Verfahrensgang
SG Darmstadt (Entscheidung vom 22.02.2019; Aktenzeichen S 1 AS 831/14) |
Hessisches LSG (Beschluss vom 17.02.2021; Aktenzeichen L 6 AS 226/19) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 17. Februar 2021 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil weder die als Zulassungsgrund behauptete Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) noch die als Zulassungsgrund geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) in der erforderlichen Weise bezeichnet worden sind (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG, § 169 SGG).
a) Eine Abweichung (Divergenz) iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist nur dann hinreichend dargelegt, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht. Eine Abweichung liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG aufgestellt haben, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt. Erforderlich ist vielmehr, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen kann die Zulassung wegen Abweichung begründen (stRspr; vgl etwa BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34; Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 160 RdNr 119). Eine solche Divergenz hat der Kläger nicht aufgezeigt. Er legt nicht dar, weshalb der von ihm dem Urteil des BSG vom 18.2.2010 (B 14 AS 32/08 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 9) entnommene (materielle) Rechtssatz, dass faktische Bedarfsdeckung die Hilfebedürftigkeit nicht entfallen lasse, im Widerspruch zu dem von ihm dem Beschluss des LSG entnommenen (prozessualen) Rechtssatz, dass derjenige, "der ohne Leistungen nach SGB II faktisch überlebt hat, den vollen Beweis seiner Hilfebedürftigkeit nach SGB II beweisen müsse", stehen kann. Der näheren Darlegung hätte es überdies auch deshalb bedurft, weil es der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfG vom 1.2.2010 - 1 BvR 20/10 - juris RdNr 2) und des BSG (BSG vom 19.2.2009 - B 4 AS 10/08 R - juris RdNr 21; BSG vom 18.2.2010 - B 14 AS 32/08 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 9 RdNr 18), entspricht, dass derjenige, der Leistungen nach dem SGB II begehrt, für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen einschließlich der Hilfebedürftigkeit die objektive Beweislast trägt.
b) Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; vgl bereits BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Kläger rügt, dass das LSG ohne sein Einverständnis und trotz noch bestehender Amtsermittlungspflichten durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG entschieden habe. Die Entscheidung, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 Satz 1 SGG zurückzuweisen, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts und kann nur auf dessen fehlerhaften Gebrauch, dh sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen, überprüft werden (stRspr; etwa BSG vom 19.9.2019 - B 12 KR 21/19 R - BSGE 129, 106 = SozR 4-2400 § 7 Nr 45, RdNr 11; BSG vom 2.3.2020 - B 11 AL 56/19 B - RdNr 3 mwN). Ein solcher Sachverhalt lässt sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen. Die Zustimmung der Beteiligten zum Beschlussverfahren nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG ist nicht erforderlich (BSG vom 19.9.2019 - B 12 KR 21/19 R - BSGE 129, 106 = SozR 4-2400 § 7 Nr 45, RdNr 11). Auch dass die Entscheidungsgründe 18 Seiten umfassen, steht einer Entscheidung nach § 153 Abs 4 SGG nicht entgegen; weder ist das Beschlussverfahren nach dem insofern voraussetzungslosen Wortlaut des § 153 Abs 4 Satz 1 SGG auf einfach gelagerte Sachverhalte und Rechtsfragen begrenzt (BSG vom 23.12.1996 - 5 BJ 196/96 - juris RdNr 4; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 153 RdNr 15; Sommer in Roos/Wahrendorf/Müller, BeckOGK SGG, 2. Aufl 2021, § 153 RdNr 31, Stand 1.5.2021), noch beschränkt die Norm den Umfang der Entscheidungsgründe. Hinzu tritt, dass es für die Frage, ob ein Berufungsverfahren geeignet ist, durch Beschluss entschieden zu werden, in erster Linie auf die Einschätzung des Berufungsgerichts ankommt. Da das BSG dessen Entscheidung nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen hin überprüft, darf es jenseits solcher Konstellationen seine Einschätzung nicht an die Stelle derjenigen des LSG setzen.
Welche weiteren Ermittlungen das LSG aus Sicht des Klägers noch hätte anstellen müssen, wird lediglich angedeutet, aber nicht hinreichend konkret benannt. Dass der Kläger in seinem Schriftsatz vom 2.10.2020 ordnungsgemäße Beweisanträge gestellt oder aufrechterhalten hätte (vgl zu dieser Notwendigkeit etwa BSG vom 23.6.2017 - B 13 R 127/17 B - juris RdNr 5 mwN), lässt sich der Beschwerdebegründung, die lediglich wiederholt von "Beweisangeboten" spricht, nicht entnehmen. Dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem SG nicht anwesend war, steht der Entscheidung des LSG durch Beschluss ebenfalls nicht entgegen (vgl BSG vom 17.5.2018 - B 8 SO 77/17 B - juris RdNr 7). Dies ist jedenfalls deswegen der Fall, weil sich der Beschwerdebegründung keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass das SG zur Verlegung des Termins verpflichtet gewesen wäre, zumal der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem SG durch seine anwaltliche Prozessbevollmächtigte vertreten war.
Aus den vorgenannten Gründen sind auch die ebenfalls auf die These, das LSG hätte weitere Ermittlungen durchführen müssen, gestützten Rügen einer Verletzung der Art 19 Abs 4, Art 20 Abs 3 GG (Recht auf faires Verfahren und Anspruch auf effektiven Rechtsschutz), nicht schlüssig bezeichnet.
Im Übrigen rügt der Kläger der Sache nach nur eine aus seiner Sicht unzutreffende Beweiswürdigung und vermeintlich fehlerhafte Anwendung des materiellen Rechts durch das LSG. Ersteres kann sie wegen § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht geltend machen, da sie - wie dargelegt - keinen aufrechterhaltenen Beweisantrag bezeichnet hat; letzteres kann keinen Verfahrensmangel (error in procedendo) darstellen (Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 160 RdNr 149).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14693302 |