Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit. Revision. Divergenz. Unfallversicherungsschutz. arbeitnehmerähnliche Tätigkeit. Gefälligkeitshandlung. verwandtschaftliche Beziehung
Orientierungssatz
Ist dem Berufungsurteil der behauptete abstrakte Rechtssatz, daß unabhängig von den gesamten Umständen des Einzelfalles stets "trotz enger verwandtschaftlicher Beziehung und kurzer Dauer der Verrichtung eine unversicherte Gefälligkeitsleistung wegen der Gefährlichkeit oder wegen erheblicher Gefährlichkeit der Tätigkeit ausscheide", nicht zu entnehmen so liegt keine Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG vor.
Normenkette
SGG § 160 Abs 2 Nr 2; RVO § 539 Abs 2; RVO § 539 Abs 1 Nr 1
Verfahrensgang
Gründe
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, wer den am 31. Oktober 1988 erlittenen Unfall des Verletzten G. K. , den er beim Auswechseln von 10 bis 15 Dachziegeln auf dem Dach des Wohnhauses im landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern erlitt, zu entschädigen hat. Das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) stellten fest, daß der Beklagte der hierfür zuständige Versicherungsträger sei (Urteile vom 5. Februar 1991 und vom 10. März 1993). Das LSG ist zu dem Ergebnis gelangt, der Verletzte habe einen Arbeitsunfall nach § 548 Abs 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) erlitten. Er habe nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Satz 1 RVO unter Versicherungsschutz gestanden. Eine den Versicherungsschutz ausschließende Gefälligkeitshandlung unter Verwandten liege nicht vor. Der Beklagte sei gemäß § 657 Abs 1 Nr 7 RVO zuständiger Versicherungsträger.
Mit seiner hiergegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde macht der Beklagte geltend, das Urteil des LSG weiche von Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) ab (§ 160 Abs 2 Nr 2 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>). Außerdem habe die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Die Beschwerde ist unzulässig. Die dazu gegebene Begründung entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 SGG festgelegten Form. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG erfordern diese Vorschriften, daß die Zulassungsgründe schlüssig dargetan werden (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 34, 47 und 58; vgl auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 1991, IX, RdNrn 177 und 179 mwN). Daran fehlt es der Beschwerde.
Eine Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist nur dann ausreichend begründet, wenn erklärt wird, mit welchem genau bestimmten entscheidungserheblichen Rechtssatz das angegriffene Urteil des LSG von welcher genau bestimmten rechtlichen Aussage des BSG oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) abweicht (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 21, 29 und 54). Zur Bezeichnung einer solchen Divergenz ist kenntlich zu machen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine Abweichung vorliegt, welche Rechtsfrage das LSG anders als das BSG oder der GmSOGB entschieden hat (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 21 und 29), weshalb die rechtliche Aussage des LSG und die des BSG unvereinbar sind. Dazu reicht es nicht aus, daß die Unrichtigkeit der Entscheidung betreffend den Einzelfall dargetan wird; entscheidend ist vielmehr die Darlegung der Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen, in der abstrakten Aussage (Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 196). Diese Voraussetzungen hat der Beschwerdeführer nicht dargetan iS des § 160 Abs 2 Satz 3 SGG.
Der Beschwerdeführer meint, nach der Rechtsauffassung des LSG seien die von der Rechtsprechung des BSG zum Versicherungsschutz bei unentgeltlicher Mitarbeit von nahen Angehörigen aufgestellten Grundsätze dann nicht anwendbar, "wenn die von einem Verwandten für einen Verwandten verrichtete Tätigkeit gefährlich oder erheblich gefährlich sei". Damit wende sich das LSG von der Rechtsprechung des BSG ab und stehe im Widerspruch insbesondere zu den Urteilen des BSG vom 31. März 1981 - 2 RU 91/79 -, vom 24. Januar 1992 - 2 RU 71/90 -, vom 8. Mai 1980 - 8a RU 38/79 - und vom 20. April 1993 - 2 RU 38/92 -. Die hierzu vom Beschwerdeführer gegebene ausführliche Begründung reicht für die Schlüssigkeit einer auf Divergenz gestützten Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nicht aus. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist dem Berufungsurteil nicht der Rechtssatz zu entnehmen, daß unabhängig von den gesamten Umständen des Einzelfalles stets "trotz enger verwandtschaftlicher Beziehung und kurzer Dauer der Verrichtung eine unversicherte Gefälligkeitsleistung wegen der Gefährlichkeit oder wegen erheblicher Gefährlichkeit der Tätigkeit ausscheide". Das LSG hat vielmehr zunächst gestützt auf die Rechtsprechung des BSG ausgeführt, daß bei Gefälligkeitsleistungen unter Verwandten der Versicherungsschutz dann entfalle, wenn die Verrichtung nach Art, Umfang und Zeitdauer ihr Gepräge von den familiären Bindungen erhalte. Versichert sei aber auch eine Tätigkeit unter Verwandten, wenn es sich hierbei um eine ernstliche Tätigkeit handele, die über das hinausgehe, was sich allgemein aus verwandtschaftlichen Beziehungen ergebe, und die normalerweise von abhängig Beschäftigten erbracht werde. Je enger die Gemeinschaft, desto größer sei der Rahmen, innerhalb dessen bestimmte Verrichtungen hierdurch ihr Gepräge erhielten. Dabei seien aber die gesamten Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu beachten, insbesondere Art, Umfang und Zeitdauer der verrichteten Tätigkeit sowie die Stärke der tatsächlichen verwandtschaftlichen Beziehungen.
