Entscheidungsstichwort (Thema)

Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Zulassungsgrund der Divergenz. Erforderlicher Vortrag durch Beschwerdeführer

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Divergenz kann nur bei einem Widerspruch in den Rechtssätzen vorliegen, die die jeweilige Entscheidung tragen. Ein Beschwerdeführer hat daher den Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung und den der Entscheidung des BSG, von dem angeblich abgewichen wurde, herauszuarbeiten und deren Unvereinbarkeit darzulegen. Hierbei hat er aufzuzeigen, dass der angeblich abweichende Rechtssatz in der angefochtenen Entscheidung und der maßstäbliche Rechtssatz in der Entscheidung des BSG jeweils tragend gewesen sind (st.Rspr.; vgl. BSG SozR 1500 § 160 Nr 61, § 160a Nr 14).

2. Eine Divergenz liegt nicht schon dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst dann, wenn das Berufungsgericht diesen Kriterien ausdrücklich widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Die behauptete Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall z.B. auf Grund einer fehlerhaften Würdigung von Tatsachen rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 13.08.2002)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. August 2002 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin begehrt im Hauptverfahren die Zuerkennung des Rechts auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Mit ihrer Beschwerde wendet sie sich gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG vom 13. August 2002.

Die Beschwerde ist unzulässig. Die Klägerin hat die geltend gemachten Zulassungsgründe der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und eines Verfahrensmangels, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), nicht in der gebotenen Weise bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

1. Eine Divergenz, nämlich eine Abweichung der angefochtenen Entscheidung von höchstrichterlicher Rechtsprechung, und zwar hier des BSG, hat die Klägerin nicht aufzeigt.

Eine Divergenz kann nur bei einem Widerspruch in den Rechtssätzen vorliegen, die die jeweilige Entscheidung tragen. Ein Beschwerdeführer hat daher den Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung und den der Entscheidung des BSG, von dem angeblich abgewichen wurde, herauszuarbeiten und deren Unvereinbarkeit darzulegen (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14). Hierbei hat er aufzuzeigen, dass der angeblich abweichende Rechtssatz in der angefochtenen Entscheidung und der maßstäbliche Rechtssatz in der Entscheidung des BSG jeweils tragend gewesen sind (BSG SozR 1500 § 160 Nr 61). Schließlich ist darzutun, dass das LSG anders hätte entscheiden müssen, wenn es den Rechtssatz des BSG zu Grunde gelegt hätte. Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Klägerin nicht.

Sie befasst sich in ihrer Beschwerdebegründung zwar umfangreich mit der Würdigung von Gutachten, die in den Tatsacheninstanzen eingeholt worden sind, und legt ihre Auffassung dazu dar, warum diesen Gutachten nicht zu folgen sei, soweit sie sich zu ihrer Fähigkeit äußern, bestimmte Wegstrecken von mehr als 500 m zurücklegen zu können; sie meint ferner, dass das LSG auf diese Gutachten seine Entscheidung nicht habe stützen dürfen, sondern weitere Gutachten hätte zu einer bestimmten Fragestellung einholen müssen; damit beanstandet sie im Ergebnis die vom LSG vorgenommene Beweiswürdigung iS des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG, auf die die Beschwerde jedoch nicht gestützt werden kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG), und rügt zugleich eine unzureichende Sachaufklärung durch das LSG. Auf welchen tragenden Rechtssatz das LSG seine Entscheidung gestützt haben könnte, und zwar insbesondere im Hinblick auf die bei der Beurteilung von Erwerbsunfähigkeit zu beachtende Gehfähigkeit, lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen.

Des Weiteren hat die Klägerin nicht deutlich gemacht, welche tragenden Rechtssätze das BSG in den von ihr zitierten Entscheidungen aufgestellt hat. Anknüpfend an ihre Aussage, das LSG habe nicht geprüft, in welcher Zeit die „vermeintlichen Wegstreckenangaben” zumutbar zurückgelegt werden konnten, führt sie aus, dass diese „Fragestellung” abzuklären gewesen wäre; dies gehe auf die BSG-Urteile vom 27. Dezember 1991 (13/5 RJ 73/90, SozR 3-2000 § 1247 Nr 10, Urteil vom 21. Februar 1989, 5 RJ 61/88, SozR 2200 § 1247 Nr 56, Urteil vom 14. September 1995, 5 RJ 10/95 und Urteil vom 19. November 1997, 5 RJ 16/97) zurück. Mit dieser Bezugnahme auf höchstrichterliche Rechtsprechung hat die Klägerin nicht dargelegt, welcher hier maßgebliche Rechtssatz in den jeweiligen Entscheidungen tragend gewesen ist.

Dies lassen auch ihre Ausführungen zu dem weiteren zitierten Urteil des BSG vom 30. Januar 2002 (B 5 RJ 36/01 R) nicht erkennen. Sie macht lediglich geltend, dass das BSG in dieser Entscheidung, und zwar unter Bezugnahme auf die vorstehend zitierten Urteile, „klar formuliert” habe, dass die Zumutbarkeit der Wegstrecke von den Tatsacheninstanzen erörtert werden müsse und dass es nicht ausreichend sei, allzu unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden; das BSG habe in dieser Entscheidung „ganz klar ausgeführt, dass es der konkreten Angabe bedarf, im Hinblick auf die Zumutbarkeit der Wegstrecken und in welcher Zeit diese zurückgelegt werden können”.

