Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsarztrecht. Honorarkürzung wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise bei der Leistung nach Nr. 5 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä – Inanspruchnahme außerhalb der Sprechzeiten, vor 08 und nach 20 Uhr). Statistische Wirtschaftlichkeitsprüfung auch bei Ansatz der Nr. 5 EBM-Ä. Voraussetzungen für eine Pflicht zur Bildung von engeren Vergleichsgruppen. Abrechenbarkeit der Nr. 5 EBM-Ä
Orientierungssatz
1. Auch wenn die Ausgangsbedingungen innerhalb einer Vergleichsgruppe hinsichtlich der Erbringung einer Gebühren-Nr (hier: Nr 5) sehr unterschiedlich sind, kann nicht gefolgert werden, dass sich diese für eine statistische Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht eignet. Vielmehr ist entsprechend dem hohen Rang des Wirtschaftlichkeitsgebots (dazu zB BSG vom 9.6.1999 - B 6 KA 21/98 R = BSGE 84, 85, 87 = SozR 3-2500 § 106 Nr 47) möglichst immer eine Wirtschaftlichkeitsprüfung zu ermöglichen, und zwar, solange die statistische Vergleichsprüfung die Regelprüfmethode war, durch Herstellung der Vergleichbarkeit als Basis für eine statistische Prüfung.
2. Eine Pflicht zur Bildung einer engeren Vergleichsgruppe besteht dann, wenn ein erheblich unterschiedliches individuelles Abrechnungsverhalten in der Vergleichsgruppe nur noch rein rechnerisch zu einem statistisch-mathematischen (vgl BSG vom 27.4.2005 - B 6 KA 39/04 R). Mittelwert führt, der aber in der Realität von kaum einem Arzt oder innerhalb größerer Gruppen nur von einzelnen, für die Gesamtgruppe deshalb nicht repräsentativen Ärzten abgerechnet worden ist.
3. Die Nr 5 EBM-Ä ist dann abrechenbar, wenn bei kritischer Prüfung der ernstliche Eindruck eines wichtigen Anlasses für eine Untersuchung oder Behandlung zu ungewöhnlicher Zeit bestand, nicht aber, dass - weitergehend - die Voraussetzungen eines Notfalls im engeren Sinne vorgelegen haben müssten.
4. Die für die Abrechenbarkeit der Nr 5 EBM-Ä erforderlichen Voraussetzungen können sich immer dann ergeben, wenn der Arzt erreichbar ist und erreicht wird und er bei kritischer Prüfung den ernstlichen Eindruck eines wichtigen Anlasses für eine Untersuchung oder Behandlung zu ungewöhnlicher Zeit haben darf. Dies kann sich schon bei gelegentlicher Erreichbarkeit außerhalb der Sprechstunden ergeben. Unerheblich ist, ob der Arzt ständig erreichbar war bzw ist.
Normenkette
SGB 5 § 87 Abs. 2, § 106 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; EBM-Ä Nr. 5
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 03.11.2004; Aktenzeichen L 4 KA 24/02) |
SG Kiel (Urteil vom 28.05.2002; Aktenzeichen S 16 KA 71/01) |
Tatbestand
Die Klägerin, eine aus drei Ärzten für Allgemeinmedizin bestehende Gemeinschaftspraxis, wendet sich gegen eine Honorarkürzung wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise bei der Leistung nach Nr 5 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä).
Die Klägerin lag mit ihren Quartalsabrechnungen der Nr 5 EBM-Ä (Inanspruchnahme außerhalb der Sprechzeiten, vor 8 und nach 20 Uhr) in den Quartalen II/1996 bis I/2000 - nur insoweit besteht noch Streit - über dem Fachgruppendurchschnitt. Sie ist hinsichtlich der Nr 5 EBM-Ä mit Widerspruch, Klage und Berufung erfolglos geblieben. Im Urteil des Landessozialgerichts (LSG) ist ausgeführt, die Durchführung einer statistischen Vergleichsprüfung sei nicht zu beanstanden. Eine engere Vergleichsgruppe habe nicht gebildet werden müssen. Die Durchführung eines Einzelleistungsvergleichs bezogen auf Nr 5 EBM-Ä sei rechtens, weil diese Leistung für die gebildete Vergleichsgruppe typisch sei und von einem größeren Teil der Fachgruppe regelmäßig in nennenswerter Zahl erbracht werde. Eine Herausrechnung weiterer Fälle - wie zB solcher, in denen Nr 2 und 5 EBM-Ä anfielen oder in denen Nr 5 EBM-Ä zweimal anfalle - sei nicht erforderlich. Auch eine Verfeinerung durch Unterscheidung nach eher ländlich oder städtisch strukturierten Gebieten sei nicht veranlasst. Weder Praxisbesonderheiten noch kompensierende Einsparungen seien ersichtlich. Zwar sei bei Einzelleistungsvergleichen der Grenzwert für die Annahme eines offensichtlichen Missverhältnisses regelmäßig höher anzusetzen. Die Grenzziehung bei dem zweifachen modifizierten Fachgruppendurchschnitt (2 D MOD) sei aber nicht zu beanstanden. Diesem Maßstab könne nicht die große Streubreite innerhalb der Fachgruppe bei der Abrechnung der Nr 5 EBM-Ä entgegengehalten werden.
