Verfahrensgang
SG Hannover (Entscheidung vom 07.06.2021; Aktenzeichen S 10 KR 1849/20) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 29.11.2021; Aktenzeichen L 4 KR 293/21) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 29. November 2021 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Kläger leidet ua an einem Zustand nach Nierentransplantation, einem Zustand nach mittelschwerer Abstoßreaktion (Juli 2005), einer chronischen Glumerolonephritis, einem infektbedingten akuten Nierenversagen (2018), einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK), einem Alport-Syndrom, Hypertonus, einem Tinnitus, allergischem Asthma, einem chronischen Erschöpfungssyndrom (Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatique Syndrome ≪ME/CFS≫) und einer Histaminüberempfindlichkeit. Bei dem Kläger ist ein Grad der Behinderung von 100 anerkannt. Er bezieht seit 2012 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung sowie ergänzende Leistungen nach dem SGB II und SGB XII; 2018 wurde der Pflegegrad 2 festgestellt.
Der Kläger begehrt die Erstattung von Fahrtkosten im Zeitraum von Juni bis Dezember 2020 für mit dem Pkw durchgeführte Fahrten von seinem Wohnort zum Funktionstraining in Bad Pyrmont (704 km; 140,80 Euro monatlich). Hiermit ist er bei der KK und in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat ua ausgeführt, bei der ärztlich verordneten Maßnahme des Funktionstrainings bzw des Reha-Sports handele es sich nicht um eine "Leistung der medizinischen Rehabilitation" iS von § 60 Abs 5 SGB V, sondern um "ergänzende Leistungen" zur medizinischen Rehabilitation gemäß § 43 SGB V, für die eine Fahrtkostenerstattung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht vorgesehen sei. Auch wenn das Funktionstraining dem Gesundheitszustand des Klägers förderlich sei und die Auswirkungen seiner ME/CFS-Erkrankung lindere, führe dies nicht dazu, dass es einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation rechtlich gleichzusetzen sei. Funktionstraining bzw Reha-Sport seien auch nicht als ambulante Krankenbehandlung iS von § 60 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm den Krankentransport-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses zu werten. Dahinstehen könne, ob der Kläger Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleiches "aG" nach den Vorschriften des SGB IX habe. Die Beiziehung des vom Kläger als Beleg der Lebensbedrohlichkeit seiner Erkrankung angeführten und in einem parallel geführten Klageverfahren (S 10 KR 671/18) vom SG Hannover eingeholten Sachverständigengutachtens sei mangels Entscheidungserheblichkeit nicht notwendig (Urteil vom 29.11.2021).
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 13.5.1997 - 13 BJ 271/96 - SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG vom 30.9.1992 - 11 BAr 47/92 - SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG vom 30.3.2000 - B 12 KR 2/00 B - SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Hieran fehlt es.
Der Kläger formuliert folgende Rechtsfrage:
"Es ist die Frage zu klären, ob auf Erkrankungen, für die keine Standard-Therapien des GKV-Leistungskatalogs zur Verfügung stehen und die als lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche oder zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankungen i.S.v. § 2 Abs. 1a SGB V zu bewerten sind, die grundsätzliche regelhafte Unterscheidung zwischen Maßnahmen der medizinischen Behandlung, der medizinischen Rehabilitation und der ergänzenden Leistungen zur medizinischen Rehabilitation anzuwenden ist, mit der Folge, dass für Maßnahmen, die evidenzbasiert belegt, positive Auswirkungen auf die Gesundheit des Versicherten haben, eine Behandlung oder Maßnahme nicht bewilligt wird oder trotz Bewilligung der Behandlung oder Maßnahme an sich ggf. nur eine eingeschränkte Kostenerstattung stattfindet. Oder ob stattdessen eine auf den Einzelfall abzustellende, evidenzbasierte Entscheidung vorzunehmen ist, wie die Maßnahme von ihren Auswirkungen her im Fall des Versicherten zu bewerten ist."
Es kann dahinstehen, ob es sich hierbei überhaupt um eine der Grundsatzrevision zugängliche abstrakte Rechtsfrage handelt. Der Kläger legt jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit der Frage nicht hinreichend dar.
Klärungsbedürftig sind solche entscheidungserheblichen Rechtsfragen, auf die sich eine Antwort noch nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz ergibt, die durch die höchstrichterliche Rechtsprechung noch nicht unmittelbar geklärt sind und auf die sich eine Antwort auch nicht zumindest mittelbar aus bereits vorhandenen höchstrichterlichen Entscheidungen finden lässt. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG vom 22.2.2017 - B 1 KR 73/16 B - juris RdNr 8 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit eines entsprechenden Maßstabs BVerfG ≪Kammer≫ vom 12.9.1991 - 1 BvR 765/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f = juris RdNr 4).
Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht. In der Rechtsprechung des BSG ist bereits geklärt - worauf auch das LSG hingewiesen hat -, dass ein krankenversicherungsrechtlicher Anspruch auf Gewährung von Kosten für Fahrten zum Rehabilitationssport bzw Funktionstraining nicht besteht. Bei den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und den ergänzenden Leistungen des § 43 SGB V handelt es sich gesetzessystematisch um voneinander zu unterscheidende rechtliche Kategorien, sodass die ergänzenden Leistungen nicht nur ein Unterfall der medizinischen Rehabilitationsleistungen sind. Die akzessorische "ergänzende" Leistung der Fahrtkosten setzt ihrerseits folglich eine "ergänzbare Hauptleistung" voraus. Für die Inanspruchnahme ergänzender Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, zu denen gemäß § 64 Abs 1 Nr 3 und 4 SGB IX Rehabilitationssport und Funktionstraining zählen, sieht das Gesetz die Erstattung von Fahrtkosten gerade nicht vor. Die Vorschriften über Fahrtkostenerstattung sind insoweit auch keiner erweiterten Auslegung im Sinne einer entsprechenden Heranziehung aufgrund ranghöheren Rechts zugänglich; § 60 Abs 1 SGB V benennt vielmehr abschließend die Hauptleistungen, für die eine Beförderung des Versicherten aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sein muss (BSG vom 22.4.2008 - B 1 KR 22/07 R - SozR 4-2500 § 60 Nr 4 RdNr 27; BSG vom 22.4.2009 - B 3 KR 5/08 R - juris RdNr 24).
Der Kläger erwähnt diese Rechtsprechung zwar, legt aber nicht hinreichend dar, inwiefern angesichts dessen noch Klärungsbedarf hinsichtlich der Unterscheidung zwischen Maßnahmen der medizinischen Behandlung, der medizinischen Rehabilitation und der ergänzenden Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ihren Rechtsfolgen in Bezug auf Fahrtkosten besteht. Er legt nicht dar, inwiefern die gestellte Frage nach dem Stand der vorgenannten Rechtsprechung nicht ohne Weiteres zu beantworten sein soll.
Soweit der Kläger meint, es sei zu klären, ob die regelhafte Unterscheidung zwischen Maßnahmen der medizinischen Behandlung, der medizinischen Rehabilitation und der ergänzenden Leistungen zur medizinischen Rehabilitation auch bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen oder zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankungen iS von § 2 Abs 1a SGB V anzuwenden sei, fehlt jegliche Auseinandersetzung mit der umfangreichen Rechtsprechung des BSG zu den Voraussetzungen einer grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts der GKV bzw des § 2 Abs 1a SGB V(vgl ausführlich zB BSG vom 20.3.2018 - B 1 KR 4/17 R - SozR 4-2500 § 2 Nr 12 RdNr 19 ff; BSG vom 19.3.2020 - B 1 KR 20/19 R - BSGE 130, 73 = SozR 4-2500 § 12 Nr 18, RdNr 18 ff, jeweils mwN) . Auch soweit der Kläger ausführt, das von ihm in Anspruch genommene Funktionstraining ergänze in seinem Fall keine anderweitigen Rehabilitationsmaßnahmen oder Behandlungen, sondern sei die Rehabilitationsmaßnahme an sich, wird er den Anforderungen an die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit nicht gerecht, zumal die Klärungsbedürftigkeit hinsichtlich einer abstrakten Rechtsfrage bestehen muss. Im Übrigen ist Streitgegenstand des Verfahrens nicht das Funktionstraining, sondern die Erstattung von Fahrtkosten zu diesem. Insoweit setzt sich der Kläger bei seiner Argumentation auch nicht mit der Rechtsprechung des Senats auseinander, wonach es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass der Gesetzgeber bei der Übernahme von Fahrtkosten vorrangig auf die medizinische Notwendigkeit der im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme einer Krankenkassenleistung erforderlichen Fahrt als solcher abstellt und allein finanzielle Gründe hierfür nicht ausreichen lässt (BSG vom 26.9.2006 - B 1 KR 20/05 R - SozR 4-2500 § 60 Nr 1 RdNr 13 f), zumal insoweit ggf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II und dem SGB XII beansprucht werden können (vgl BSG vom 26.1.2022 - B 4 AS 81/20 R - RdNr 24; BSG vom 8.3.2016 - B 1 KR 99/15 B - RdNr 7 ff mwN).
2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI16192652 |