Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlegungspflicht bei Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
Orientierungssatz
1. Bei der Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zur Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtssicherheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten ist.
2. Eine Rechtsfrage ist auch dann als höchstrichterlich geklärt anzusehen, wenn schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben. Bei der Auslegung der Vorschrift des § 229 Abs. 1 S. 3 SGB 5 im Rahmen der Direktversicherung hat sich der Beschwerdeführer zumindest mit dem Beschluss des BVerfG vom 7. 4. 2008 sowie den diesem zugrunde liegenden Urteilen des BSG vom 25. 4. 2007 auseinanderzusetzen. Unterlässt er dies, so ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a; SGB 5 § 229 Abs. 1 S. 3
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 26.01.2016; Aktenzeichen L 11 KR 571/15) |
SG Konstanz (Aktenzeichen S 8 KR 2248/14) |
Nachgehend
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. Januar 2016 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrundeliegenden Rechtsstreit wendet sich der Kläger gegen die - in zwei Fällen nur anteilige - Berücksichtigung dreier Kapitalleistungen aus Lebensversicherungsverträgen bei der Bemessung seiner Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung. Versicherungsnehmer dieser Verträge waren - bei zwei Verträgen nur zeitweise - die Arbeitgeber des Klägers. Während dieser Zeiten wurden sie als Direktversicherungen geführt. Aufgrund des Beschlusses des BVerfG vom 28.9.2010 (1 BvR 1660/08 - BVerfGK 18, 99 = SozR 4-2500 § 229 Nr 11) änderten die Beklagten die Beitragsfestsetzung während des Widerspruchsverfahrens zugunsten des Klägers und wiesen den weitergehenden Widerspruch zurück. Die Klage, mit der der Kläger sein Ziel der vollständigen Außerachtlassung der Versicherungsleistungen bei der Beitragsbemessung weiterverfolgt hat, hatte ebenso wie die Berufung keinen Erfolg. Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision durch das BSG, nachdem das LSG Baden-Württemberg diese im Urteil vom 26.1.2016 nicht zugelassen hatte.
II
Die Beschwerde des Klägers ist in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
Der Kläger beruft sich in seiner Beschwerdebegründung vom 2.5.2016 auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf eine Divergenz (Zulassungsgründe nach § 160 Abs 2 Nr 1 und Nr 2 SGG). Die Beschwerdebegründung genügt jedoch nicht den Anforderungen an die Darlegung dieser Zulassungsgründe.
1. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; vgl auch BVerwG NJW 1999, 304 und BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Zur Darlegung verfassungsrechtlicher Bedenken gegen Regelungen, auf die das Berufungsgericht seine Entscheidung stützt, genügt die bloße Behauptung der Verfassungswidrigkeit nicht. Vielmehr muss unter Einbeziehung der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung, insbesondere des BVerfG, aber auch des BSG, im Einzelnen aufgezeigt werden, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (vgl BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; vgl auch BSG Beschluss vom 2.6.2009 - B 12 KR 65/08 B).
Der Kläger hält für klärungsbedürftig,
"inwieweit auch solche Direktversicherungen von der Beitragspflicht nach § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V erfasst werden, die von vornherein auf eine einmalige Auszahlung ausgerichtet waren", sowie
"inwieweit es sich bei einer Direktversicherung, die der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer abschließt, die jedoch vom Arbeitnehmer aus seinem ihm bereits zugeflossenen Nettolohn bezahlt wird, um einen beitragspflichtigen Versorgungsbezug i.S.d. § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V handelt".
Hierzu erläutert er, die bislang zu Direktversicherungen ergangenen Entscheidungen des BSG hätten - wie auch die sich aus BT-Drucks 15/1525 (wohl S 139 zu Nr 143) erschließende Intention des Gesetzgebers bei Änderung des § 229 Abs 1 S 3 SGB V - jeweils nur solche Konstellationen betroffen, in denen - anders als in seinem Fall - eine Kapitalzahlung zwar vor Eintritt des Versicherungsfalls, nicht aber von vornherein vereinbart gewesen sei. Werde wie in seinem Fall vorgegangen und erfolge die Prämienzahlung aus dem bereits zugeflossenen Nettolohn, liege keine betriebliche Altersversorgung, sondern eine rein private Kapitalbildung vor, die nicht nach § 229 SGB V der Beitragspflicht unterliegen könne. Es handele sich nicht um eine Entgeltumwandlung, sondern um eine rein private Kapitalbildung aus seinem Privatvermögen (Hinweis auf Schlegel in Personalhandbuch 2009, 16. Aufl 2009, Betriebliche Altersversorgung 102, RdNr 220 ff).