Auch diese Ausführungen lassen nicht erkennen, auf welchen Rechtssatz das BSG in dem zitierten Urteil vom 30. Januar 2002 konkret seine Entscheidung „tragend” gestützt hat. Im Übrigen ergibt sich aus den Ausführungen der Klägerin, dass eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG zu der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung gerade nicht vorliegen dürfte. Die Klägerin führt nämlich aus, dass das LSG ebenfalls das Urteil des BSG vom 30. Januar 2002 (aaO) zitiert habe, „dann aber nicht die richtigen Schlüsse daraus gezogen habe”, denn es habe die Kriterien, die das BSG aufgestellt habe, in seiner Entscheidung überhaupt nicht aufgenommen. Eine Divergenz liegt aber nicht schon dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien – ausdrücklich – widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Die – behauptete – Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall – zB auf Grund fehlerhafter Feststellungen bzw einer fehlerhaften Würdigung von Tatsachen bzw der Nichtbeachtung von höchstrichterlicher Rechtsprechung – rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz.

2. Auch den Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, hat die Klägerin nicht ordnungsgemäß aufgezeigt.

a) Die Klägerin rügt zum einen eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG). Ihrem Vorbringen lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass ihr rechtliches Gehör im Berufungsverfahren nicht in ausreichender Weise gewährt worden ist.

Die Ausführungen der Klägerin in der Berufungsbegründung (S 7 ff) zum „Verfahrensfehler” enthalten keine Angaben darüber, weshalb ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sein könnte. Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang die Ausführungen zur „Divergenz”, könnte vermutet werden, dass sie ihre Rüge darauf stützen will, dass das LSG ihren Vortrag nicht in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommen habe. In einem solchen Fall fehlen jedoch die weiteren notwendigen Ausführungen, um den Verfahrensmangel ordnungsgemäß darzutun.

Zwar beinhaltet der Anspruch auf rechtliches Gehör ua auch, dass das Gericht die Beteiligten hört und deren Vortrag in seine Erwägung einbezieht; wenn das Gericht den Vortrag entgegengenommen hat, ist jedoch grundsätzlich anzunehmen, dass dies auch geschehen ist. Im Einzelfall müssen daher besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BVerfGE 65, 293, 295 f; 70, 288, 293; stRspr). Solche Umstände hat die Klägerin nicht dargelegt. Vielmehr trägt sie ausdrücklich vor, in ihrer Berufungsbegründung „vom 8. Januar 2001” habe sie die Notwendigkeit einer erneuten Begutachtung von Amts wegen deutlich angezeigt und das LSG habe diese Ausführungen auch in dem gemeinten Sinn verstanden; dies ergebe sich ohne weiteres aus dem „Schriftsatz” vom 10. Oktober 2001, in dem das LSG ausgeführt habe, dass es die Einholung eines weiteren Gutachtens von Amts wegen nicht beabsichtige. Die Klägerin hat damit nicht zu erkennen gegeben, welches entscheidungserhebliche Vorbringen das LSG nicht zur Kenntnis genommen haben könnte. Es ist daher nicht weiter darauf einzugehen, dass ihr Vorbringen im Übrigen auch nicht den weiteren Anforderungen genügt, die an die Darlegung dieses Verfahrensmangels (Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör) zu stellen sind.

b) Vorrangig rügt die Klägerin offenbar eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht iS des § 103 SGG durch das LSG. Auch insoweit genügt ihr Vorbringen nicht der Darlegungspflicht.

Eine solche Rüge kann nur dann mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn sie sich auf einen im Berufungsverfahren gestellten und den Anforderungen der ZPO genügenden Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG). Voraussetzung ist damit, dass ein Beschwerdeführer den Beweisantrag so genau bezeichnet, dass er für das Beschwerdegericht ohne weiteres auffindbar ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5 und SozR 3-1500 § 160 Nr 4); ferner muss der Beweisantrag iS der ZPO ordnungsgemäß gestellt worden sein. Das ist ua nur der Fall, wenn sowohl das Beweisthema als auch das – zulässige – Beweismittel angegeben wird (vgl zum Zeugenbeweis: § 373 ZPO; zum Sachverständigenbeweis: §§ 402 bis 404 ZPO).

Die Klägerin macht lediglich geltend, dass „im Berufungsbegründungsschriftsatz vom 8.01.2001 eine erneute Begutachtung von Amts wegen als deutlich angezeigt angesehen wurde”. Ein „Berufungsbegründungsschriftsatz” vom „8.01.01” ist in den Akten nicht auffindbar. Im Schriftsatz vom 8.10.01 hat sie weder konkret einen Gutachter noch das Beweisthema benannt. Es ist deshalb nicht darauf einzugehen, dass das Vorbringen der Klägerin auch den weiteren Anforderungen nicht genügt, die an die ordnungsgemäße Geltendmachung eines solchen Verfahrensmangels zu stellen sind.

3. Die Beschwerdebegründung entspricht damit nicht den gesetzlichen Anforderungen. Die Beschwerde ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1176670

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