Hiervon ausgehend hat das LSG unter Beachtung der gesamten Umstände des vorliegenden Einzelfalls (§ 163 Abs 1 SGG) eine enge familiäre Beziehung bejaht, die über den abstrakten verwandtschaftlichen Grad (Vater - Sohn) hinaus intensiv sei, da der Sohn - der nach den Angaben des Beschwerdeführers nicht auf dem landwirtschaftlichen Anwesen seiner Eltern wohnt - jährlich unentgeltlich an etwa 150 Tagen in der Landwirtschaft des Vaters nebenberuflich mitarbeitet. Diese Mitarbeit in der Landwirtschaft gehe, so weiter das LSG, weit über das hinaus, was unter Verwandten normalerweise üblich sei. Den Rahmen dessen, was aufgrund der engen Verwandtschaftsverhältnisse vom Verletzten als Gefälligkeit erwartet werden könne, überschreite auch die Tätigkeit, bei der dieser seinen Unfall erlitten habe. Unter Berücksichtigung der auch vom BSG als wesentlich angesehenen Art der zum Unfall führenden Verrichtung hat das LSG dabei auch deren Gefährlichkeit beachtet. Selbst wenn es bei dem Abwägen aller Umstände der mit der Arbeit verbundenen Gefahr eine - nach Auffassung des Beschwerdeführers - unzutreffende Bedeutung beigemessen hätte, würde eine darauf beruhende unrichtige Entscheidung des vorliegenden Einzelfalles keine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG begründen, denn es fehlt an dem in der Beschwerdebegründung behaupteten abstrakten Rechtssatz im Urteil des LSG.
Nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. In der Beschwerdebegründung muß nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt werden. Die grundsätzliche Bedeutung ist gegeben, wenn zu erwarten ist, daß die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. Es muß eine klärungsbedürftige Rechtsfrage aufgeworfen sein, welche bisher revisionsgerichtlich noch nicht - ausreichend - geklärt ist (siehe ua BSG SozR 1500 § 160 Nr 17). Demgemäß muß der Beschwerdeführer darlegen, in welchem Rahmen es noch erforderlich sei, die von der Rechtsprechung bereits herausgearbeiteten Rechtsgrundsätze noch weiter auszugestalten, erweitern oder zu ändern. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Rechtsprechung des BSG hat schon seit vielen Jahren und in zahlreichen Entscheidungen Kriterien herausgearbeitet, wann bei Gefälligkeitshandlungen, die unter Verwandten vorgenommen werden und von familiären Beziehungen zwischen Angehörigen geprägt sind, Unfallversicherungsschutz besteht. Hierzu hat der Senat zuletzt in seinem Urteil vom 20. April 1993 - 2 RU 38/92 - (HV-Info 1993, 1656) nochmals eingehend Stellung genommen und seine ständige Rechtsprechung fortgesetzt, daß im Rahmen des § 539 Abs 2 RVO die familienhafte Prägung einer (auch möglicherweise objektiv schweren) Tätigkeit um so eher zu bejahen sein wird, je enger die tatsächlichen Beziehungen und die familienrechtlichen Verwandtschaftsverhältnisse zwischen den Beteiligten sind. Dabei hat der Senat nochmals klargestellt, daß dabei die gesamten Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu beachten sind, insbesondere Art, Umfang und Zeitdauer der verrichteten Tätigkeiten sowie die Stärke der verwandtschaftlichen Beziehungen.
Aus dem gesamten Inhalt der Beschwerdebegründung wird deutlich, daß der Beschwerdeführer der Ansicht ist, das LSG habe in der Sache falsch entschieden. Damit allein wird jedoch ein Grund für die Zulassung der Revision nicht formgerecht bezeichnet (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7). Wie im übrigen die Beschwerdegegnerin zutreffend hinweist, hat die Rechtsprechung zum Unfallversicherungsschutz bei der Mithilfe unter Verwandten Grundsätze herausgearbeitet; eine "Universallösung" im Rahmen des § 539 Abs 2 RVO müßte in Anbetracht der Vielgestaltigkeit der Lebenssachverhalte erfolglos bleiben. Daher sind - wie auch vom LSG zutreffend erkannt - die gesamten Umstände des jeweiligen Einzelfalls maßgebend. Die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 1 Nr 1 SGG dient nicht dazu, alle Einzelfallgestaltungen und darauf beruhende Entscheidungen der Berufungsgerichte einer auf den jeweiligen Einzelfall bezogenen höchstrichterlichen Entscheidung zuzuführen.
Die Beschwerde war daher als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen