Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialgerichtliches Verfahren. Verwertbarkeit eines Sachverständigengutachtens. Mitarbeit anderer sachkundiger Personen. Grenze. Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Sozialgerichtliches Verfahren. Einholung eines Sachverständigengutachtens. Verwertbarkeit bei Mitarbeit anderer sachkundiger Personen. Grenze bei Betroffenheit des Kernbereichs
Leitsatz (redaktionell)
Weder die Durchführung einer neurologischen Untersuchung noch die schriftliche Abfassung des Gutachtens gehören in jedem Fall zu den unverzichtbaren Kernaufgaben, die der Sachverständige zwingend selbst erledigen muss. Soweit sich nicht aus der Eigenart des Gutachtenthemas ergibt, dass für bestimmte Untersuchungen die spezielle Sachkunde und Erfahrung des Sachverständigen benötigt wird, reicht es aus, wenn dieser die von Hilfskräften erhobenen Daten und Befunde nachvollzieht. Entscheidend ist, dass der Sachverständige die Schlussfolgerungen seines Mitarbeiters überprüft und durch seine Unterschrift die volle Verantwortung für das Gutachten übernimmt.
Orientierungssatz
1. Die Grenze der erlaubten Mitarbeit anderer sachkundiger Personen bei der Erstellung des Gutachtens eines vom Gericht bestellten Sachverständigen ist dann mit der Folge der Unverwertbarkeit überschritten, wenn aus Art und Umfang der Mitarbeit gefolgert werden kann, der beauftragte Sachverständige habe seine das Gutachten prägenden und regelmäßig in einem unverzichtbaren Kern von ihm selbst zu erbringenden Zentralaufgaben nicht selbst wahrgenommen, sondern delegiert (vgl BSG vom 18.9.2003 - B 9 VU 2/03 B = SozR 4-1750 § 407a Nr 1).
2. Eine fehlende Information über den Umfang der Mitarbeit des anderen Arztes (Verstoß gegen § 407a Abs 2 S 2 ZPO) führt dann zur Unverwertbarkeit, wenn dadurch dem Beteiligten die Möglichkeit genommen wurde, die Grenzen der erlaubten Mitarbeit zu überprüfen; Voraussetzung ist, dass (1) der Beteiligte objektiv ein berechtigtes Interesse an den Angaben nach § 407a Abs 2 S 2 ZPO hat und (2) das Gericht seinen Antrag, vom Sachverständigen die Informationen nach dieser Vorschrift anzufordern, übergangen hat (vgl BSG vom 15.7.2004 - B 9 V 24/03 B = SozR 4-1750 § 407a Nr 2).
Normenkette
SGG § 118; ZPO § 407a Abs. 2
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 30.08.2005; Aktenzeichen L 15 U 180/04) |
SG Duisburg (Entscheidung vom 01.06.2004; Aktenzeichen S 6 U 288/03) |
Gründe
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe. Dieser setzt nach § 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist nicht gegeben, denn die Beschwerde ist unzulässig; ihre Begründung entspricht nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG.
Der Kläger begehrt die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) . Er rügt, das angefochtene Urteil beruhe auf der Verwertung eines ärztlichen Gutachtens, das nicht von dem zum gerichtlichen Sachverständigen ernannten Chefarzt der Neurologischen Abteilung der Fachklinik R., Privatdozent Dr. T., sondern von einer anderen Ärztin dieser Klinik erstattet worden sei. Sowohl aus dem Diktatzeichen im Kopf des Gutachtens als auch aus der Unterschrift ergebe sich, dass das Gutachten verantwortlich von der Nervenärztin Dr. W. erstellt worden sei. Dr. T. habe ihn dagegen weder untersucht noch das Gutachten selbst verfasst. Mit diesen Ausführungen ist der geltend gemachte Verfahrensmangel (Verstoß gegen § 118 SGG iVm § 407a Abs 2 ZPO) nicht iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG "bezeichnet".
Zu der Frage, in welchem Umfang ein vom Gericht bestellter Sachverständiger bei der Erstellung des Gutachtens auf die Mitarbeit anderer sachkundiger Personen zurückgreifen darf und wie sich Verstöße gegen die einschlägigen gesetzlichen Vorgaben auf die Verwertbarkeit des Gutachtens auswirken, hat sich zuletzt der 9. Senat des Bundessozialgerichts in zwei Beschlüssen vom 18. September 2003 (SozR 4-1750 § 407a Nr 1) und vom 13. Juli 2004 (SozR 4-1750 § 407a Nr 2) zusammenfassend geäußert. Danach ist die Grenze der erlaubten Mitarbeit - mit der Folge der Unverwertbarkeit des Gutachtens - überschritten, wenn aus Art und Umfang der Mitarbeit eines weiteren Arztes gefolgert werden kann, der beauftragte Sachverständige habe seine das Gutachten prägenden und regelmäßig in einem unverzichtbaren Kern von ihm selbst zu erbringenden Zentralaufgaben nicht selbst wahrgenommen, sondern delegiert. Eine fehlende Information über den Umfang der Mitarbeit des anderen Arztes (Verstoß gegen § 407a Abs 2 Satz 2 ZPO) führt dann zur Unverwertbarkeit, wenn dadurch dem Beteiligten die Möglichkeit genommen wurde, die Grenzen der erlaubten Mitarbeit zu überprüfen; Voraussetzung ist, dass (1) der Beteiligte objektiv ein berechtigtes Interesse an den Angaben nach § 407a Abs 2 Satz 2 ZPO hat und (2) das Gericht seinen Antrag, vom Sachverständigen die Informationen nach dieser Vorschrift anzufordern, übergangen hat (dazu im Einzelnen: BSG SozR 4-1750 § 407a Nr 2 RdNr 7 ff) .
Seinen Vorwurf, der Sachverständige Dr. T. habe die ihm obliegenden Aufgaben unzulässigerweise delegiert, hat der Kläger nicht ausreichend substantiiert. Weder die Durchführung der neurologischen Untersuchung noch die schriftliche Abfassung des Gutachtens gehören in jedem Fall zu den unverzichtbaren Kernaufgaben, die der Sachverständige zwingend selbst erledigen muss. Soweit sich nicht aus der Eigenart des Gutachtenthemas ergibt, dass für bestimmte Untersuchungen die spezielle Sachkunde und Erfahrung des Sachverständigen benötigt wird, reicht es aus, wenn dieser die von Hilfskräften erhobenen Daten und Befunde nachvollzieht. Entscheidend ist, dass der Sachverständige die Schlussfolgerungen seines Mitarbeiters überprüft und durch seine Unterschrift die volle Verantwortung für das Gutachten übernimmt (zu alledem Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl 2005, III. Kapitel RdNr 65/66; Meyer-Ladewig in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 118 RdNr 11g mwN) . Dass dies hier nicht geschehen sei, legt der Kläger nicht dar.
Was die Rüge der fehlenden Angaben zum Umfang der Tätigkeit der ärztlichen Mitarbeiterin angeht, äußert sich die Beschwerdebegründung weder zum berechtigten Interesse des Klägers noch dazu, dass er die jetzt geforderten Informationen im Berufungsverfahren nicht verlangt und insbesondere keine ergänzende Befragung des Sachverständigen beantragt hatte. Damit bleibt unklar, ob er sein Recht, den behaupteten Verfahrensmangel zu rügen, nicht nach § 202 SGG iVm § 295 Abs 1 ZPO verloren hat.
Da Zulassungsgründe nicht ausreichend vorgetragen sind, war die Beschwerde durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2 iVm § 169 SGG) .
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1755890 |
AnwBl 2006, 161 |