Verfahrensgang
SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 04.02.2022; Aktenzeichen S 9 KG 2250/21) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 26.09.2022; Aktenzeichen L 9 KG 494/22) |
Tenor
Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. September 2022 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt A aus W zu bewilligen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im oben bezeichneten Urteil wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die 1976 geborene Klägerin begehrt als volljährige Vollwaise ab April 2021 die Zahlung von sozialrechtlichem Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG). Bei ihr ist ein Grad der Behinderung von 80 anerkannt, und sie bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung von der Deutschen Rentenversicherung Bund. Für die Zeit von August 2010 bis Mai 2021 erhielt der im März 2021 verstorbene Vater der Klägerin steuerrechtliches Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG). Den Kindergeldanspruch der Klägerin hat das LSG - wie zuvor bereits das SG (Gerichtsbescheid vom 4.2.2022) und die Beklagte (Bescheid vom 1.6.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.6.2021) - verneint, weil für die Klägerin ein Anspruch auf Kindergeld nach dem BKGG über die Vollendung des 27. Lebensjahres hinaus nicht bestehe. Der hiervon zu unterscheidende Anspruch des Vaters auf Kindergeld nach dem EStG habe mit dessen Tod geendet. Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von behinderten Vollwaisen bei der Kindergeldgewährung bestehe nicht (Urteil vom 26.9.2022).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin mit einem von ihr persönlich unterzeichneten Schreiben vom 8.10.2022 Beschwerde eingelegt und für deren Durchführung Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwalt A aus W beantragt.
II
1. Der Antrag der Klägerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) ist abzulehnen.
Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für ein Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Dies ist hier nicht der Fall.
Gemäß § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Ein solcher Zulassungsgrund ist nach der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung des Streitstoffs unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin in dem von ihr eingereichten Schreiben nicht zu erkennen.
Eine grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) der Rechtssache liegt nicht vor. Rechtsfragen, die allgemeine, über den Einzelfall der Klägerin hinausgehende Bedeutung besitzen, sodass von der angestrebten Entscheidung der Rechtssache im Revisionsverfahren erwartet werden kann, dass sie in einer bisher nicht geschehenen, jedoch das Interesse der Allgemeinheit berührenden Weise die Rechtseinheit herstellen, wahren oder sichern oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird, sind nicht ersichtlich (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 18.2.2020 - B 10 KG 1/20 B - juris RdNr 6 mwN).
Vielmehr ist in § 1 Abs 2 Satz 3 BKGG für das von der Klägerin für sich begehrte sozialrechtliche Kindergeld ausdrücklich bestimmt, dass im Fall des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 3 BKGG bei Kindern mit einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung, die dazu führt, dass sich der behinderte Mensch nicht selbst zu unterhalten vermag und die nicht bei einer anderen Person als Kind zu berücksichtigen sind, das Kindergeld längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres gewährt wird. Abweichend von dieser Regelung bestimmt die Übergangsvorschrift in § 20 Abs 8 Satz 2 BKGG eine Altershöchstgrenze von 27 Lebensjahren, wenn die Behinderung vor dem 1.1.2007 in der Zeit ab der Vollendung des 25. Lebensjahres und vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten ist. Beide Altersgrenzen werden von der 1976 geborenen Klägerin weit überschritten.
Das BSG hat bereits entschieden, dass ein alleinstehendes behindertes Kind nach Vollendung des 27. Lebensjahres keinen Anspruch auf sozialrechtliches Kindergeld für sich selbst mehr hat (BSG Urteil vom 19.2.2009 - B 10 KG 2/07 R - SozR 4-5870 § 1 Nr 2 RdNr 18). Vom sozialrechtlichen Kindergeld nach dem BKGG ist - worauf das LSG im angefochtenen Urteil zu Recht hingewiesen hat - das steuerrechtliche Kindergeld nach dem EStG zu unterscheiden. Dies wird ua Eltern nach § 32 Abs 4 Satz 1 Nr 3 EStG für Kinder gewährt, die wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande sind, sich selbst zu unterhalten, wenn die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist. Eine Altersgrenze besteht hier nicht, sodass ein Leistungsbezug der Eltern bis zum Lebensende der Kinder möglich ist. Dass diese Ungleichbehandlung hinsichtlich der zeitlichen Begrenzung der Kindergeldbezugsdauer verfassungsgemäß ist, ist aber bereits geklärt. Ausgehend von der unterschiedlichen Zweckbestimmung von sozialrechtlichem Kindergeld für alleinstehende behinderte Kinder einerseits und steuerrechtlichem Kindergeld für Eltern von behinderten Kindern andererseits hat das BSG im vorgenannten Urteil (aaO RdNr 23 ff) ausgeführt, dass auch im Hinblick auf den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers im sozialen Kindergeldrecht weder ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG noch gegen den verfassungsrechtlichen Schutzauftrag des Art 6 Abs 1 GG darin zu sehen ist, dass behinderte Vollwaisen zeitlich beschränkt bis zum 27. Lebensjahr sozialrechtliches Kindergeld für sich selbst beanspruchen können, und Eltern für behinderte Kinder, die außerstande sind, sich selbst zu unterhalten, steuerrechtliches Kindergeld ohne Altersgrenze erhalten.
Des Weiteren ist auch nicht erkennbar, dass der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) vorliegt. Das LSG hat sich in seiner Entscheidung ausdrücklich auf die vorgenannte Rechtsprechung des BSG bezogen.
Ebenso wenig lässt sich ein Verfahrensmangel feststellen, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Das LSG konnte in der mündlichen Verhandlung vom 26.9.2022 durch den Berichterstatter zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern gemäß § 153 Abs 5 SGG entscheiden, nachdem das Gericht nach Anhörung der Beteiligten die Sache mit Beschluss vom 13.7.2022 dem Berichterstatter übertragen hatte. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerin (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) ist ebenfalls nicht ersichtlich. Ausweislich der Sitzungsniederschrift war sie in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG anwesend und hatte damit Gelegenheit ihre Sichtweise auch mündlich vorzutragen. Allein der Umstand, dass das LSG ihrer Auffassung nicht gefolgt ist, begründet keinen Gehörsverstoß. Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet nur, dass die Klägerin "gehört", nicht jedoch "erhört" wird (vgl stRspr, zB BSG Beschluss vom 20.10.2022 - B 10 ÜG 5/21 B - juris RdNr 15 mwN).
Da der Klägerin keine PKH zusteht, kann sie auch nicht die Beiordnung von Rechtsanwalt A beanspruchen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
2. Die von der Klägerin persönlich eingelegte Beschwerde entspricht mangels Vertretung durch einen beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 Satz 1 SGG) nicht der gesetzlichen Form und ist deshalb unzulässig.
3. Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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Ch. Mecke |
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Othmer |
Fundstellen
Dokument-Index HI15670357 |