Die Klägerin macht mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Verfahrensmängel geltend.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.
Ihr Vorbringen, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), entspricht zwar den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Ihre Beschwerde ist mithin zulässig. Sie ist aber unbegründet, denn nicht alle Erfordernisse für die Revisionszulassung sind erfüllt. Diese setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BVerfG ≪Kammer≫, SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14; s auch BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 19 S 34 f; Nr 30 S 57 f mwN). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, falls sich die Antwort auf die Rechtsfrage ohne weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt, und ebenso dann, wenn zwar keine klare normative Regelung dieses Falles und auch noch keine Rechtsprechung zu dieser Konstellation, aber Rechtsprechung bereits zu Teilaspekten vorliegt und sich hieraus ohne weiteres die Beantwortung der Rechtsfrage ableiten lässt (zur Verneinung der Klärungsbedürftigkeit im Falle klarer Antwort siehe zB BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; vgl auch BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl zB BVerfG ≪Kammer≫, Beschluss vom 29. Mai 2001 - 1 BvR 791/01 -, und früher schon BVerfG ≪Kammer≫, SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f; Nr 7 S 14; s auch BVerfG ≪Kammer≫, DVBl 1995, 35).
Die Klägerin hat die grundsätzliche Bedeutung folgender Rechtsfragen geltend gemacht, nämlich ob der Ansatz der Nr 5 EBM-Ä der Wirtschaftlichkeitsprüfung überhaupt zugänglich ist, ob der Ansatz der Nr 5 EBM-Ä auf Notfälle beschränkt ist,
ob Nr 5 EBM-Ä dahingehend verstanden werden kann, dass von einer ständigen Erreichbarkeit des Arztes auszugehen ist, und ob eine engere Vergleichsgruppe hätte gebildet, nämlich zwischen Stadt- und Landpraxen sowie zwischen Einzel- und Gemeinschaftspraxen hätte unterschieden werden müssen.
Diese Fragen sind nicht klärungsbedürftig, denn für ihre Beantwortung bedarf es keiner Durchführung eines Revisionsverfahrens, weil die Antworten auf sie klar sind.
Die Frage, ob der Ansatz der Nr 5 EBM-Ä überhaupt einer Wirtschaftlichkeitsprüfung zugänglich ist, ist ohne weiteres zu bejahen. Die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass eine EBM-Ä-Nr von vornherein ungeeignet für eine statistische Vergleichsprüfung sein könnte. Dies ist bei Nr 5 EBM-Ä nicht anders. Auch wenn die Ausgangsbedingungen innerhalb der Vergleichsgruppe hinsichtlich der Erbringung einer Gebühren-Nr sehr unterschiedlich sind, kann nicht gefolgert werden, dass sich diese für eine statistische Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht eignet. Vielmehr ist entsprechend dem hohen Rang des Wirtschaftlichkeitsgebots (dazu zB BSGE 84, 85, 87 = SozR 3-2500 § 106 Nr 47 S 250 f; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 RdNr 17; BSG MedR 2004, 577, 578 mwN) möglichst immer eine Wirtschaftlichkeitsprüfung zu ermöglichen, und zwar, solange die statistische Vergleichsprüfung die Regelprüfmethode war, durch Herstellung der Vergleichbarkeit als Basis für eine statistische Prüfung. Dies konnte in der Weise geschehen, dass die Unterschiede zB durch die Bildung einer engeren Vergleichsgruppe möglichst minimiert wurden. Sofern damit die Herstellung von Vergleichbarkeit nicht möglich war oder dies mit unverhältnismäßigem Aufwand - zB Heranziehen von Daten anderer KÄVen - verbunden gewesen wäre, konnten auch die Unterschiedlichkeiten belassen und dies durch einen besonders hohen Ansatz der Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis kompensiert werden.
Zur Klärung der weiteren Frage, ob der Ansatz der Nr 5 EBM-Ä auf Notfälle beschränkt ist, bedarf es ebenfalls keiner Durchführung eines Revisionsverfahrens. Die Eckpunkte der Auslegung der Nr 5 EBM-Ä sind bereits durch das Urteil vom 14. Juli 2003 (BSG GesR 2004, 144, 146 f) geklärt. Dort ist ausgeführt, dass der Leistungstatbestand der Nr 5 EBM-Ä nicht erfüllt wird durch routinemäßige Behandlungen vor 8 Uhr oder nach 20 Uhr, wenn zB Sprechstunden auch vor 8 oder nach 20 Uhr stattfinden oder Patienten für diese Zeiten einbestellt werden. Daraus ergibt sich - ohne dass es dafür der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf - im Umkehrschluss, dass Nr 5 EBM-Ä dann abrechenbar ist, wenn bei kritischer Prüfung der ernstliche Eindruck eines wichtigen Anlasses für eine Untersuchung oder Behandlung zu ungewöhnlicher Zeit bestand, nicht aber, dass - weitergehend - die Voraussetzungen eines Notfalls im engeren Sinne vorgelegen haben müssten.
