Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialgerichtliches Verfahren. Zurückweisung der Berufung durch Beschluss. Anhörung der Beteiligten. Verwendung des Begriffs Gerichtsbescheid statt Beschluss
Orientierungssatz
In der fälschlichen Verwendung des Begriffes "Gerichtsbescheid" statt "Beschluss" im Anhörungsschreiben an die Beteiligten nach § 153 Abs 4 S 2 SGG liegt kein Fehler von solchem Gewicht, dass die gesetzliche Funktion der Anhörung damit verfehlt worden wäre.
Normenkette
SGG § 153 Abs. 4 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Förderung einer Ausbildung der Klägerin zur Tanztherapeutin (integraler/heilpädagogischer Tanz) streitig.
Den am 22. Dezember 1999 gestellten Antrag der Klägerin lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 13. Juli 2000, Widerspruchsbescheid vom 21. August 2000). Das Sozialgericht (SG) München hat die Klage mit Urteil vom 28. März 2003 mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin sei für den von ihr angestrebten Beruf nicht geeignet. Nach Anhörung der Beteiligten mit Schreiben vom 21. Juni 2006 hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) die Berufung der Klägerin durch Beschluss vom 4. Oktober 2006 mit der Begründung zurückgewiesen, ein Förderungsanspruch der Klägerin sei weder nach den allgemeinen Vorschriften der Förderung der Berufsausbildung und der beruflichen Weiterbildung noch als Leistung zur Förderung der beruflichen Eingliederung behinderter Menschen begründet.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im oben genannten Beschluss des LSG macht die Klägerin einen Verfahrensfehler geltend. Sie sei zum Beschlussverfahren gemäß § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht ordnungsgemäß angehört worden. Der im Schreiben des LSG vom 21. Juni 2006, mit dem ein Gerichtsbescheid angekündigt worden sei, ersetze - unabhängig davon, ob § 105 SGG im Berufungsverfahren zur Anwendung komme - die nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG geforderte Anhörungsmitteilung nicht, weil die Verfahrensabschlüsse (Gerichtsbescheid; Beschluss ohne mündliche Verhandlung) völlig verschieden seien. Bei ordnungsgemäßer Anhörung hätte die Klägerin auf eine Beweisaufnahme nach § 103 SGG gedrängt und einen förmlichen Beweisantrag, ggf einen Antrag nach § 109 SGG, gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unbegründet. Der als Zulassungsgrund geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor.
Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Die Klägerin macht geltend, das LSG habe § 153 Abs 4 SGG verletzt. Nach Satz 1 dieser Vorschrift kann das LSG, außer in den Fällen des § 105 Abs 2 Satz 1 SGG, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG sind die Beteiligten vorher zu hören.
Das LSG hat das gebotene Anhörungsschreiben an die Beteiligten vom 21. Juni 2006 wie folgt gefasst:
"Es wird mitgeteilt, dass der Erlass eines Gerichtsbescheides beabsichtigt ist, in dem die Berufung zurückgewiesen wird".
Damit ist den gesetzlichen Anforderungen Genüge getan. Die Anhörung kann auch durch den Berichterstatter und vor der Meinungsbildung im Berufungssenat geschehen ( vgl BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 8 und 14 ). Darin, dass das LSG den Begriff "Gerichtsbescheid" statt "Beschluss" verwendet hat, liegt kein Fehler von solchem Gewicht, dass die gesetzliche Funktion der Anhörung damit verfehlt worden wäre ( vgl zu den gestellten Anforderungen Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl, § 153 RdNr 19 f ). Wesentlich ist nämlich, dass der Beteiligte erfährt, dass das LSG die Berufung für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halten könnte. Bei rechtskundig vertretenen Beteiligten - wie hier der Klägerin - hätte bereits ein förmlicher Hinweis auf das Verfahren nach § 153 Abs 4 SGG genügt ( vgl aaO RdNr 19 mwN ). Darüber ist das Berufungsgericht jedoch hinausgegangen und hat - entgegen der insoweit falschen Angabe in der Beschwerdebegründung - auf seine Absicht hingewiesen, zu Ungunsten der Klägerin zu entscheiden. Anders als von ihr ausgeführt, konnte die Klägerin also nicht mit einer obsiegenden Entscheidung rechnen, womit auch die Grundlage ihrer weiteren Argumentation entfällt, "bei gehöriger Anhörung" hätte sie erneut Stellung genommen und Anträge gestellt.
Demgegenüber ist die unrichtige Verwendung des Begriffs "Gerichtsbescheids" im Anhörungsschreiben rechtlich unbeachtlich. § 153 SGG schließt eine Anwendung des § 105 SGG im Verfahren vor dem LSG ausdrücklich aus (Abs 1) und eröffnet statt dessen das Beschlussverfahren nach Abs 4 ( vgl auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 105 RdNr 4 ). Diese klare gesetzliche Regelung ist für den rechtskundig Vertretenen - wie in der Beschwerdebegründung angedeutet - auch offensichtlich erkennbar; trotz der Falschbezeichnung konnte die Klägerin dem Anhörungsschreiben mithin eindeutig entnehmen, das LSG beabsichtige, der Berufung ohne mündliche Verhandlung nicht stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen