Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. konkrete Rechtsfrage. abstrakte Klärungsbedürftigkeit. Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. Unterkunft und Heizung. angemessene Unterkunftskosten -schlüssiges Konzept des Sozialhilfeträgers. Berücksichtigung von Bestandsmieten
Orientierungssatz
1. Das BSG hat bereits mehrfach entschieden, dass bei der Bestimmung der (abstrakten) Angemessenheitsgrenze für die Kosten der Unterkunft (sog schlüssiges Konzept) nicht nur auf die tatsächlich am Markt angebotenen Wohnungen, sondern auch auf Wohnungsmieten von bereits existierenden Mietverträgen (Bestandsmieten) abzustellen ist (vgl BSG vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R = BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19, RdNr 24 und vom 22.9.2009 - B 4 AS 18/09 R = BSGE 104, 192 = SozR 4-4200 § 22 Nr 30, RdNr 22).
2. Ist eine Rechtsfrage bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden, ist sie grundsätzlich nicht mehr klärungsbedürftig. Sie kann jedoch dann wieder klärungsbedürftig werden, wenn der Rechtsprechung in nicht geringem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (vgl BSG vom 25.9.1975 - 12 BJ 94/75 = SozR 1500 § 160a Nr 13).
Normenkette
SGG § 160a Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 1; SGB XII § 35 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Sätze 1-2
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24. Mai 2018 wird als unzulässig verworfen.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
I. Im Streit sind höhere Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII), insbesondere die Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung (KdU) im Zeitraum Juni 2010 bis Oktober 2011.
Der Beklagte bewilligte Leistungen unter Berücksichtigung von monatlichen Aufwendungen für KdU auf Grundlage einer Auswertung des Wohnungsmarkts der Stadt H, in die nur Daten über Neuvertragsmieten, nicht aber über Bestandsmieten eingeflossen waren (Bescheide vom 7.5.2010, 18.8.2010, 18.10.2010, Teilabhilfebescheid vom 18.3.2011, Bescheid vom 10.5.2011, Widerspruchsbescheid vom 17.5.2011). Das Sozialgericht (SG) Hildesheim hat den Beklagten verurteilt, höhere KdU-Leistungen (insgesamt 723,53 Euro) zu erbringen (Urteil vom 18.3.2013). Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten ist zum Teil erfolgreich gewesen. Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat den Beklagten zur Zahlung weiterer KdU-Leistungen in Höhe von 508,30 Euro verurteilt (Urteil vom 24.5.2018, Tenorberichtigungsbeschluss vom 25.6.2018). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, das Konzept des Beklagten zur Bestimmung der Angemessenheit der KdU entspreche nicht den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen des sog schlüssigen Konzepts, da ein solches regelmäßig nicht allein auf Daten nur über Neuvertragsmieten beruhen könne, sondern auch Bestandsmieten einbeziehen müsse. Der Wohnungsmarkt im maßgeblichen Vergleichsraum werde nicht realitätsgerecht abgebildet.
