Verfahrensgang
Tenor
Den Klägerinnen wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gewährt.
Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 8. Juli 2016 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten in dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit darüber, ob die Klägerin zu 1. in ihrer für die Klägerin zu 2. vom 1.8.2009 bis 25.1.2011 ausgeübten Tätigkeit als (aufsuchende) Familientherapeutin wegen Beschäftigung sozialversicherungspflichtig war. Das LSG hob das der Klage stattgebende Urteil des SG, das das Vorliegen von Versicherungspflicht wegen Beschäftigung verneint hatte, mit Urteil vom 8.7.2016 auf, wies die Klage ab und ließ die Revision nicht zu. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerinnen. Darüber hinaus begehren sie wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
II
1. Den Klägerinnen ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil sie glaubhaft gemacht haben (§ 67 Abs 2 S 2 SGG), dass sie ohne Verschulden verhindert waren, die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 160a Abs 1 S 2 SGG) einzuhalten und diese innerhalb der Antragsfrist (§ 67 Abs 2 S 1 und 3 SGG) eingelegt wurde.
2. Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 8.7.2016 ist jedoch in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerinnen haben in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Mit der Behauptung, die Berufungsentscheidung sei inhaltlich unrichtig, lässt sich die Zulassung der Revision demgegenüber - der Ausrichtung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens entsprechend - nicht erreichen.
Beurteilungsgrundlage ist allein die innerhalb der am 26.9.2016 abgelaufenen Beschwerdebegründungsfrist übermittelte Beschwerdebegründung der Klägerin vom 19.9.2016. Die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160a Abs 2 S 1 SGG wird nicht mit Zustellung des für die Klägerinnen positiven Beschlusses über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einlegungsfrist neu eröffnet mit der Folge, dass insoweit Gründe für die Zulassung der Revision "nachgeschoben" werden könnten. Bei der Beschwerdebegründungsfrist des § 160a Abs 2 S 1 SGG handelt es sich um eine von der Einlegungsfrist unabhängige, selbstständige Zweimonatsfrist, deren Lauf grundsätzlich auch dann mit der Zustellung des angegriffenen Urteils beginnt, wenn die Frist zur Einlegung der Beschwerde versäumt und deshalb Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt (und gewährt) worden ist (vgl hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 160a RdNr 10, unter Hinweis auf BVerwG Beschluss vom 2.3.1992 - 9 B 256.91 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr 2 = NJW 1992, 2780, und BAG Beschluss vom 7.7.2011 - 2 AZN 294/1 - NJW 2011, 3468).
Die Klägerinnen stützen sich in ihrer Beschwerdebegründung auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und denjenigen des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
a) Soll die Revisionszulassung auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) gestützt werden, muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; vgl auch BVerwG NJW 1999, 304 und BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31).
Die Klägerinnen werfen auf den S 2 ff ihrer Beschwerdebegründung - sowohl im Hinblick auf die vertragliche als auch die tatsächliche "Ausgestaltung des Auftragsverhältnisses" - die folgenden acht Fragen auf:
"Spricht es für eine Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV, wenn in einem Vertrag über freie Mitarbeit mit einem Familientherapeuten es zur Gestaltung der Arbeit heißt, dass die Arbeit im Co-Therapeutenteam erfolgt und sich jeder Therapeut seinen Co-Therapeuten selbst aussucht, ohne dass er verpflichtet ist, auf andere für den Auftraggeber tätige Familientherapeuten zurückzugreifen?" (S 2 der Beschwerdebegründung)
"Ist es ein Indiz für das Vorliegen einer Beschäftigung nach § 7 Abs. 1, wenn der Auftraggeber darauf hinweist, dass die aufsuchende Familientherapie sich nach der (Rahmen)-Leistungsbeschreibung des Trägers öffentlicher Jugendhilfe richtet, die Grundlage des zwischen dem Auftraggeber und dem Träger öffentlicher Jugendhilfe geschlossenen Trägervertrag über die Erbringung der aufsuchenden Familientherapie ist?" (S 3 f der Beschwerdebegründung)
