie dies bei bloßen Neubescheidungsanträgen der Fall ist, so erfolgt die Bemessung auf die Hälfte des optimal erlangbaren Betrags. Nur wenn finanziell nicht messbare Grundsatzfragen im Streit sind, ist der Regelwert von 5.000 Euro anzusetzen.
Normenkette
SGG § 197a Abs. 1 S. 1 Hs. 1; GKG § 47 Abs. 1, 3, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 2 S. 1; SGB 5 § 85 Abs. 1, § 89 Abs. 1; ArztWohnortG Art. 3 Sätze 1-2
Verfahrensgang
Tatbestand
Nachdem die Verhandlungen zwischen der klagenden Kassenärztlichen Vereinigung und der beigeladenen Krankenkasse (AOK) über die Kriterien zur Umsetzung des Wohnortprinzips gescheitert waren - sie hatten in der Gesamtvergütungsvereinbarung für 2004 keine Einigung erzielt und dafür in deren Nr 20 eine ergänzende Vereinbarung vorgesehen -, setzte insoweit das beklagte Landesschiedsamt am 8.4.2005 den Vertragsinhalt fest. Sein Schiedsspruch lautete dahin, dass sich im Falle der Reduktion der Ausgaben für Arznei- und Verbandmittel um mehr als 6,5 % die Gesamtvergütung dementsprechend erhöhe, dies aber um höchstens 1,5 %. Es führte zur Begründung unter anderem aus, diejenigen Minderausgaben, die schon das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG - vom 14.11.2003, BGBl I 2190) als solches habe bewirken sollen bzw bewirkt habe, seien im Rahmen der Kopplung von Gesamtvergütungserhöhung und Ausgabenreduktionen gemäß Art 3 des Gesetzes zur Einführung des Wohnortprinzips bei Honorarvereinbarungen für Ärzte und Zahnärzte (WOrtPrG - vom 11.12.2001, BGBl I 3526) nicht einzuberechnen. Da das GMG auf eine Reduktion der Ausgaben für Arznei- und Verbandmittel um 6,5 % angelegt sei, könne erst bei darüber hinausgehenden Einsparungen die Gesamtvergütung zusätzlich erhöht werden. Diese potentielle Steigerung sei auf maximal 1,5 % begrenzt und der gemäß Art 3 Satz 1 WOrtPrG mögliche Rahmen von bis zu jährlich 3 % nicht ausgeschöpft worden, um die erheblich verschuldete AOK nicht unangemessen zu belasten und die Beitragsstabilität nicht zu gefährden.
Die Klägerin, die die Kappung der möglichen Erhöhung der Gesamtvergütung auf 1,5 % als rechtswidrig beanstandet, ist mit ihrer Klage und mit ihrer Berufung erfolglos geblieben (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 30.1.2008) . Im Urteil des LSG ist ausgeführt, die vom Beklagten vorgenommene Auslegung und Anwendung des Art 3 WOrtPrG treffe zu. Diese Bestimmung zeige mit der Formulierung "soll" und dem Rückgriff auf den Grundsatz der Beitragssatzstabilität, dass der Erhöhungsrahmen bis 3 % nicht stets auszuschöpfen sei und im Rahmen von Ermessenserwägungen auch Gesichtspunkte wie Ausmaß und Gründe aufgelaufener Verschuldung (§ 222 Abs 4 SGB V) berücksichtigt werden dürften. Ein Verbot der Berücksichtigung solcher Gesichtspunkte lasse sich der Nr 20 der Gesamtvergütungsvereinbarung für 2004 nicht entnehmen; deren Wortlaut enthalte keine Beschränkung auf die Konkretisierung des Messverfahrens zur Feststellung der erwirtschafteten Minderausgaben; eine derartige Eingrenzung wäre auch nicht mit § 71 SGB V vereinbar.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.
Ihr Vorbringen, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu (Zulassungsgrund gemäߧ 160 Abs 2 Nr 1SGG) , entspricht zwar aufgrund ihrer eingehenden Ausführungen den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Ihre Beschwerde ist mithin zulässig. Sie ist aber unbegründet, denn nicht alle Erfordernisse für die Revisionszulassung sind erfüllt. Diese setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSGSozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN) . Die Klärungsbedürftigkeit fehlt dann, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist und/oder wenn sie sich ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus der bereits vorliegenden Rechtsprechung klar beantworten lässt (hierzu szB BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; vgl auch BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN) . Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl zB BVerfG ≪Kammer≫, Beschluss vom 29.5.2001 - 1 BvR 791/01 - und früher schon BVerfG ≪Kammer≫, SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f; Nr 7 S 14; s auch BVerfG ≪Kammer≫, DVBl 1995, 35) .
Nach diesen Maßstäben haben die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen keine grundsätzliche Bedeutung.