Es kann unerörtert bleiben, ob der Kläger damit hinreichend konkrete Rechtsfragen zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht aufgeworfen und in den folgenden Ausführungen den vom Revisionsgericht erwarteten klärenden Schritt ausreichend konkret dargelegt hat. Jedenfalls hat er - die Qualität als Rechtsfragen unterstellt - die Klärungsbedürftigkeit dieser Fragen nicht den nach § 160a Abs 2 S 3 SGG diesbezüglich geltenden Anforderungen genügend dargelegt.
Anders als danach zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage erforderlich, versäumt es der Kläger das Gesetz und die einschlägige Rechtsprechung des BSG oder BVerfG darauf zu untersuchen, ob die von ihm formulierten Fragen hierdurch bereits beantwortet sind bzw ob diese Rechtsprechung ggf ausreichende Hinweise für die Beantwortung der Fragen enthält. Denn auch wenn das BSG oder BVerfG diese Fragen - worauf sich der Kläger vorliegend beruft - noch nicht ausdrücklich entschieden hätten, so ist eine Rechtsfrage doch auch dann als höchstrichterlich geklärt anzusehen, wenn schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17 sowie SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6). Deshalb hätte sich der Kläger mit der umfangreichen Rechtsprechung des BSG zu Direktversicherungen und anderen Formen der betrieblichen Altersversorgung auseinandersetzen und darlegen müssen, dass sich die von ihm formulierten Fragen nicht bereits auf Grundlage der darin entwickelten Rechtssätze beantworten lassen. Dies unterlässt der Kläger vollständig; in seinen Ausführungen geht er weder auf den Wortlaut des § 229 Abs 1 S 3 SGB V ein noch werden konkrete Entscheidungen des BSG überhaupt erwähnt. Angesichts seines Vortrags hätte er insbesondere Anlass gehabt, sich mit dem bereits im Urteil des LSG zitierten Beschluss des BVerfG vom 7.4.2008 (1 BvR 1924/07 - SozR 4-2500 § 229 Nr 5) sowie den diesem Beschluss zugrundeliegenden Urteilen des BSG vom 25.4.2007 (B 12 KR 25/05 R und B 12 KR 26/05 R - USK 2007-6) auseinanderzusetzen, die ausführlich auch die Vereinbarkeit der Beitragspflicht von Versorgungsbezügen behandeln, deren Auszahlung von vornherein als Kapitalleistung vereinbart war. Weil der Kläger auch die nach § 160a Abs 2 S 3 SGG notwendige Auseinandersetzung zumindest mit dem Text der seiner Meinung nach Klärungsbedarf begründenden Norm unterlässt, konnte er auch nicht erkennen, dass die von ihm für seine Rechtsauffassung in Bezug genommene Literaturmeinung (aktuell Schlegel in Küttner, Personalbuch, 23. Aufl 2016, 104 Betriebliche Altersversorgung RdNr 229; so auch Klaus Peters in jurisPK-SGB V, 3. Aufl 2016, § 229 RdNr 59) sowie die dort zitierte BSG-Rechtsprechung (BSG 18.12.1984 - 12 RK 36/84 - BSGE 58, 10 = SozR 2200 § 180 Nr 25) mit der Änderung des § 229 Abs 1 S 3 SGB V durch Art 1 Nr 143 GKV-Modernisierungsgesetz (vom 14.11.2003, BGBl I 2190) zum 1.1.2004 obsolet geworden ist (vgl BSG SozR 4-2500 § 229 Nr 7 RdNr 12 ff).
2. Die Beschwerdebegründung des Klägers erfüllt auch nicht die Zulässigkeitsanforderungen der Nichtzulassungsbeschwerde bezüglich des Zulassungsgrundes der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Die Begründung entspricht schon deshalb nicht diesen Anforderungen, weil der Kläger keinen abstrakten Rechtssatz des angegriffenen LSG-Urteils herausarbeitet, der der auf S 3 der Beschwerdebegründung zitierten Passage aus dem Beschluss des BVerfG vom 28.9.2010 (aaO) entgegensteht und dem Berufungsurteil tragend zugrunde liegt. Dabei kann offenbleiben ob der Kläger mit diesem Zitat einen dem Beschluss des BVerfG tragenden abstrakten Rechtssatz ausreichend konkret benennt (vgl zu den Darlegungsanforderungen in Bezug auf die Divergenzrüge zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29 und 67; SozR 3-1500 § 160 Nr 26 mwN). Vielmehr macht der Kläger ausschließlich geltend, dass - entgegen der Auffassung des LSG - eine dem Zitat des BVerfG entsprechende "Konstellation … vorliegend jedoch gegeben" sei. Hiermit rügt der Kläger keine Divergenz im Rechtssinne. Vielmehr wendet er sich ausschließlich gegen die vermeintliche Unrichtigkeit der Rechtsanwendung im Einzelfall durch das LSG, auf welche die Beschwerde - wie oben erörtert - nicht zulässig gestützt werden kann.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI10448788 |