"Ist es ein Indiz für das Vorliegen einer Beschäftigung im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV, wenn der mit der Durchführung einer aufsuchenden Familientherapie beauftragte Träger freier Jugendhilfe im Rahmen der Kostenübernahme durch das Jugendamt nur mit einem im Hilfeplanverfahren festgelegten Stundenumfang beauftragt wird und deshalb den für ihn tätigen Familientherapeuten auch nur in diesem Umfang mit der aufsuchenden Familientherapie beauftragt?" (S 4 der Beschwerdebegründung)
"Stellt es ein Indiz für eine Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV dar, wenn der Auftraggeber, der im Übrigen den beauftragten Therapeuten seine therapeutische Arbeit selbstständig und frei von Weisungen machen lässt, sich Weisungen lediglich zum Ergebnis der Therapie vorbehält?" (S 6 der Beschwerdebegründung)
"Ist der Umstand, dass ein Therapeut im Rahmen der aufsuchenden Familientherapie in einem Team mit einem Co-Therapeuten zusammen arbeitet, ein Indiz für eine Eingliederung in eine fremde Organisation?" (S 7 f der Beschwerdebegründung)
"Ist der Umstand, dass Familientherapeuten, die freie Mitarbeiter bei einem Träger privater Jugendhilfe sind, bei Anfragen dieses Trägers, ob ein Fall übernommen werden kann, als Kollegium beraten, ob der Fall inhaltlich und fachlich passt und welches Therapeutenteam ihn übernehmen kann, und insoweit am Schluss eine Entscheidung treffen, ein Umstand, der für die Eingliederung in die Organisation des Trägers und damit für eine Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV spricht?" (S 8 f der Beschwerdebegründung)
"Spricht der Umstand dass ein Familientherapeut oder beide als Co-Therapeuten zusammenarbeitenden Familientherapeuten den Hilfeplan nicht in alleiniger Verantwortung entwerfen, sondern ihn in einer Hilfekonferenz nach § 36 SGB VIII gemeinsam mit Fachkräften des Jugendamts und mit der Familie erarbeiten, für eine Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV?" (S 9 f der Beschwerdebegründung)
"Ist der Umstand, dass der Leistungserbringer nach außen als Mitarbeiter des Trägers freier Jugendhilfe erscheint, ein Anhaltspunkt für das Vorliegen einer Beschäftigung nach § 7 Abs. 1 SGB IV?" (S 11 der Beschwerdebegründung)
Für die Begründung der grundsätzlichen Bedeutung ihrer Fragen gehen die Klägerinnen so vor, dass sie ua auf allgemein geltende berufliche Standards zur (aufsuchenden) Familientherapie - etwa die Qualitätskriterien der Fachverbände - und Rahmenleistungsbeschreibungen des Trägers öffentlicher Jugendhilfe sowie die Struktur des Hilfeplanverfahrens und den - von ihnen angenommenen und vom LSG so beschriebenen - Therapieablauf einschließlich der Bedingungen der kollegialen Beratung und Entscheidung im Therapeutenteam verweisen und sodann hierin begründeten Umständen - von der Rechtsauffassung des LSG abweichend - den Indizcharakter für eine Tätigkeit der Klägerin zu 1. nach Weisungen (S 3 der Beschwerdebegründung: … kann … nicht als Wahrnehmung eines Weisungsrechts gewertet werden …; S 4 der Beschwerdebegründung: … können … kein Indiz für ein Beschäftigungsverhältnis … sein; S 5 der Beschwerdebegründung: … kann nicht als Ausübung eines … Weisungsrechts angesehen werden; S 6 der Beschwerdebegründung: … Weisungsrecht … wird dadurch gerade nicht begründet; S 7 der Beschwerdebegründung: … macht … noch nicht zu einer Tätigkeit im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses) bzw eine Eingliederung der Klägerin zu 1. in die Arbeitsorganisation der Klägerin zu 2. absprechen (S 8 der Beschwerdebegründung: … kann dies nicht als Indiz für die Eingliederung in die Organisation der Klägerin zu 2. angesehen werden; S 9 der Beschwerdebegründung: … kein Indiz für eine abhängige Beschäftigung …; S 10 der Beschwerdebegründung: … kann dies für die Frage … ≪des≫ Status nicht relevant sein; S 13 der Beschwerdebegründung: … dann aber ist kein Raum dafür, den Status … danach zu beurteilen …).
