Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 02.02.2017; Aktenzeichen L 6 SB 1817/16) |
SG Konstanz (Entscheidung vom 12.04.2016; Aktenzeichen S 1 SB 1224/12) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 2. Februar 2017 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Mit Urteil vom 2.2.2017 hat das LSG einen Anspruch des Klägers auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich G abgelehnt, weil bei dem Kläger keine Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule mit Auswirkungen auf die Gehfähigkeit vorlägen, die für sich einen Grad der Behinderung (GdB) von wenigstens 50 - wie erforderlich - begründen. Hiervon gehe selbst der nach § 109 SGG angehörte Gutachter Dr. W. aus. Der aktuelle GdB von 100 betreffe nicht ausschließlich die unteren Gliedmaßen, sondern vielmehr ua die Magenerkrankung in Heilungsbewährung sowie daneben Bluthochdruck, ein chronisches Schmerzsyndrom, eine Funktionsstörung der Bauchspeicheldrüse und eine Refluxkrankheit der Speiseröhre. Die Behinderungen im Bereich der unteren Gliedmaßen (Funktionssystem Beine) bedingten einen GdB von (deutlich) unter 40. Dem hilfsweise gestellten Antrag des Klägers, den Gutachter Dr. W. und den Assistenzarzt G. zur Erörterung ihres Gutachtens zur mündlichen Verhandlung zu laden, sei nicht stattzugeben gewesen, weil es sich insoweit nur um eine beweisunerhebliche Frage gehandelt habe.
Dies gelte auch für den weiteren Hilfsantrag auf Einholung "eines weiteren Gutachtens mit der gleichen Fragestellung", da die Würdigung vermeintlich oder tatsächlich widerstreitender Beweisergebnisse oder unterschiedlicher ärztlicher Auffassungen wie die anderer sich vermeintlich oder tatsächlich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst gehörten und nicht einfach mit noch einem weiteren Gutachten geklärt werden könnten.
Mit seiner Beschwerde wendet sich der anwaltlich vertretene Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG und rügt die grundsätzliche Bedeutung der Sache sowie Verfahrensfehler.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und des Verfahrensfehlers nicht ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern die Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; siehe auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1.) eine bestimmte Rechtsfrage, (2.) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3.) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4.) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 13, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger formuliert schon keine hinreichend präzise Rechtsfrage mit einer über den Einzelfall hinausgehenden Breitenwirkung, sondern beanstandet, dass das LSG seinen Hilfsantrag, den Gutachter Dr. W. und dessen Assistenzarzt G. zur Erörterung ihres Gutachtens zur mündlichen Verhandlung zu laden, nicht gefolgt ist. Soweit seinem Vortrag sinngemäß entnommen werden könnte, dass er geklärt wissen will, unter welchen Voraussetzungen nach § 109 SGG vom Gericht beauftragte Sachverständige auf Antrag nochmals in der mündlichen Verhandlung anzuhören sind, beschäftigt er sich nicht ansatzweise mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Einholung gerichtlicher Sachverständigengutachten, den Fragen zur Erläuterung des Gutachtens in der mündlichen Verhandlung und der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Zur Darlegung vornehmlich der Klärungsbedürftigkeit reicht es nicht aus, lediglich die eigene Rechtsmeinung auszubreiten. Vielmehr ist eine substantielle Auseinandersetzung mit den einschlägigen oberstgerichtlichen Entscheidungen erforderlich (vgl BSG Beschluss vom 10.12.2012 - B 13 R 361/12 B - Juris RdNr 6). Die vom Kläger zitierte Rechtsprechung lässt nicht erkennen, welche über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage insoweit noch offengeblieben sein könnte. Soweit der Kläger kritisiert, dass das LSG die Rechtsprechung des BGH, BVerwG, BAG und des BVerfG nicht beachtet habe, legt er selbst dar, dass die vermeintliche Rechtsfrage bereits höchstrichterlich beantwortet ist. Die Richtigkeit der Entscheidung im Einzelfall ist jedoch nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde auch darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Anforderungen wird das Vorbringen des Klägers nicht gerecht.
Der Kläger beanstandet, das LSG sei zu Unrecht seinem Antrag nicht gefolgt, die Gutachter zur mündlichen Verhandlung zu laden, damit sie ihr Ergebnis erläutern, "wie sie zu der Feststellung kommen, dass für die Behinderungen des Klägers an den unteren Gliedmaßen ein GdB von 40 zu bewilligen ist". Dieses Vorbringen legt jedoch einen Verfahrensfehler nicht hinreichend dar.
Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BSG, dass - unabhängig von der nach § 411 Abs 3 ZPO in pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts liegenden Möglichkeit, zur weiteren Sachaufklärung von Amts wegen das Erscheinen des Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung anzuordnen - jedem Beteiligten gemäß § 116 S 2 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO das Recht zusteht, einem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet (BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7, Nr 2 RdNr 5; BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 355/11 B - Juris RdNr 13, jeweils mwN; siehe auch BVerfG Beschluss vom 3.2.1998 - 1 BvR 909/94 - NJW 1998, 2273 - Juris RdNr 11 f). Sachdienliche Fragen iS von § 116 S 2 SGG liegen dann vor, wenn sie sich im Rahmen des Beweisthemas halten und nicht abwegig oder bereits eindeutig beantwortet sind (BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 10). Hierbei müssen keine Fragen formuliert werden; es reicht vielmehr aus, die erläuterungsbedürftigen Punkte hinreichend konkret zu bezeichnen (vgl BSG Beschluss, aaO, RdNr 7; BSG SozR 3-1750 § 411 Nr 1). Andererseits fehlt es an der Sachdienlichkeit, wenn der Antrag auf Anhörung des Sachverständigen rechtsmissbräuchlich gestellt ist, insbesondere wenn die Notwendigkeit einer Erörterung überhaupt begründet wird oder nur beweisunerhebliche Frage angekündigt werden (vgl BVerfG [Kammer] Beschluss vom 29.8.1995 - 2 BvR 175/95 - NJW-RR 1996, 183, 184 = Juris RdNr 29, mwN zur Rechtsprechung des BGH). Da das Fragerecht an den Sachverständigen der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs dient, ist weiterhin erforderlich, dass der Beteiligte alles getan hat, um die Anhörung des Sachverständigen zu erreichen. Dieser Obliegenheit ist er jedenfalls dann nachgekommen, wenn er einen darauf gerichteten Antrag rechtzeitig gestellt, dabei schriftlich objektiv sachdienliche Fragen angekündigt und das Begehren bis zuletzt aufrechterhalten hat (BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7).
Der Kläger hat es bereits versäumt, konkret erläuterungsbedürftige Punkte zu benennen, wegen derer der Sachverständige befragt werden soll und dass diese Fragen objektiv sachdienlich sind. Eine bloße Wiederholung der bereits schriftlich getätigten Äußerungen und Feststellungen der Sachverständigen in mündlicher Art und Weise begründen indes keinen weitergehenden objektiven Aufklärungsbedarf. Unabhängig davon hat die Beschwerde auch nicht substantiiert dargelegt, warum das Berufungsurteil überhaupt auf der sinngemäß geltend gemachten Gehörsverletzung beruhen könnte. Dafür wäre es erforderlich gewesen, sich mit den Grundsätzen für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs G auseinanderzusetzen entsprechend den Darstellungen des LSG in dem angefochtenen Urteil (siehe S 9 ff des Urteils) und darzulegen, warum die Anhörung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung mindestens zur Feststellung eines GdB von 50 beim Kläger und damit zur Feststellung der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs G hätte führen können.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
4. Die Beschwerde ist ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI10932344 |