Auch für die dritte Frage, ob Nr 5 EBM-Ä dahingehend verstanden werden kann, dass von einer ständigen Erreichbarkeit des Arztes auszugehen ist, fehlt die Klärungsbedürftigkeit. Auch für ihre Beantwortung bedarf es keiner Durchführung eines Revisionsverfahrens, weil die Antwort auf sie ohne weiteres klar ist. Die für die Abrechenbarkeit der Nr 5 EBM-Ä erforderlichen Voraussetzungen können sich immer dann ergeben, wenn der Arzt erreichbar ist und erreicht wird und er bei kritischer Prüfung den ernstlichen Eindruck eines wichtigen Anlasses für eine Untersuchung oder Behandlung zu ungewöhnlicher Zeit haben darf. Dies kann sich schon bei gelegentlicher Erreichbarkeit außerhalb der Sprechstunden ergeben. Unerheblich ist, ob der Arzt ständig erreichbar war bzw ist.
Eine grundsätzliche Bedeutung ergibt sich auch nicht aus der von der Klägerin aufgeworfenen Frage, ob bei der Vergleichsprüfung hinsichtlich der Nr 5 EBM-Ä eine engere Vergleichsgruppe hätte gebildet werden müssen, nämlich unterschieden zwischen Stadt- und Landpraxen und/oder zwischen Einzel- und Gemeinschaftspraxen (Beschwerdebegründung S 5 ff). Auch insoweit fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit, denn die Grundsätze sind geklärt. Die Prüfgremien haben nach der Rechtsprechung (s zuletzt BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 2 RdNr 13 ff; Nr 3 RdNr 13; Urteil vom 27. April 2005 - B 6 KA 39/04 R, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen) einen Beurteilungsspielraum bei der Entscheidung über die Bildung engerer Vergleichsgruppen. Ein Anlass zu ihrer Bildung kann aber gerade im Zusammenhang mit Einzelleistungsvergleichen bestehen, um nämlich dadurch zu einer Arztgruppe zu gelangen, die im Wesentlichen gemeinsame Tätigkeitsmerkmale und bei den betroffenen Leistungen einen vergleichbaren Bedarf aufweist (BSG, Urteil vom 27. April 2005 aaO). Eine Pflicht zur Bildung einer engeren Vergleichsgruppe besteht dann, wenn ein erheblich unterschiedliches individuelles Abrechnungsverhalten in der Vergleichsgruppe nur noch rein rechnerisch zu einem statistisch-mathematischen Mittelwert führt, der aber in der Realität von kaum einem Arzt oder innerhalb größerer Gruppen nur von einzelnen, für die Gesamtgruppe deshalb nicht repräsentativen Ärzten abgerechnet worden ist (BSG aaO). Mit diesen Ausführungen sind die grundsätzlichen Fragen geklärt. Ob diese Maßstäbe in Fällen der vorliegenden Art die Bildung einer engeren Vergleichsgruppe erfordern, ist eine Frage der konkreten Anwendung, ohne dass erkennbar wäre, inwiefern sich dabei noch eine grundsätzliche Frage zur Wirtschaftlichkeitsprüfung stellen könnte. Bei der konkreten Anwendung kommt es darauf an, ob innerhalb der hier betroffenen Gruppe der Allgemein- und praktischen Ärzte die für Nr 5 EBM-Ä errechnete durchschnittliche Abrechnungshäufigkeit nur aus dem Verhalten einiger weniger Ärzte - zB der Landgemeinschaftspraxen - resultiert oder ob auch die übrigen Allgemein- und praktischen Ärzte die Leistung nach Nr 5 EBM-Ä erbringen und abrechnen (vgl dazu BSG GesR 2004, 144, 146, wonach die Leistung nach Nr 5 EBM-Ä von den meisten Vertragsärzten erbracht wird).
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Beklagte nach den Feststellungen im Berufungsurteil als Maßstab für die Unwirtschaftlichkeit den zweifachen modifizierten Gruppendurchschnitt (2 D MOD) zu Grunde legte, womit die von der Klägerin geltend gemachte hohe Erreichbarkeit der ihr angehörenden Ärzte ausreichend berücksichtigt worden sein dürfte (zum offensichtlichen Missverhältnis schon ab Überschreitungen um 40 % s Urteile vom 23. Februar 2005 - B 6 KA 79/03 R - und vom 27. April 2005 - B 6 KA 1/04 R -).
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG abgesehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG (in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung).
Fundstellen