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Hinsichtlich der von der Klägerin sinngemäß aufgeworfenen Rechtsfrage, |
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ob dann, wenn gesetzlich bewilligte Mehrausgaben durch Minderausgaben erwirtschaftet würden und wenn dabei die Beitragssatzstabilität nicht gefährdet werde, noch die Verschuldenssituation der betroffenen Krankenkasse berücksichtigt werden dürfe, |
fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit. Denn diese Frage lässt sich ohne Weiteres - ohne dass es der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf - klar aus dem Gesetz beantworten. In Art 3 Satz 1 WOrtPrG kommt das Ziel zum Ausdruck, die Gesamtvergütungsvolumina in den neuen Bundesländern stärker als in den alten zu erhöhen; das Ausmaß der Erhöhung ist aber nicht strikt in einem bestimmten Umfang vorgegeben, sondern lediglich als "Soll"-Vorschrift formuliert und sieht mit der Angabe "jährlich bis zu drei Prozentpunkte" für die mögliche Steigerung nur einen Rahmen vor, der nicht ausgeschöpft werden muss; zusätzlich steht das Ziel der Ost-West-Angleichung der Vergütungen unter dem Vorbehalt der Wahrung der Beitragssatzstabilität. Hieraus ergibt sich ohne Weiteres, dass zum einen alle Gesichtspunkte, die mit dem Grundsatz der Beitragssatzstabilität zusammenhängen, einbezogen werden müssen. Zudem ist durch die Formulierung nur eines "Soll" sowie eines bloßen Erhöhungsrahmens klargestellt, dass auch sonstige gewichtige Aspekte von den Vertragspartnern bzw vom Landesschiedsamt berücksichtigt werden können. Zu den Belangen, die dementsprechend in den Vertragsinhalt einbezogen werden können, gehört auch der Abbau der Verschuldung der Krankenkassen. Die aufgeworfene Rechtsfrage ist also klar dahin zu beantworten, dass der Umstand des Schuldenabbaus in jedem Fall berücksichtigt werden und es rechtfertigen kann, die Möglichkeit der Erhöhung des Gesamtvergütungsvolumens gemäß Art 3 Satz 1 WOrtPrG nicht bis zum Höchstsatz von 3 % auszuschöpfen. |
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Grundsätzliche Bedeutung kommt auch nicht der anderen von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfrage zu, |
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ob bei Gesamtvergütungsvereinbarungen, bei denen nur noch singuläre Kriterien zu vereinbaren seien (wie hier das Messverfahren zur Feststellung der erwirtschafteten Minderausgaben), das Schiedsamt weitere Aspekte wie die Beitragssatzstabilität und die Finanzsituation der betroffenen Krankenkasse einbeziehen dürfe. |
Auch diese Frage lässt sich - soweit sie für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, dh bezogen auf Art 3 WOrtPrG - beantworten, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte. In der Gesamtvergütungsvereinbarung, die die Klägerin und die Beigeladene abgeschlossen hatten, waren "die Kriterien zur Umsetzung des Art 3 WOrtPrG" offengeblieben. Deren Nr 20 enthält insoweit keine Einschränkung; insbesondere ist hieraus nicht zu entnehmen, dass etwa nur die Konkretisierung des Messverfahrens zur Feststellung der erwirtschafteten Minderausgaben im Sinne des Art 3 Satz 2 WOrtPrG einer weiteren Vereinbarung - bzw einem Schiedsamtsverfahren - vorbehalten bleiben sollte. Mithin hat der auf Art 3 Satz 1 WOrtPrG gegründete Schiedsspruch erkennbar den Rahmen eingehalten, der für ihn durch Nr 20 der Gesamtvergütungsvereinbarung vorgegeben war. |
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Grundsätzliche Bedeutung kommt schließlich auch nicht der von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfrage zu, |
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ob der Grundsatz der Beitragssatzstabilität bei gesetzlich ermöglichter Steigerung der Gesamtvergütung und gleichzeitig gegebener vollständiger Kompensierung durch Einsparungen noch gefährdet sein kann. |
Auf der Grundlage der Ausführungen zu den ersten beiden aufgeworfenen Rechtsfragen hat diese Frage keine eigenständige Bedeutung mehr. Sie ist ohne Weiteres im Sinne des angefochtenen Urteils zu beantworten. |
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG abgesehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach trägt die Klägerin die Kosten des von ihr erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO) .
Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG).
Liegt einem Rechtsstreit das Begehren nach Erhalt eines höheren Geldbetrages oder nach Minderung einer finanziellen Belastung zugrunde, so ist der Streitwert gemäß § 52 Abs 1 GKG an dem verfolgten wirtschaftlichen Interesse auszurichten. Zu diesem Zweck ist eine betragsmäßige Berechnung oder wenigstens eine Schätzung vorzunehmen. Nur wenn es für ein solches Vorgehen keinerlei Ansatzpunkte gibt, ist der Rückgriff auf den sog Regelwert des § 52 Abs 2 GKG geboten.
Die Anwendung dieser Grundsätze auf Anfechtungsverfahren gegen Schiedssprüche erfordert eine je nach Klagegegenstand differenzierte Bewertung. Ist das Klagebegehren direkt auf einen neuen Vertrag bestimmten Inhalts mit einem für den Kläger günstigeren Finanzergebnis gerichtet, ergibt sich der Streitwert aus der Differenz zwischen dem Ergebnis der Schiedsamtsentscheidung und dem vom Kläger geltend gemachten Betrag. Zielt die Klage nur auf einen neuen Schiedsspruch mit ungewissem Inhalt, wie dies bei bloßen Neubescheidungsanträgen der Fall ist, so erfolgt die Bemessung auf die Hälfte des optimal erlangbaren Betrags. Nur wenn finanziell nicht messbare Grundsatzfragen im Streit sind, ist der Regelwert von 5.000 Euro anzusetzen.
Nach diesen Vorgaben ergibt sich für den vorliegenden Fall gemäß § 52 Abs 1 GKG ein Streitwert von 1.211.500 Euro. Dies ist die Hälfte des Betrags von 2.423.000 Euro, um den bestenfalls die Gesamtvergütung für die Klägerin zusätzlich zu erhöhen wäre. Die Halbierung folgt daraus, dass die Klägerin einen bloßen Neubescheidungsantrag gestellt, nämlich im Berufungsverfahren lediglich beantragt hat, die Schiedsamtsentscheidung aufzuheben und den Beklagten zur Neufestsetzung zu verurteilen.
Fundstellen