Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 1. Februar 2023 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist eine Rente wegen Erwerbsminderung.
Die Beklagte lehnte nach Einholung ärztlicher Berichte den im Februar 2016 gestellten Antrag des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung unter Hinweis auf ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten mit weiteren Funktionseinschränkungen ab (Bescheid vom 24.6.2016). Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11.1.2017).
Das SG hat Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte, ein orthopädisch-chirurgisches Sachverständigengutachten, zwei Entlassungsberichte über stationäre Rehabilitationen vom 23.10.2019 und 6.7.2020 sowie einen Kurzarztbrief über eine stationäre Behandlung vom 31.8.2020 eingeholt. Mit Urteil vom 15.7.2021 hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das LSG am 8.9.2022 einen Erörterungstermin durchgeführt und mit Beschluss vom 1.2.2023 die Berufung zurückgewiesen. Das SG habe die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger sei im maßgebenden Zeitraum nicht erwerbsgemindert gewesen. Weitere Ermittlungen seien vor dem Hintergrund, dass die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmalig bei einem bis zum 31.12.2019 eingetretenen Leistungsfall erfüllt gewesen wären, nicht zielführend gewesen. Aus dem vom SG eingeholten Gutachten und dem Entlassungsbericht vom 23.10.2019 ergebe sich überzeugend, dass der Kläger noch über ein vollschichtiges Leistungsvermögen verfügt habe.
Der Kläger hat gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG Beschwerde zum BSG eingelegt. Er macht Verfahrensmängel geltend.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Der Kläger hat einen Verfahrensmangel nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils bzw des Beschlusses besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dem entspricht die Beschwerdebegründung nicht.
a) Der Kläger hat eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) nicht hinreichend dargetan. Er bezieht sich auf Rechtsprechung des Senats, wonach für den Fall, dass ein Beteiligter eine Verlängerung der Erklärungsfrist zur Ergänzung seines Vortrags beantragt, das Gericht vor der Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 SGG über den Verlängerungsantrag zu entscheiden hat (vgl BSG Beschluss vom 15.12.2016 - B 5 R 238/16 B - juris). Das LSG habe hiergegen verstoßen, weil es vor seiner Beschlussfassung nicht über seinen im Schriftsatz vom 20.12.2022 gestellten "Terminsverlängerungsantrag" entschieden habe, das Ergebnis einer ärztlichen Konsultation am 13.1.2023 abzuwarten. Der Kläger führt insofern zutreffend aus, dass ein Gericht grundsätzlich vor seiner Entscheidung in der Sache über einen Antrag auf Verlängerung einer Anhörungsfrist zu entscheiden hat. Er setzt sich allerdings nicht mit der Möglichkeit einer stillschweigenden Fristverlängerung auseinander (vgl BSG Beschluss vom 3.1.2022 - B 1 KR 16/21 B - juris RdNr 10 mwN). In Anbetracht des Umstandes, dass das LSG den vom Kläger genannten Untersuchungstermin am 13.1.2023 tatsächlich abgewartet und erst 19 Tage später in der Sache entschieden hat, hätte es zudem näherer Darlegungen dazu bedurft, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf der behaupteten Verletzung rechtlichen Gehörs beruhen kann (vgl BSG Beschluss vom 15.12.2016 - B 5 R 238/16 B - juris RdNr 11 mwN). Dass dem Kläger bei dieser Sachlage eine Anhörung gänzlich abgeschnitten worden wäre, ist nicht nachvollziehbar.
b) Einen Verfahrensmangel legt der Kläger auch mit seinem Vortrag nicht hinreichend dar, das LSG hätte in seinem Fall nicht gemäß § 153 Abs 4 Satz 1 SGG über die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden dürfen.
Das LSG "kann" die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs 4 Satz 1 SGG). Der Kläger geht zu Recht davon aus, dass § 153 Abs 4 Satz 1 SGG dem LSG ein Ermessen einräumt, ob es ohne mündliche Verhandlung im Beschlusswege oder aufgrund einer mündlichen Verhandlung entscheidet. Diese Ermessensentscheidung kann vom BSG lediglich dahingehend geprüft werden, ob das LSG von seinem Ermessen erkennbar fehlerhaften Gebrauch gemacht hat, etwa wenn der Beurteilung sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zugrunde lagen (vgl BSG Urteil vom 2.5.2001 - B 2 U 29/00 R - SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 38 = juris RdNr 21; BSG Beschluss vom 18.04.2023 - B 5 R 16/23 B - juris RdNr 6 mwN). Entsprechende tatsächliche Umstände, aus denen sich sachfremde Erwägungen des Berufungsgerichts oder eine grobe Fehleinschätzung ergeben können, müssen zur ordnungsgemäßen Bezeichnung des Verfahrensmangels in der Beschwerdebegründung dargetan werden. Daran fehlt es.
Der Kläger rügt eine Ermessensreduktion auf Null, jedenfalls aber eine ermessensfehlerhafte Entscheidung des LSG. Aufgrund der außergewöhnlichen Bedeutung der Rechtssache für ihn hätte zwingend eine mündliche Verhandlung durchgeführt werden müssen. Zumindest sei die Entscheidung des LSG, durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 SGG zu entscheiden, aber ermessensfehlerhaft gewesen, nicht zuletzt wegen seines Antrags auf Verlängerung der Anhörungsfrist. Aus den Ausführungen ergibt sich nicht, dass das LSG mit seiner Entscheidung im vereinfachten Beschlussverfahren nach den vorgenannten Maßstäben ermessensfehlerhaft vorgegangen wäre. Hierzu hätte etwa dargelegt werden müssen, dass das Berufungsgericht, ausgehend von seiner eigenen Rechtsauffassung, die Schwierigkeit des Falles und die Bedeutung von Tatsachenfragen falsch eingeschätzt habe (vgl BSG Beschluss vom 5.6.2023 - B 5 R 26/23 B - juris RdNr 25 mwN). Dies erschließt sich aus der Beschwerdebegründung aber nicht. Der Kläger gibt insoweit lediglich seine eigene Einschätzung wieder. Besondere Umstände, die neben der regelmäßig anzunehmenden hohen wirtschaftlichen Bedeutung einer Rentenleistung die Verfahrensentscheidung des LSG als grob fehlerhaft erscheinen ließen, trägt der Kläger nicht vor. Inwiefern sein Antrag, die Sache noch nicht zu entscheiden, die Ermessensausübung des LSG fehlerhaft erscheinen lässt, erläutert der Kläger nicht näher. Aus seinem Vortrag ergibt sich im Wesentlichen, dass er mit der Verfahrensführung des LSG und einer Entscheidung im Beschlusswege nicht einverstanden ist. Seiner Zustimmung zur Entscheidung des LSG durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG ohne mündliche Verhandlung bedurfte es jedoch nicht.
c) Die Beschwerde hat auch einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (vgl § 103 SGG) nicht hinreichend substantiiert dargelegt.
Sofern ein solcher Verstoß gerügt wird, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss aufrechterhaltenen prozessordnungsgemäßen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 28.2.2023 - B 5 R 191/22 B - juris RdNr 6; Meßling in Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, Kap IX RdNr 321).
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht. Der Kläger führt aus, dass er in seinem Schreiben vom 20.12.2022 auf einen Schriftsatz vom 27.5.2022 Bezug genommen habe. In diesem Schriftsatz habe er einen ausdrücklichen Beweisantrag auf Einholung eines (ergänzenden) Sachverständigengutachtens gestellt, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sei. Es fehlt bereits an der nach ständiger Rechtsprechung des BSG geforderten Darlegung, dass ein anwaltlich vertretener Beteiligter einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LSG gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 22.6.2021 - B 13 R 29/21 B - juris RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 10.3.2022 - B 5 R 5/22 B - juris RdNr 6). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn - wie hier - das LSG von der ihm durch § 153 Abs 4 SGG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen. Der in einem solchen Fall den Beteiligten zugestellten Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 SGG muss jedenfalls ein rechtskundig vertretener Beteiligter auch entnehmen, dass das Berufungsgericht keine weitere Sachaufklärung mehr beabsichtigt und dass es etwaige schriftsätzlich gestellte Beweisanträge lediglich als Beweisanregungen, nicht aber als förmliche Beweisanträge iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ansieht. Nach Zugang der Anhörungsmitteilung muss daher der Beteiligte, der schriftsätzlich gestellte Beweisanträge aufrechterhalten oder neue Beweisanträge stellen will, dem LSG ausdrücklich die Aufrechterhaltung dieser Anträge mitteilen oder neue förmliche Beweisanträge stellen (vgl BSG Beschluss vom 7.2.2017 - B 13 R 389/16 B - juris RdNr 9 mwN; BSG Beschluss vom 9.3.2016 - B 1 KR 6/16 B - juris RdNr 5). Die Beschwerdebegründung des Klägers lässt nicht erkennen, dass dies geschehen wäre. Er bezieht sich lediglich auf frühere Beweisantritte, was nicht ausreicht (vgl BSG Beschluss vom 24.5.1993 - 9 BV 26/93 - SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 21).
Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15912588 |