Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Revision Revisionsbegründung. Kassenarzt. Wirtschaftlichkeitsprüfung. Verjährungsfrist
Orientierungssatz
1. Die Zulässigkeit der Revision hängt davon ab, daß der Revisionskläger zu jedem einzelnen Streitpunkt mit selbständigem Streitstoff eine sorgfältige, nach Umfang und Zweck zweifelsfreie Begründung gibt. Das gilt nicht nur für Verfahrens-, sondern auch für sachlich-rechtliche Revisionsangriffe.
2. Die Revisionsbegründung muß bei materiell-rechtlichen Rügen darlegen, daß und warum eine revisible Rechtsvorschrift auf den vom Tatsachengericht festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewandt worden ist. Obwohl es zwar bei einer Prüfung der Zulässigkeit der Revision nicht darauf ankommt, ob die Revisionsbegründung den Revisionsangriff auch trägt, so muß diese Begründung aber doch rechtliche Erwägungen anstellen, die das Urteil als unrichtig, die Rechtsnorm als "verletzt" erscheinen lassen. Die Revision muß erkennen lassen, daß der Prozeßbevollmächtigte des Revisionsklägers eine Prüfung und rechtliche Durchdringung des im Urteil abgehandelten Rechtsstoffes vorgenommen hat.
3. Der gegen einen Kassen(zahn)arzt gerichtete Überprüfungsanspruch verjährt in zwei Jahren. Prüfanträge haben dabei auf den Ablauf der Verjährungsfrist grundsätzlich keinen Einfluß (vgl BSG vom 16.1.1991 - 6 RKa 10/90).
Normenkette
SGG § 164 Abs 1; SGG § 164 Abs 2; BGB § 196; RVO § 368n Abs 5 Fassung: 1982-12-20; SGB 5 § 106 Fassung: 1988-12-20
Verfahrensgang
SG Mainz (Entscheidung vom 22.02.1989; Aktenzeichen S 1a Ka 127/88) |
Gründe
Der beigeladene Kassenverband hat am 17. September 1985 beim Prüfungsausschuß der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV) Koblenz-Trier beantragt, die Honorarabrechnungen des als Kassenzahnarzt zugelassenen Klägers für die Quartale II/1984 bis I/1985 zu überprüfen. Durch Bescheid vom 23. Juni 1986 hat der Ausschuß eine Kürzung um rund 13.700,-- DM mit der Begründung vorgenommen, die Gesamtfallwerte des Klägers lägen im Bereich des offensichtlichen Mißverhältnisses. Auf die Widersprüche des Klägers und des Beigeladenen hat der Beklagte durch Bescheid vom 27. Mai 1988 die Gesamtkürzung auf rund 26.000,-- DM erhöht. Der Kläger hatte im Widerspruchsverfahren ua vorgebracht, daß der Prüfantrag nicht rechtzeitig gestellt worden sei, da er erst im April 1986 davon Kenntnis erhalten habe.
Der Beklagte hat dazu in seinem Widerspruchsbescheid ausgeführt, die in § 6 Abs 5 der (regionalen) Prüfvereinbarung vorgesehene (zwölfmonatige) Antragsfrist sei gewahrt, da zwischen der letzten Quartalsabrechnung und dem Antrag kein Jahr verstrichen sei und es dabei nicht darauf ankomme, wann dem Kläger Kenntnis gegeben worden sei.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage des Kassenzahnarztes als unbegründet abgewiesen. Wegen der erheblichen Überschreitungen sowohl beim Gesamtfallwert als auch bei einzelnen Gebührenpositionen sei die Kürzung rechtmäßig. Der Prüfantrag sei auch für das Quartal II/1984 - das früheste der vier geprüften Quartale - fristgerecht gestellt worden. Darauf, zu welchem Zeitpunkt der Kläger Kenntnis davon bekommen habe, komme es nicht an. Sollte der Rechtsprechung des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen eine andere Ansicht zugrunde liegen, so sehe sich das Gericht im Hinblick auf seine eigene Rechtsprechung und auf die des LSG Rheinland-Pfalz nicht in der Lage, dieser Meinung zu folgen. Durch Beschluß vom 7. Juni 1989 hat das SG auf Antrag des Klägers die Sprungrevision mit folgender Begründung zugelassen:
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Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Hinblick |
auf die unterschiedliche Auslegung von § 11 |
Nr 9 der Prüfvereinbarung zwischen den Kassenzahnärztlichen |
Vereinigungen Koblenz-Trier, Pfalz und |
Rheinhessen und dem Verband der Ortskrankenkassen |
Rheinland-Pfalz, sowie Süd-Baden und Süd-Württemberg- |
Hohenzollern (Südwest), Landesverband der Betriebskrankenkassen |
Rheinland-Pfalz und Landesverband der |
Innungskrankenkassen Nordrhein und Rheinland-Pfalz |
(Anlage 10 zum Gesamtvertrag) sowie die divergierenden |
Rechtsprechung der Landessozialgerichte Nordrhein- |
Westfalen (Urteil vom 12. Juni 1985 - L 11 Ka |
16/84 -) und Rheinland-Pfalz (Urteil vom 10. Dezember |
1987 - L 5 Ka 20/87 -). |
Der Kläger hat rechtzeitig Revision eingelegt mit dem Antrag, das erstinstanzliche Urteil und den angefochtenen Bescheid aufzuheben.
Der Beklagte und der Beigeladene haben sich zur Sache nicht geäußert und bisher keine Anträge gestellt.