Dagegen wendet sich der Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde und macht den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) geltend, zu dem er zwei Fragen aufwirft. Grundsätzlich bedeutsam sei zum einen, ob ein Grundsicherungsträger die Angemessenheit von Unterkunftskosten iS von § 35 Abs 2 SGB XII auf der Grundlage eines Konzepts bestimmen dürfe, das lediglich auf Daten von Angebotsmieten bzw von öffentlich inserierten Mietangeboten beruhe und in das nicht auch Daten zu Bestandsmieten bzw bestehenden Mietverträgen einbezogen worden seien. Zum anderen sei zu klären, ob durch die Einfügung der Regelungen in §§ 22a bis 22c Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) die Methodenfreiheit des Grundsicherungsträgers dahingehend eingeschränkt sei, dass ein schlüssiges Konzept zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten zwingend die Einbeziehung von Bestandsmieten erfordere.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht in der gebotenen Weise dargelegt worden ist. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist (vgl etwa BSG Beschluss vom 5.9.2018 - B 8 SO 33/18 B mwN). Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Beklagte zeigt zu beiden Rechtsfragen schon den (abstrakten) Klärungsbedarf nicht hinreichend auf. Er legt nicht ausreichend dar, wieso mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wonach bei der Bestimmung der (abstrakten) KdU-Angemessenheitsgrenze (sog schlüssiges Konzept) nicht nur auf die tatsächlich am Markt angebotenen Wohnungen, sondern auch auf Wohnungsmieten von bereits existierenden Mietverträgen (Bestandsmieten) abzustellen ist (BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19, RdNr 24; BSGE 104, 192 = SozR 4-4200 § 22 Nr 30, RdNr 22, vgl auch zur Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete unter Berücksichtigung von Bestands- und Neuvertragsmieten BGH Urteil vom 29.2.2012 - VIII ZR 346/10 - NJW 2012, 1351, juris RdNr 31), noch Klärungsbedarf bestehen soll. Ist eine Frage bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden, ist sie grundsätzlich nicht mehr klärungsbedürftig (vgl zB BSG Beschluss vom 31.1.2018 - B 8 SO 79/17 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 5.9.2018 - B 8 SO 33/18 B - juris RdNr 5). Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann wieder klärungsbedürftig werden, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (BSG Beschluss vom 5.9.2018 - B 8 SO 33/18 B - juris RdNr 5; BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 S 19 mwN), was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist (vgl zum Ganzen auch BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - juris RdNr 7). Daran fehlt es.
Der Beklage legt nicht dar, dass der bezeichneten Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird. Er beschränkt sich insoweit darauf, die "Repräsentativität der Daten" in Frage zu stellen und unter Darlegung seiner eigenen Rechtsauffassung die Rechtsprechung des BSG zu kritisieren. Damit zeigt er aber nicht auf, dass der höchstrichterlichen Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wurde, sondern greift nur die Richtigkeit der Entscheidung des LSG an. Dies vermag indes die Revisionsinstanz nicht zu eröffnen. Denn Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat.
Entsprechendes gilt für die zweite vom Beklagten aufgeworfene Frage. Nach der Rechtsprechung des BSG besteht Methodenfreiheit für den Grundsicherungsträger nur innerhalb der für schlüssige Konzepte aufgestellten Grundsätze (vgl BSG Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 9/14 R - BSGE 117, 250 = SozR 4-4200 § 22 Nr 81). Soweit der Beklagte die Frage aufwirft, ob durch die Einführung der Regelungen in §§ 22a bis 22c SGB II die Methodenfreiheit des Grundsicherungsträgers eingeschränkt worden sei, fehlt eine hinreichende Auseinandersetzung mit Wortlaut, Normsystematik und Regelungszweck der genannten Neuregelungen. Dies wäre schon im Hinblick darauf erforderlich gewesen, dass mit der Regelung des § 22c Abs 1 Satz 3 SGB II, der zu den Anforderungen an die Datengrundlage bestimmt, dass in die Auswertung sowohl Neuvertrags- als auch Bestandsmieten einfließen sollen, die Rechtsprechung des BSG zu § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II aufgegriffen wurde (vgl BSG Urteil vom 4.6.2014 - B 14 AS 53/13 R - BSGE 116, 94, 100 f = SozR 4-4200 § 22a Nr 2 RdNr 26 f; BSG Urteil vom 16.6.2015 - B 4 AS 44/14 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 85 RdNr 22 mwN) und insoweit den bereits vor ihrem Inkrafttreten mWv 1.4.2011 (BGBl I 453) von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze im Rahmen eines schlüssigen Konzepts entspricht (vgl BVerfG Beschluss vom 6.10.2017 - 1 BvL 2/15, 1 BvL 5/15 = juris RdNr 17; BSG Urteil vom 12.12.2017 - B 4 AS 33/16 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 93 RdNr 17).
Soweit schließlich Fragen zum Begriff "Bestandsmiete" aufgeworfen werden und das Fehlen einer Definition in der Entscheidung des LSG, aber auch in den gesetzlichen Regelungen moniert wird, wird nicht deutlich, inwieweit diese Fragen klärungsfähig sein könnten, weil auch der Beklagte im Zusammenhang mit den übrigen von ihm aufgeworfenen Fragen (dazu oben) einräumt, Bestandsmieten nicht herangezogen zu haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14048068 |