Der Senat kann offenlassen, ob die Klägerinnen mit den oben genannten Fragen überhaupt konkrete Rechtsfragen hinreichend klar bezeichnen, die in einem späteren Revisionsverfahren zu beantworten wären, oder nur (verdeckte) Tatsachenfragen, also solche der Subsumtion des individuellen Sachverhalts der Klägerin zu 1. unter die hier maßgebliche Norm des § 7 Abs 1 SGB IV. Denn jedenfalls legen sie die Klärungsbedürftigkeit dieser Fragen - ihre Qualität als relevante Rechtsfragen unterstellt - nicht in der gebotenen Weise dar. Die Klägerinnen setzen sich nicht ansatzweise mit der umfangreichen Rechtsprechung des BSG zu § 7 Abs 1 SGB IV, hier insbesondere mit dem - vom LSG und von ihnen auch zitierten - Urteil vom 25.4.2012 (B 12 KR 24/10 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 15; ferner BSG Urteil vom 25.4.2012 - B 12 KR 14/10 R - Juris) sowie auch dem Urteil vom 24.3.2016 (B 12 KR 20/14 R, SozR 4-2400 § 7 Nr 29) auseinander; auch das Urteil vom 28.9.2011 (B 12 R 17/09 R - Juris) wäre in den Blick zu nehmen gewesen. Insoweit hätten sich die Klägerinnen eingehend damit befassen müssen, ob sich nicht bereits aus vorliegender höchstrichterlicher Rechtsprechung ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von ihnen aufgeworfenen (Rechts-)Fragen ergeben.
Der Sache nach richten sich die Rügen der Klägerinnen gegen die vom Berufungsgericht vertretene materielle-rechtliche Bewertung; sie stellen dieser ihre eigene - abweichende - Rechtsansicht gegenüber und halten die vom LSG vertretene Auffassung für unzutreffend. Wie bereits erörtert, lässt sich mit Einwendungen gegen die sachliche Richtigkeit des Berufungsurteils eine Zulassung der Revision aber nicht erreichen.
b) Die Klägerinnen bezeichnen darüber hinaus einen entscheidungserheblichen Mangel des Berufungsverfahrens (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der gebotenen Weise.
Sie sehen solche Mängel darin, dass das LSG, soweit es in seinem Urteil (S 11 des Urteilsabdrucks) festgestellt habe, die Klägerin zu 1. sei (zudem) nach außen hin als Mitarbeiterin der Klägerin zu 2. erschienen, eine Tatsache bewertet habe, die es selbst nicht festgestellt und die auch in den Schriftsätzen der Verfahrensbeteiligten keine Grundlage gefunden habe mit der Folge, dass die der Wertung zugrunde liegende Annahme "aktenwidrig" sei (S 12 der Beschwerdebegründung). Das Berufungsgericht habe deshalb gegen § 128 Abs 1 S 2 und Abs 2 sowie § 136 Abs 1 Nr 5 SGG verstoßen.
Die Klägerinnen legen bereits nicht substantiiert dar, dass die angefochtene Entscheidung auf solchen Verfahrensmängeln - ihr Vorliegen unterstellt - "beruhen" kann, dh mindestens die Möglichkeit besteht, dass das LSG ohne solche Verfahrensverstöße zu einem für die Klägerinnen günstigeren Ergebnis hätte gelangen können. Die Verfahrensrügen beziehen sich nur auf eines (ein einziges) von mehreren Indizien, auf die sich das LSG für die Annahme von Beschäftigung der Klägerin zu 1. (kumulativ) gestützt hat. Vor diesem Hintergrund hätten sich die Klägerinnen mit der Struktur der vom Berufungsgericht getroffenen (Abwägungs-)Entscheidung auseinandersetzen und Ausführungen dazu machen müssen, warum bei einer Annahme von Verfahrensfehlern, die sich nur auf eines (ein einziges) von mehreren Merkmalen mit indizieller Bedeutung für Beschäftigung beziehen, deren Einfluss auf das Ergebnis der Sachentscheidung möglich ist. Ob die von den Klägerinnen angenommenen Verfahrensmängel die Ursache für die von ihnen behauptete Unrichtigkeit des Ergebnisses sein können, hängt nämlich ua davon ab, wie vielen Merkmalen das Berufungsgericht indizielle Bedeutung für Beschäftigung beigelegt, ob es überhaupt Indizien für Selbstständigkeit gefunden hat usw. Versteht es sich nicht von selbst, dass die Berufungsentscheidung auf dem gerügten Verfahrensmangel "beruht", muss die Nichtzulassungsbeschwerde auch Darlegungen dazu enthalten, warum bei Vermeidung des Verfahrensmangels eine andere, für den Beschwerdeführer günstigere Entscheidung ergangen wäre. Die bloße Behauptung der Klägerinnen, das LSG wäre möglicherweise zu einer anderen Entscheidung gelangt, "wenn es dieses Indiz nicht angenommen hätte" (S 13 der Beschwerdebegründung), reicht für sich allein nicht aus.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160 Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht, weil die Klägerin zu 1. zu dem nach § 183 SGG begünstigten Personenkreis gehört, bei dem hier gegebenen Fall der subjektiven Klagehäufung einheitlich auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI11141576 |