Die Revision ist unzulässig, weil sie (innerhalb der Revisionsbegründungsfrist) nicht hinreichend begründet wurde. Die Revision ist zu begründen (§ 164 Abs 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Die Zulässigkeit der Revision hängt davon ab, daß der Revisionskläger zu jedem einzelnen Streitpunkt mit selbständigem Streitstoff eine sorgfältige, nach Umfang und Zweck zweifelsfreie Begründung gibt. Das gilt nicht nur für Verfahrens-, sondern auch für sachlich-rechtliche Revisionsangriffe (BSG SozR 1500 § 164 Nrn 5, 12, 20 jeweils mwN; BGH LM Nr 22 zu § 554 ZPO; BGH MDR 1974, 1015; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Komm ZPO, 48. Aufl 1990, Anm 4 C zu § 554). Der gesetzgeberische Zweck eines solchen Begründungszwanges liegt darin, aussichtslose Revisionen nach Möglichkeit von vornherein zu verhindern (BSG aaO, Nr 5; vgl RGZ 123, 38). Der Prozeßbevollmächtigte des Revisionsklägers hat daher dem Revisionsgericht die Gründe darzulegen, die aufgrund der von ihm vorgenommenen Überprüfung das Urteil als unrichtig erscheinen lassen (BSG, BGH, jeweils aaO). Die Revisionsbegründung muß somit bei materiell-rechtlichen Rügen darlegen, daß und warum eine revisible Rechtsvorschrift auf den vom Tatsachengericht festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewandt worden sei (BSG SozR 1500 § 164 Nrn 12, 20). Obwohl es zwar bei einer Prüfung der Zulässigkeit der Revision nicht darauf ankommt, ob die Revisionsbegründung den Revisionsangriff auch trägt (BGH NJW 1981, 1453), so muß diese Begründung aber doch rechtliche Erwägungen anstellen, die das Urteil als unrichtig, die Rechtsnorm als "verletzt" (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG) erscheinen lassen (BSG aaO). Die Revision muß - mit anderen Worten - erkennen lassen, daß der Prozeßbevollmächtigte des Revisionsklägers eine Prüfung und rechtliche Durchdringung des im Urteil abgehandelten Rechtsstoffes vorgenommen hat (Meyer-Ladewig, Komm SGG, 3. Aufl 1987, RdNr 9 zu § 164 SGG mwH). Diese Anforderungen sind hier nicht erfüllt.
Der Kläger hat zur (eigentlichen) Begründung lediglich folgendes ausgeführt:
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Der Revisionsführer rügt ausdrücklich die rechtsfehlerhafte |
Anwendung des § 6 Abs 5 der Prüfvereinbarung |
durch das angefochtene Urteil. Im Gegensatz zu der in |
dem angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung sind |
die Prüfquartale sehr wohl verfristet. Das Landessozialgericht |
Nordrhein-Westfalen weist in einem Urteil |
(Az L 11 Ka 60/84) darauf hin, daß der Anhörungsgrundsatz |
und damit das grundrechtlich garantierte |
Recht auf das rechtliche Gehör verletzt ist, wenn ein |
betroffener Zahnarzt nicht unmittelbar zu Beginn des |
Verwaltungsverfahrens - nämlich bei Stellung der |
entsprechenden Anträge - Kenntnis von diesem Antrag |
erlangt. |
In der Revisionsbegründung werden schon keine Ausführungen dazu gemacht, ob die Revision auf die Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift gestützt wird, "deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt" (§ 162 SGG). Da es sich bei der genannten Prüfvereinbarung nicht um Bundesrecht handelt, hätte es zur Begründung der Revisibilität ihres § 6 Abs 5 der Darlegung bedurft, inwiefern die Vorschrift mindestens noch in einem weiteren LSG-Bezirk gilt oder daß inhaltlich gleiche Vorschriften in Bezirken verschiedener Landessozialgerichte gelten (vgl BSGE 56, 45, 50 f = SozR 2100 § 70 Nr 1; Meyer- Ladewig, aaO, RdNr 5 zu § 162 mwH).
Aber selbst wenn man von diesem Begründungsmangel absieht, fehlt es an einer hinreichenden Revisionsbegründung. Dafür reicht der bloße Hinweis auf die tragenden Gründe des angeführten LSG-Urteils nicht aus. Die von der Revisionsbegründung zu fordernde rechtliche Auseinandersetzung hätte zumindest eines Eingehens auf die vom SG genannte gegenteilige Rechtsansicht des LSG Rheinland-Pfalz bedurft.
Außerhalb der vorstehenden tragenden Gründe der (ausschließlich prozessualen) Entscheidung weist der Senat (in materieller Hinsicht) auf sein Urteil vom 16. Januar 1991, Az 6 RKa 10/90, hin, in welchem zum Ausdruck gebracht worden ist, daß der gegen den Kassen(zahn)arzt gerichtete Überprüfungsanspruch zwar in zwei Jahren verjährt, Prüfanträge auf den Ablauf der Verjährungsfrist aber grundsätzlich keinen Einfluß haben und der Kassen(zahn)arzt sich auf eine gesamtvertraglich geregelte Antragsfrist nicht berufen kann, es insoweit daher auch ohne Bedeutung ist, zu welchem Zeitpunkt ihm die Mitteilung von der Antragstellung zugeht.
Die Verwerfung konnte ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter erfolgen (§ 169 Satz 3 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen