Verfahrensgang

SG Landshut (Entscheidung vom 30.07.2020; Aktenzeichen S 10 R 685/18)

Bayerisches LSG (Urteil vom 26.05.2023; Aktenzeichen L 13 R 425/20)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Mai 2023 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Die im Jahr 1973 geborene Klägerin begehrt eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Der beklagte Rentenversicherungsträger lehnte ihren Rentenantrag vom 2.10.2017 ab, nachdem er ein Gutachten beim Internisten und Sozialmediziner W eingeholt hatte (Bescheid vom 13.2.2018, Widerspruchsbescheid vom 30.8.2018). Während des Klageverfahrens hat die Klägerin eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation absolviert. Der Entlassungsbericht der B Klinik bescheinigte ihr ein nur qualitativ eingeschränktes Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Zu diesem Ergebnis ist auch die Neurologin und Psychiaterin A in ihrem vom SG eingeholten Gutachten vom 7.3.2020 gelangt. Nach dem auf Antrag der Klägerin eingeholten Gutachten des Facharztes für Physikalische und Rehabilitative Medizin U vom 26.5.2020 kann die Klägerin hingegen nur noch unter sechs Stunden täglich arbeiten. Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 30.7.2020). Im dagegen von der Klägerin angestrengten Berufungsverfahren hat das LSG von Amts wegen ein Gutachten beim Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie M vom 18.5.2021 mit ergänzender Stellungnahme vom 24.3.2022 eingeholt. Danach sind der Klägerin noch leichte Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich möglich. Zur gleichen Einschätzung ist der auf Antrag der Klägerin gehörte Neurologe und Psychiater N in seinem Gutachten vom 18.12.2021 gelangt. Das LSG hat ferner eine ergänzende Stellungnahme beim Sachverständigen U eingeholt, der bei seiner Einschätzung im Gutachten vom 26.5.2020 geblieben ist. Nach Vorlage weiterer Befundberichte hat das LSG ein Gutachten bei der Ärztin für Psychiatrie, Psychotherapie und Sozialmedizin M vom 13.3.2023 eingeholt. Danach kann die Klägerin seit Oktober 2017 trotz bestehender Gesundheitsstörungen unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts leichte körperliche Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Daraufhin hat das LSG die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 26.5.2023).

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat die Klägerin beim BSG Beschwerde eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 16.8.2023 begründet hat.

II

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen. Sie wird nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form begründet.

a) Die Klägerin legt die geltend gemachte grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht hinreichend dar. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund gestützt, muss dargetan werden, dass die Rechtssache eine Rechtsfrage zu revisiblem Recht (§ 162 SGG) aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung dieses Revisionszulassungsgrundes muss der Beschwerdeführer daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN; BSG Beschluss vom 22.12.2022 - B 5 R 119/22 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 42 RdNr 5). Daran fehlt es hier.

Die Klägerin benennt als rechtsgrundsätzlich bedeutsam die Frage,

"unter welchen Voraussetzungen bei sich widerstreitenden Sachverständigengutachten (ausnahmsweise doch) ein 'Obergutachten' durch einen Spezialisten (z.B. Sachverständigen an einem Universitätsklinikum) auf dem strittigen Fachgebiet eingeholt werden muss bzw. sich die Unterlassung der Einholung eines solchen als Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) darstellt".

Sie bringt vor, ihr sei der Beschluss des BSG vom 30.6.2015 (B 13 R 184/15 B - beckonline, BeckRS 2015, 70336 RdNr 11) durchaus bekannt, wonach kein allgemeiner Anspruch auf Überprüfung eines Sachverständigengutachtens durch ein sog Obergutachten bestehe und dass Tatsachengericht, wenn es eines von mehreren Gutachten für überzeugend halte, sich diesem grundsätzlich anschließen dürfe, ohne ein weiteres Gutachten einholen zu müssen. Die Verwendung des Wortes "grundsätzlich" deute jedoch darauf hin, dass es Ausnahmen von diesem Grundsatz geben könne. Es bedürfe weiterer Klärung, wann und unter welchen Voraussetzungen ausnahmsweise die Einholung eines sog Obergutachtens durch einen Spezialisten auf dem zu entscheidenden medizinischen Fachgebiet geboten sei. Damit hat die Klägerin eine fortbestehende Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage nicht hinreichend aufgezeigt.

Hierzu hätte die Klägerin näher auf die bereits vorliegende höchstrichterliche Rechtsprechung zum Umfang der Amtsermittlungspflicht bei medizinisch geprägten Sachverhalten eingehen müssen (vgl aus jüngerer Zeit zB BSG Beschluss vom 22.6.2021 - B 13 R 20/21 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 15.7.2022 - B 1 KR 9/22 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 18.8.2022 - B 5 R 124/22 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 10.3.2023 - B 9 SB 43/22 B - juris RdNr 7). Es hätte sich insbesondere eine Auseinandersetzung mit dem Beschluss des BSG vom 19.11.2007 (B 5a/5 R 382/06 B) angeboten, der in der von ihr angeführten BSG-Entscheidung vom 30.6.2015 ausdrücklich genannt wird. Danach sind die Tatsachengerichte nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 Rdnr 9). Die Klägerin trägt nicht dazu vor, inwiefern die von ihr aufgeworfene Frage sich hierdurch nicht beantworten lasse.

b) Ebenso wenig wäre ein Verfahrensmangel anforderungsgerecht bezeichnet, falls die Klägerin mit dem Vorbringen, das LSG hätte ein weiteres Gutachtens bei einem Facharzt an einem Universitätsklinikum einholen müssen, sinngemäß eine Verletzung der Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 103 Satz 1 Halbsatz 1 SGG) rügen will (vgl zu den diesbezüglichen Anforderungen zB BSG Beschluss vom 3.5.2023 - B 5 R 52/23 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 22.6.2023 - B 5 R 40/23 B - juris RdNr 6). Die Klägerin trägt schon nicht vor, einen auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachten gerichteten, prozessordnungsgemäßen Beweisantrag angebracht und bis zum Schluss des Berufungsverfahrens aufrechterhalten zu haben.

Soweit die Klägerin zu ihren gesundheitlichen Beeinträchtigungen und den erhobenen medizinischen Befunden vorträgt, macht sie im Kern eine inhaltliche Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung geltend. Darauf kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 19.1.2022 - B 5 R 199/21 B - juris RdNr 15 mwN).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

2. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 183 Satz 1 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 und 4 SGG.

Düring

Hahn

Hannes

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16148598

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